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Beitrag vom 09.01.2022
Janice P. Nimura – Die Blackwell Schwestern. Wie die ersten Ärztinnen der USA die Frauen in die Medizin brachten
Bärbel Gerdes
Auf höchst amüsante und lebhafte Weise macht uns die US-amerikanische Autorin Janice P. Nimura mit zwei Schwestern bekannt, die selbstbewusst und unbeirrbar ihren Weg zum Ärztinberuf verfolgten. Ihr Ziel: Frauen, die Möglichkeit zu geben, von Frauen behandelt zu werden, medizinischen Studentinnen praktische Erfahrungen zu verschaffen und Krankenschwestern auszubilden.
Der bloße Gedanke, mich in alle Einzelheiten der physischen Strukturen des Körpers und seiner diversen Leiden zu vertiefen, erfüllte mich mit Abscheu. Diese Einstellung ist sicherlich nicht die beste Voraussetzung, um Ärztin zu werden.
Elizabeth Blackwell schrieb dies 1844 in einem Brief an ihre Schwester Marian – und erhielt 1849 schließlich dennoch als erste Frau in den USA einen Abschluss in Medizin.
Elizabeth Blackwell wuchs in einer Familie auf, die in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts ihre Heimatstadt Bristol aus politischen und finanziellen Gründen verließ, um in Amerika neu zu starten. Die Eltern Samuel und Hannah befürworteten Bildung und Selbstvervollkommnung, distanzierten sich von der anglikanischen Kirche und waren frühe AktivistInnen gegen die Sklaverei. Mit seiner Zuckerfabrik verdiente Samuel Blackwell sein Geld zwar mit einem Rohstoff, dessen Gewinnung auf Sklaverei beruhte, er strebte jedoch danach, einen anderen Weg zu finden, Zucker ohne Grausamkeiten herzustellen.
Die Eltern zogen ihre neun Kinder mit einer Mischkost aus Natur, Literatur und politischem Bewusstsein auf. Töchter und Söhne erhielten denselben Zugang zu Bildung. Die Mädchen strebten nach Selbständigkeit – keines der fünf Mädchen heiratete später.
Elizabeth wurde 1821 geboren. Sie liebte das Alleinsein, war eine leidenschaftliche Leserin und war von Anfang an mit einem unerschütterlichen Selbstbewusstsein ausgestattet, das in späteren Jahren manches Mal die Grenze zum Größenwahn überschritt. Was andere darüber dachten, war ihr herzlich egal. Falls die Leute herausfinden, was für ein komisches Wesen ich bin, dann soll es mir recht sein, schrieb sie, … ich werde mir erlauben, mich herzlich wenig darum zu kümmern.
Auslöser ihrer für ihre Zeit ungewöhnlichen Berufswahl sei die Bekanntschaft mit einer Frau gewesen, die unter einer gynäkologischen Krankheit litt und ihr gestand, ihr wären die schlimmsten Leiden erspart geblieben, wäre sie von einer Ärztin behandelt worden. Ob diese Anekdote stimmt ist unklar. Fakt ist, dass die Medizin in den USA weitaus rückschrittlicher als in Europa war und dass Frauen überhaupt keinen akademischen Zugang zu ihr hatten. Der Gesundheitszustand der meisten Menschen war schlecht, wozu vor allem das explosionsartige Bevölkerungswachstum in den Städten beitrug.
Eher war es wohl die finanzielle Not nach dem Tod ihres Vaters, aber auch ihr Interesse an der Metaphysik und zum Transzendentalismus, der aus einer Mischung aus englischer Romantik, indischer Philosophie und Mystischen Vorstellungen bestand. Margaret Fuller war eine führende Person dieser Bewegung.
Elizabeth ging es nicht um ein wohltätiges Wirken als Ärztin, sondern darum zu beweisen, dass Frauen ebenso gut Medizinerinnen sein können und um zu zeigen, dass Margaret Fullers Glaube an die Ebenbürtigkeit von Frauen berechtigt sei. Dabei distanzierte sich Elizabeth Blackwell sehr klar von der amerikanischen Frauenbewegung. Als sich 1848 Aktivistinnen in Seneca Falls trafen, um ihre Aktionen zu planen, nannte sie dies absurd. Sie irrten in der Sache und machten sich zum Narren, schrieb sie, auch wenn sie mit den allgemeinen Zielen der Frauenbewegung durchaus sympathisierte. Gleichzeitig betrachtete sie andere Frauen mit der gleichmütigen Überlegenheit einer gütigen Gottheit.
Zunächst aber lag ein langer und beschwerlicher Weg vor ihr. Viel Ausdauer benötigte sie, um dies zu verfolgen. Abweisungen und Ablehnungen medizinischer Institutionen häuften sich, Spott und Gelächter schallten ihr entgegen.
Mit viel Verve und Humor schildert Janice P. Nimura diese lange Reise, die über mehrere Bundestaaten der USA, über Frankreich nach England und zurück nach New York führte. In ihren Tagebüchern und Briefen, aus denen Nimura ausführlich zitiert, schildert Elizabeth, wie viel Überzeugungskraft sie aufbringen musste, um an den Vorlesungen teilnehmen zu dürfen. Manches Mal waren es die männlichen Studenten, die, vorher befragt, ihrer Teilnahme zustimmten, während die Professoren sie vereiteln wollten. Für Elizabeth kam es nicht in Frage, ihr Geschlecht zu verbergen. An ihre Schwester Emily, die 1854 ihren Abschluss zur Ärztin erlangte und mit der sie eine enge Zusammenarbeit plante, schrieb sie, wir müssen eben Geduld mit der Epoche haben und zugleich hart daran arbeiten, ein gerechteres Arrangement zu erreichen.
Doch ersetzten die Vorlesungen nicht die Praxis. Trotz ihres bereits vorhandenen Diploms lässt sie sich zusätzlich auf einer großen Pariser Entbindungsstation ausbilden, was ihr lange Arbeitszeiten, Verrichtung niedrigster Dienste, vor allem aber das Schlafen in einem Gemeinschaftssaal bescherten – mit anderen Schülerinnen, die ungebildet und geringer gestellt seien.
Hervorragend passen Janice P. Nimura und die Blackwell-Schwestern zusammen.
Die Autorin, die von der Schatzsuche in Archiven fasziniert ist, greift umfassend auf die Tagebücher und Briefe der gesamten Familie Blackwell zurück, die sich mit erfrischender Offenheit untereinander austauschte. Trotz der schwierigen Situation, in der sich beide Schwestern – Emily geht es in ihren Studien nicht anders – befinden, trotz der manches Mal unappetitlichen Details medizinischer Eingriffe – Blutegel in Vaginen – gelingt Nimura eine absolut witzige, kurzweilige und geistreiche Lebensbeschreibung.
Nimura schreibt gleichzeitig Medizingeschichte und erinnert an die desaströsen und desolaten Zustände in der Medizin vor noch nicht einmal 200 Jahren. Nichts war bekannt über Hygiene – die ÄrztInnen gingen von PatientIn zu PatientIn, ohne sich die Hände zu waschen. Der Zusammenhang zwischen verschmutztem Wasser und Krankheiten wie Typhus war vollkommen unbekannt. Die Ausbildung erfolgte durch Beobachtung und durch Sezieren. Die Studierenden mussten sich Billets zur Teilnahme an Vorlesungen kaufen.
Die Krankenhäuser waren in einem schlechten Zustand und wurden, wenn irgend möglich, gemieden.
AVIVA-Tipp Wie die beiden Schwestern Emily und Elizabeth Blackwell es dennoch mittels Spenden, Überzeugungskraft, Ausdauer und unendlichem Willen schafften, 1857 ihr New York Infirmary for Indigent Women and Children zu eröffnen, einem Krankenhaus, das ausschließlich von Frauen geleitet wurde, ausschließlich mit weiblichem Personal besetzt war und ausschließlich Frauen aufnahm, beschreibt Janice P. Nimura so leichtfüßig, spannend und humorvoll, dass es eine Freude, ist, ihr zu folgen.
Die Autorin: Janice P. Nimura ist die Autorin von Daughters of the Samurai. A Journey from East to West and Back und veröffentlicht Essays und Buchbesprechungen u.a. in der New York Times, der Washington Post und der Los Angeles Times. Sie lebt in New York. (Verlagsangaben)
Die Übersetzerin: Katrin Harlaß studierte Anglistik und Germanistik an der Humboldt-Universität Berlin (Diplom) und schloss danach an der Staatlichen Fachschule für Wirtschaftskorrespondenz in Berlin ihr Studium der Wirtschaftskorrespondentin für die Sprachen Englisch und Spanisch ab. Nach mehrjähriger Berufstätigkeit in einem Ingenieurbüro machte sie einen Abschluss als Staatl. geprüfte Übersetzerin für die englische Sprache, Fachgebiet: Wirtschaft. Seit 2007 arbeitet sie als freie Übersetzerin in Berlin. Katrin Harlaß übersetzt vorwiegend Sachbücher mit dem Schwerpunkt Politik und Geschichte, z.B. Scarlett Curtis: The Future is female – was Frauen über Feminismus denken und Ezra Klein: der tiefe Graben – die Geschichte der gespaltenen Staaten von Amerika.
Janice P. Nimura
Die Blackwell Schwestern. Wie die ersten Ärztinnen der USA die Frauen in die Medizin brachten
Originaltitel: The Doctors Blackwell
Aus dem amerikanischen Englisch von Katrin Harlaß
Verlag Nagel & Kimche, erschienen am 25. Oktober 2021
336 S., Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN 978-3-312-01254-1
Euro 24,00
Zum Buch: nagel-kimche.ch