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Beitrag vom 06.06.2022
Barbara Guth & Susanne Bischoff (Hrsg.): OutSisters, InSisters, Lesben: Lesbisch-feministisches Begehren um Autonomie.
Bärbel Gerdes
Eine nie dagewesene Öffentlichkeit erlangte das Lesbenfrühlingstreffen 2021 in Bremen. Nicht nur, dass die Pandemie eine Präsenzveranstaltung unmöglich machte – viel schwerer wirkten die Angriffe auf die Organisatorinnen aufgrund angeblicher "Transfeindlichkeit": Gelder wurden entzogen, die Schirmfrau stand nicht mehr zur Verfügung und Frauen sagten ihre Mitarbeit ab.
Der Reader zum Lesbenfrühlingstreffen 2021 Bremen "Lesbenfrühling – rising to the roots"
Wenn eine Dokumentation über ein Lesbentreffen auf mehr als 80 Seiten dessen Entstehungsprozess und Organisation schildert, muss im Vorfeld einiges passiert sein, das sich den Organisatorinnen in den Weg stellte. Und das ist es auch. Die nicht mit den Details vertraute Leserin muss sich jedoch in Geduld üben. Denn zwar werden in den Beiträgen, mit denen der Reader beginnt, die Auswirkungen geschildert, nicht aber, wodurch die Angriffe ausgelöst wurden.
Ein Hauptpunkt der Auseinandersetzungen war, dass die Orga-Gruppe Lesben, die eine Detransition gemacht haben, ausdrücklich eingeladen hatte, aber dass eine solche Einladung nicht ebenfalls an Männer, die transioniert sind und sich selbst als Lesben bezeichnen, erfolgt ist. Schon dies löste auf einschlägigen Nachrichtenkanälen Empörung aus. Hinzu kam die Kritik an den angekündigten wenigen Programmpunkten, die sich kritisch mit den Auswirkungen heutiger queerer Praxis auf Lesbenräume befassen. Allein die Thematisierung unterschiedlicher Lebenssituationen und Sozialisationen von Frauen und Transfrauen wurde bereits als "Transfeindlichkeit" angesehen. Die Forderung nach eigenen Lesbenfrauenräumen scheint einen Frontalangriff auf Männer darzustellen, die sich als Transfrauen verstehen.
Erschreckend und schockierend ist die Lobby, die diese Gruppierung hat. Sie erinnert stark an Männerbünde, die qua ihres Geschlechts Macht ausüben, sich vernetzen und ihnen missliebige Aktionen und Events zerstören.
Eine überraschend breite Öffentlichkeit berichtete über die Geschehnisse rund um das Lesbenfrühlingstreffen – und sie berichtete sehr einseitig. Dies wiederum hatte zur Folge, dass Fördergelder entzogen wurden und sich große Organisationen wie der Lesbenring und die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld sowie diverse Frauen- und Lesbenverbände entsolidarisierten.
Das LFT befindet sich mit diesen Reaktionen und Angriffen in bester Gesellschaft, frau denke nur an die Shitstorms gegen J.K. Rowling, gegen die britische Professorin Kathleen Stock oder an die Erstürmungen von Buchläden durch Transaktivisten, die massiv die Entfernung feministischer Autorinnen aus den Regalen fordern.
Diese Angriffe reflektieren allein auf die Angreifenden, die sich angeblich für mehr Freiheit und Offenheit, Meinungsfreiheit und Akzeptanz einsetzen.
Dass das Treffen dennoch stattfinden konnte – in hybrider Form, was ebenfalls eine Herausforderung war – ist weniger ein Wunder als ein Beweis zäher Hartnäckigkeit, großer Arbeit und geschlossener Solidarität der Organisatorinnen.
Der Schwerpunkt des LFT 2021 Rising to the roots sollte einen Blick zurück und aufs Jetzt ermöglichen. Es sollte ein Raum geschaffen werden, in dem frauenliebende Frauen sich darauf konzentrieren können, was sie bewegt und berührt.
Die Bandbreite der Themen reicht dabei u.a. von den sogenannten Late Bloomers, also Frauen, die erst spät im Leben lesbisch wurden, über Lesbenzeichen und -Symbole der 1970ger Jahre zu Fortpflanzungstechnologien, dem feministischen Publizieren und dem Kampf von Lesben gegen Rechts.
Einen besonderen Raum nahm das Thema Lesben und Körper ein. Ein Beitrag setzt sich mit den Möglichkeiten und Grenzen der Selbstbestimmung bei Brustkrebserkrankungen auseinander, ein anderer versucht Antworten auf die dringende Frage zu finden, wie im Alter eine lesbenrespektierende Pflege aussehen könnte.
Die Autorin Susan Hawthorne thematisiert das Eindringen der Transgenderlobby in Lesbenräume und drängt auf mehr Separatismus. Die Sozialwissenschaftlerin Astrid Osterland hat sich ins Queerland begeben und lernte dabei das Fürchten. Immer wieder wird ihr aufgezeigt, dass lesbische Räume unerwünscht sind, ja, dass das Wort Lesbe untergehen soll in der Beliebigkeit einer geschlechtlichen Vielfalt, die nicht aus einer feministischen Perspektive gedacht wird und die die Bedürfnisse und Wünsche von Frauen ignoriert.
Beim Blick auf das Verzeichnis der Beiträgerinnen fällt auf, dass das Rising des Mottos eher die Roots berücksichtigt.
Unter den Autorinnen finden sich bekannte Namen wie Traude Bührmann, Ilona Bubeck, Doris Hermanns, Andrea Krug, Renate Klein und Gabriele Meixner.
Jüngere Lesben, die zu dem Treffen beitrugen, gibt es nur sehr wenige.
Dabei wäre gerade die Auseinandersetzung zwischen den Generationen wichtig, um politische Ziele zu diskutieren und eventuell Gemeinsamkeiten zu finden: Ist das, was "uns Lesben der 1970er/1980er Lesbenbewegung" – und da schließt sich die Rezensentin ausdrücklich ein – wichtig erscheint, auch das, was für jüngere feministische Lesben wichtig ist? Welche Formen des Protestes haben sie und wie schließen sie sich zusammen?
Insbesondere aber: wollen jüngere Lesben überhaupt aus unseren Wurzeln aufsteigen oder nicht lieber andere, vor allem eigene finden?
AVIVA-Tipp Die Mitorganisatorinnen des Lesbenfrühlingstreffen 2021, Susanne Bischoff und Barbara Guth, haben mit diesem Reader eine Veranstaltung vor dem Vergessen bewahrt, die nicht nur durch die Vielfältigkeit ihrer Themen besonders war. Der Frontalangriff auf die Daseinsberechtigung des Lesbenfrühlingstreffens wird in die Lesbengeschichte eingehen. Zu hoffen ist, dass gute Strategien und viel Solidarität gefunden werden, um eine Wiederholung dieser Vorgänge unmöglich zu machen.
Die Herausgeberinnen: Barbara Guth wurde 1971 in Basel geboren und arbeitet in den Bereichen Übersetzung, Lektorat und Text. 2018 gab sie Ich muss die Farben sehn – ein Trauerbüchlein heraus. Sie lebt in St. Gallen.
Susanne Bischoff, geboren 1954, ist Sportlehrerin, Körper- und Traumatherapeutin und Selbstverteidigungstrainerin. Sie arbeitete lange Zeit in der onkologischen Rehabilitation. Von 2013 bis 2016 arbeitete sie als Zivile Friedensfachkraft einer NGO in Kinshasa/DR Kongo. Seit 1981 ist sie aktiv in der feministischen Frauen- und Lesbenbewegung. Sie war Mitorganisatorin der 1. Berliner Lesbenwoche 1985 und des LFT2018 in Göttingen.
Barbara Guth & Susanne Bischoff: OutSisters, InSisters, Lesben. Lesbisch-feministisches Begehren um Autonomie. Reader zum Lesbenfrühlingstreffen 2021 Bremen "Lesbenfrühling – rising to the roots"
Selbstverlag, erschienen am 29. März 2022
388 S., kartoniert
ISBN 9783347547889
24,90 Euro
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