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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 30.01.2022


Alexandra Lavizzari - Vita & Virginia
Bärbel Gerdes

In einer knappen Doppelbiographie erkundet Alexandra Lavizzari die Liebesbeziehung zwischen Virginia Woolf und Vita Sackville-West.




Vielleicht ist es nicht ganz gerecht eine leidenschaftliche Woolf-Kennerin dieses Buch rezensieren zu lassen. In der Reihe blue notes hat es der Verlag ebersbach & simon herausgebracht, laut Verlagsangaben eine Geschenkbuchreihe.
Es ist erstaunlich, dass in so kurzer Zeit ein zweites Geschenkbuch über bzw. von Virginia Woolf erscheint. Woolfs Freiheit ist erst der Anfang wurde im vergangenen Jahr im Arche-Verlag veröffentlicht. Diese Bücher sind klein genug, um in eine Damenhandtasche zu passen, und so könnte dies ein subversiver Akt sein, die Schriften Woolfs oder Details aus ihrem Leben in das Leben und Lesen von Frauen zu schmuggeln.

Bücher müssen sich verkaufen – keine weiß dies besser als die Verlegerin Virginia Woolf selbst. Das Buchgeschäft ist nicht unbedingt eines, das reicht macht. Deshalb müssen Bücher auch vermarktet werden. Bewerkstelligt wird dies durch schrille Cover, Empfehlungen anderer AutorInnen, die auf der Rückseite eines Buches abgedruckt werden, oder indem Bücher durch Signalworte in einen aktuellen Kontext gehoben werden.
Solche Signalworte sind zur Zeit trans und queer. Männliche Bundestagsabgeordnete müssen sich nur Frau nennen – schon findet auch bei ihnen die Frauenquote Anwendung. Frauenräume und -veranstaltungen werden als transfeindlich bezeichnet, Autorinnen wie J.K. Rowling mit einer Hasskampagne überzogen, weil sie sich für ausschließliche Frauenräume (und die Rezensentin wird hier keine Bezeichnungen wie cis o.ä. übernehmen) einsetzt.

Im Zuge dieser Bewegung wird nun auch Virginia Woolf vereinnahmt. Als ich im Februar 2020 anlässlich des zwanzigsten Geburtstages von AVIVA Berlin in der Begine (Berlin) die Neuübersetzung von Ein Zimmer für sich allein vorstellen durfte, wies ich auf die Gefahr hin, dass die Idee der androgynen Schriftstellerin, die Woolf in diesem Essay entwickelt, als queer vereinnahmt werden könnte – etwas, was sicherlich nicht im Interesse und im politischen Denken Woolfs wäre.

Dass das hier zu besprechende Buch damit wirbt, Alexandra Lavizzari nähere sich dieser legendären Beziehung anhand von Woolfs Transgender-Roman »Orlando« kann nur als Marketingstrategie verstanden werden und als Aufspringen auf einen Zug, der für viele lesbische und feministische Frauen absurde und oftmals auch menschenverachtende schmerzhafte Konsequenzen hat.
In der Einleitung der Autorin heißt es, Orlando könne ohne Übertreibung sogar als der erste LGBT-Roman überhaupt betrachtet werden. Ebenso könnte frau Woolfs verklausulierte Elizabeth Barrett Browning Biographie als erste Autobiographie eines Cockerspaniels bezeichnen.

Women alone stir my imagination, war ihr Credo. Woolf ging es Zeit ihres Lebens um Frauenrechte und Frauenräume, um die Unabhängigkeit und die Selbstbestimmung von Frauen – in jeglicher Hinsicht. In ihren Essays und Romanen, in ihren Briefen und Tagebüchern beschreibt sie in ihrer geschliffenen und brillanten Sprache, welche Erfahrungshorizonte Frauen verwehrt werden und welchen Einfluss dies u.a. auch auf ihr Schreiben hat. Vita Sackville-West konnte das Schloss, in dem sie aufgewachsen war, nicht erben, weil sie weiblich war. Virginia Woolf legte ihr mit Orlando das Schloss zu Füßen, indem sie gleichzeitig in einer Tour de Force durch Jahrhunderte und Geschlechter die Vergangenheit der Sackvilles und Vitas ausschweifendes Liebesleben heraufbeschwor. Nur der Wechsel des Geschlechts machte die beschriebenen Abenteuer und Freiheiten möglich.

Vita Sackville-West war keine Feministin. Immer wieder zeigte sie ihr Unverständnis gegenüber Woolfs feministischen Schriften. Vielleicht hat sich die Autorin dieser Doppelbiografie eher an Vita orientiert.
Gerade weil es um Schriftstellerinnen geht, denen Sprache wichtig war, denen Wörter etwas bedeutete – erwähnt sei hier nur der Ausschnitt aus Virginia Woolfs BBC-Aufzeichnung On Craftsmanship, die hier zu hören ist – sollte ein Buch über sie doch mit einer ähnlichen Aufmerksamkeit für Sprache geschrieben werden. Doch Leserinnen suchen wir vergebens. Obgleich das Argument, Woolf hätte in Orlando Homosexualität darstellen wollen, mehr als diskussionswürdig ist, erstaunt es, dass selbstverständlich nur von Autoren geschrieben wird, wenn von zwei Autorinnen (Radclyffe Hall und Woolf) und einem Autor (Compton Mackenzie) die Rede ist.
Vita bringt ihren Garten auf Vordermann und die Bücher werden von einer Leserschaft gelesen.

Erstaunlich ist auch, wie Virginia Woolf immer noch dargestellt wird: ihre Leserinnen seien von Woolf melancholische Themen gewohnt, Woolfs emotionale Verletzlichkeit und intellektueller Scharfsinn [seien] stadtbekannt gewesen, gegenüber Vita hätte es eine ängstliche Vorsicht der Älteren gegeben – tatsächlich fragt Alexandra Lavizzari: War Woolf eines ihrer [Vitas] Opfer?.
Von einer introvertierten und scheuen Schriftstellerin ist die Rede.

Mit keinem Wort werden die beiden Essays erwähnt, die Woolf in der Zeit ihrer Beziehung schrieb: Ein Zimmer für sich allein und Drei Guineen. Es gab zwischen Woolf und Sackville-West zahlreiche Diskussionen und auch Streitereien darüber, da Vita eben keine Feministin war und besonders den Diskurs des zweiten Essays nicht nachvollziehen konnte.
Statt diese wichtige unterschiedliche Perspektive überhaupt zu erwähnen, wird ausführlich berichtet, dass Virginia Woolf sich plötzlich für Mode interessierte.

Sicherlich ist es nicht leicht, eine Biographie – zumal eine Doppelbiographie – auf 141 Seiten zusammenzufassen, selbst wenn es Susanne Kuhlendahl in ihrer Comic-Biographie erstaunlich umfassend und mit einem tiefen Verständnis gelang.

AVIVA-Tipp Um Vita Sackville-Wests und Virginia Woolfs Liebesbeziehung wirklich kennenzulernen und sie auch eingebettet zu sehen in beider Leben, greife frau lieber zu Susanne Amrains bereits 1994 erschienener Doppelbiographie So geheim und vertraut. Virginia Woolf und Vita Sackville-West, die leider nur noch antiquarisch verfügbar ist und leider nicht im Literaturverzeichnis des vorliegenden Bandes aufgeführt wird.

Zur Autorin: Alexandra Lavizzari geboren 1953 in Basel, studierte Ethnologie und Islamwissenschaft. Nach längeren Aufenthalten in Nepal, Pakistan und Thailand lebt sie heute in England. Sie schreibt für die Neue Zürcher Zeitung und den Bund und ist Autorin zahlreicher kunsthistorischer und literaturkritischer Werke. Für ihr Schaffen wurde sie mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Bieler Literaturpreis (1987), dem 13. Würth Literaturpreis der Poetik-Dozentur der Universität Tübingen (2002) und dem Feldkircher Lyrikpreis (2007). Bei ebersbach & simon erschienen u.a. Harper Lee und Truman Capote. Eine Freundschaft (2016) und Fast eine Liebe. Carson McCullers und Annemarie Schwarzenbach (2017). 2017 erschien ihr Roman Und Harry?

Alexandra Lavizzari
Vita & Virginia

Verlag ebersbach & simon, erschienen am 19. Januar 2022
144 S., Hardcover, Halbleinen
ISBN 978-3-86915-259-2
Euro 18,00
Zum Buch: www.ebersbach-simon.de

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