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AVIVA-BERLIN.de im Mai 2024 - Beitrag vom 21.03.2022


Ron Segal - Katzenmusik
Sigrid Brinkmann

Ron Segals Roman "Katzenmusik" spielt in den Wochen nach dem Sechstagekrieg 1967. Sein Protagonist Eli kümmert sich um eine streunende Katze, verliebt sich in eine Russin und gerät immer tiefer in ein krummes Geschäft.




Eli Ehrlich, die zentrale Romanfigur, arbeitet als Bote. Er hat eine herrenlose Katze angefahren und widerspricht nicht, als ein Veterinär ihn drängt, das Tier gesund zu pflegen. Einfühlsam schildert der allwissende Autor, wie sich Elis Blick auf seine Umgebung durch die Sorge um ein lebendiges Wesen verändert.
Der junge Mann verliebt sich in eine alleinerziehende Russin und fängt an, spontanen Eingebungen zu folgen. So behauptet er, als er eine gebrechliche "Katzenmutter" ins Krankenhaus begleitet, er sei ihr Sohn. Mit nur einem Halbsatz führt Segal uns die im Sommer 1967 herrschende Not vor Augen: In dem "mit Kriegsverwundeten hoffnungslos überbelegten Krankenhaus wollte man nicht einmal seinen Personalausweis sehen".

Mühseliges Leben wird weitergelebt

Ron Segal, der an der Sam Spiegel Film School in Jerusalem studiert hat, gelingt es hervorragend, das Alltagsgefühl von Menschen einzufangen, die das allgemeine Hochgefühl in den Nachkriegswochen nicht mitreißt. Keiner bricht auf, um biblische Landstriche in den hinzugewonnenen Gebieten zu durchstreifen.
Die Romanfiguren leben einfach ihr mühseliges Leben weiter. Sie arbeiten als Motorradkurier, Taxifahrer, Katzenfänger und Verkäuferin. Prostituierte füttern in ihrem Revier Scharen ausgehungerter Katzen, und schon bald wirkt der Platz, an dem sie auf Kundschaft warten, wie ein "pelziger Teppich".

Mit Wunschzetteln zur Klagemauer

47 bildstarke Szenen entfaltet der Romancier in "Katzenmusik". Segal arbeitet subtil mit wiederkehrenden Motiven und fokussiert auf scheinbar banale Details, die manchmal einen tief verborgenen Lebensschmerz enthüllen. Oder es haften ihnen Spuren einer blutigen Geschichte an. Gekonnt spielt der Autor in "Katzenmusik" mit dem Genre des Kriminal- und des Liebesromans.

Auch sein Held ist unwissentlich in krumme Geschäfte involviert. Jede Nacht transportiert er mit Wunschzetteln gefüllte Kisten auf seiner Vespa zur Klagemauer und steckt die Papiere, mit der Einwilligung eines Wachsoldaten, zwischen die Spalten der Felsblöcke. Ist der Auftrag erfüllt, liefert Eli im Gegenzug schwere Pakete bei seinem Patron ab. Selbst als Zeitungen berichten, es seien große Falschgeldsummen im Umlauf, dämmert ihm nicht, dass er für einen Betrüger arbeitet.
Segals ein wenig verträumter, aber gelegentlich doch erstaunlich resolut auftretender Eli Ehrlich taumelt durch die Umbruchzeit und verstrickt sich, ohne Vorsatz, immer tiefer mehr in Lügen.

Warnung vor dem "Katzenstaat"

Im heißen Sommer 1967 migrieren zigtausende von ihren palästinensischen Versorgern notgedrungen ausgesetzte Katzen aus Samaria, Judäa und Ostjerusalem in den Westteil der Stadt. Hungernden palästinensischen Flüchtlingen, schreibt Segal, erlaubte ein Imam, das Fleisch toter Hunde und Katzen zu verspeisen. In einer trashigen Horrorszene imaginiert er, wie Katzenkolonien mitten in Jerusalem Personen attackieren und lebend anfressen. "Ohne kontrollierte Kastrationen und Sterilisationen", schreit das Gesundheitsamt, "sind wir bald ein Katzenstaat".

Die Analogie ist offenkundig und doch wird in diesem großartigen Roman nichts ausbuchstabiert. Geburten schaffen Fakten, weshalb der Nahostkonflikt gelegentlich auch als demografischer Krieg bezeichnet wird. Das Jahr 1967 markierte einen Scheidepunkt in der Geschichte des noch jungen Staates Israel. Noch jaulen die Katzen, die nicht zwischen einheimischen und migrierten Artgenossen unterscheiden, lustvoll in Jerusalems Straßen. Eli Ehrlich verlässt das Land.

AVIVA-Tipp: Der Roman ist ein subtiles Zeitmosaik, eine zarte Liebegeschichte, ein ironischer Krimi mit einer surrealen, trashigen Note.

Ron Segal
Katzenmusik

Aus dem Hebräischen übersetzt von Markus Lemke
Secession Verlag, Berlin 2022
Mehr zum Buch unter: www.secession-verlag.com

Besprochen von Sigrid Brinkmann am 15.03.2022:
www.deutschlandfunkkultur.de


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Beitrag vom 21.03.2022

AVIVA-Redaktion