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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 13.09.2019


Pauline Delabroy-Allard - Es ist Sarah
Doris Hermanns

Der Debütroman der französischen Autorin kommt daher wie ein Wirbelsturm: Er erzählt die Geschichte einer großen leidenschaftlichen Liebe zweier Frauen, mit einer Besessenheit und Ausschließlichkeit, die auf Dauer nicht gut gehen kann.




Bei einer Silvesterfeier treffen sie sich: Sarah, eine Violinistin, und die Ich-Erzählerin, eine frisch geschiedene Lehrerin mit einer kleinen Tochter. Ihr Kontakt beginnt langsam, erst einmal schreiben sie sich, nur ein paar Worte, Höflichkeiten. Aber schnell gehen sie dazu über, sich zu treffen, sie gehen ins Konzert, ins Kino, ins Theater, treffen sich immer häufiger, Kultur spielt immer eine große Rolle für beide. Sophie ist lebhaft, exaltiert und leidenschaftlich, vor allem ihre Lebendigkeit wird immer wieder betont.

An sich ist die Erzählerin in einer Beziehung, aber nach einer Weile sagt Sarah ihr, dass sie in sie verliebt sei: "Sie überreicht mir das Geständnis wie ein Geschenk." Beide haben vorher noch nie eine Liebesbeziehung mit einer Frau gehabt, aber jetzt stürzen sie sich voll Übergabe hinein. "Nicht bei ihr zu sein wird sinnlos nach der ersten Nacht."

Mit wahrer Besessenheit treffen sie sich, schreiben sich zwischendurch. Alles andere wird nebensächlich, der Lebensgefährte verschwindet, ohne weiter erwähnt zu werden, die Tochter rückt in den Hintergrund wie auch alles andere. "Das äußere Leben existiert nicht mehr. Das tägliche Leben auch nicht."

Als Violinistin ist Sarah häufig mit ihrem Quartett unterwegs, oft reist ihr die Erzählerin hinterher, fast kann sie nicht glauben, dass das, was sie erlebt hat real ist. "Ich habe Sarah seit ein paar Tagen nicht mehr gesehen. Im italienischen Licht, so weit weg von meiner Pariser Wohnung, erscheint mir das, was wir seit ein paar Wochen erleben, verschmolzene Münder, aneinandergepresste Körper, fast als ein Ding der Unmöglichkeit. Es scheint auf einmal unmöglich, dass diese Sache wirklich ist. Ich frage mich sogar, ob sie, Sarah wirklich ist, ob sie nicht meiner Fantasie entsprungen ist." Aber sie weiß, und Sarah gibt es ihr bei einer Schnitzeljagd durch Venedig schriftlich, "sie liebt mich".

Und diese Liebe wird ausführlich beschrieben, vor allem Sarah wird beschrieben, egal, ob sie miteinander schlafen, in ein Café gehen, unterwegs sind oder zu Hause. Körperlichkeit spielt eine große Rolle in dem Roman. "Es geht um Sarah, ihre unerhörte, grausame Schönheit, ihre strenge Raubvogelnase, ihre Feuersteinaugen, ihre tödlichen Mörderaugen, ihre Schlangenaugen mit den hängenden Liedern."

Was sich erst mit langsamen Kennenlernen anbahnt, nimmt schnell Fahrt auf, aus der Freundschaft wird Verliebtsein, wird Liebe, wird Besessenheit: "Eine Frau lieben: ein Sturm." Ihre Begegnungen werden ausführlich beschrieben, sei es im Pariser Alltag, sei es an anderen Orten. Alles andere verliert an Bedeutung. Eine Zeit des Endeckens, des Genießens wird zu einer Zeit der Obsession. Die beiden Frauen fangen an, sich zu verausgaben, auf Dauer fehlt ihnen beiden die Kraft für dieses zu schnelle Leben.

"Unsere Gefühle sind zu intensiv, Gewitter brechen los. Sie wird gemein, sie brüllt, bis die Wände wackeln, sie fällt auf die Knie, herzzerreißend schluchzend." Es folgen Versöhnungen, aber schnell ist wieder jedes Wort zu viel und die Streitigkeiten fangen von neuem an. Die Angst, verlassen zu werden, taucht auf, wird größer, die Erzählerin fühlt sich verschlungen, ein schwarzes Loch tut sich zwischen ihnen auf.

Letztendlich ist es Sarah, die die Beziehung nach etwa einem Jahr beendet, "sie sagt, sie kann nicht mehr, dass es wirklich aufhören muss", und die Erzählerin mit zahllosen Erinnerungen und der Trauer über den Verlust zurücklässt. "Sie verlässt mein Leben, wie sie es betreten hat, schwungvoll. Siegreich." Und "Sie hat mich ausgelaugt, aber ohne sie sterbe ich. Ich schaffe es nicht, es ist zu schwer."

Der erste Teil des Buches endet mit einem unerwarteten Anruf von Sarah, die der Erzählerin mitteilt, dass sie Brustkrebs habe, dass es ernst sei. Bereits zu Anfang wird im Vorspann des Romans deutlich, dass Sarah sterben wird. Die Erzählerin hält es in Paris nicht mehr aus und flieht nach Italien, wo sie völlig zurückgezogen nur noch mit den Erinnerungen an ihre große Liebe lebt.

AVIVA-Tipp: Ein durchaus mitreißender Roman, der mit großem Tempo eine große Liebe packend erzählt. Aber am Ende bleibt die Frage, warum diese Besessenheit, die eine glückliche Beziehung der beiden Frauen unmöglich gemacht hat. Und warum muss der Roman mit einem Tod anfangen und enden? Dürfen Frauen heutzutage nach wie vor nicht zusammen glücklich werden?

Zur Autorin: Pauline Delabroy-Allard, 1988 geboren, erreichte 2018 mit ihrem ersten von der Presse hochgelobten Roman Ça ranconte Sarah die zweite Runde des Prix Goncourt und wurde mit dem Preis Envoyé par La Poste, dem Prix du Style und dem renommierten Preis der französischen BuchhändlerInnen, dem Prix des Libraires de Nancy, ausgezeichnet. Die Autorin absolvierte ein Literaturstudium und eine Ausbildung zur Buchhändlerin und lebt in Paris.

Zur Übersetzerin: Sina de Malafosse, geboren 1984, lebt als Lektorin und Literaturübersetzerin in Toulouse. Sie übersetzt u. a. Adeline Dieudonné, Mathias Menegoz, Antoine Laurain und Jean-Paul Didierlaurent.

Pauline Delabroy-Allard
Es ist Sarah

Originaltitel: Ça raconte Sarah
Übersetzt aus dem Französischen von Sina de Malafosse.
Frankfurter Verlagsanstalt, 2019
Gebunden mit Umschlag. 180 Seiten
ISBN 978-3-627-00266-4
Euro 22,00
Mehr zum Buch unter: www.fva.de

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Doris Hermanns