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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 26.03.2019


Petra Ahne - Hütten. Obdach und Sehnsucht. Mit Illustrationen von Pauline Altmann
Bärbel Gerdes

Sie sind Fluchträume und Sehnsuchtsorte, Luftschloss und Heimat – Hütten regen unsere Fantasie an. Die Redakteurin und Schriftstellerin Petra Ahne hat sich auf die Spuren dieser kleinen Behausungen gemacht und gräbt so manche skurrile Geschichte aus. Nach Frauen in Hütten sucht frau dabei fast vergebens.




Welche kennt ihn nicht: den Traum von einer einsamen Hütte im Wald, an einem See, in der Natur auf jeden Fall, Ruhe und Geborgenheit versprechend?
Petra Ahne hat sich diesen Traum erfüllt. Gemeinsam mit ihrem Mann kaufte sie sich einen alten kleinen Bungalow in Brandenburg in einer Naherholungssiedlung. Zählt das schon als echte Hütte?

Das Kleine, Übersichtliche, das sich Reduzieren auf das Wesentlichste macht den großen Charme dieser tiny houses aus.
"Die Hütte scheint tief in uns drin zu sitzen", schreibt Ahne und erzählt vom Philosophen Gaston Bachelard, der das Wort Gravüren prägte, Räume und Häuser, "die unweigerlich Gefühle auslösen, sobald wir nur ein Bild von ihnen sehen. Sie scheinen uns an etwas zu erinnern, das wir möglicherweise gar nicht erlebt haben, weil sie so beladen sind mit Bedeutung."

Ahne recherchiert nach der Urhütte, jener ersten Behausung, die sich Menschen erbauten. Abbildungen davon gibt es nicht, nur Beschreibungen, wie sie ausgesehen haben könnten. Doch wurden im Jahr 2000 nordwestlich von Tokio Pfostenlöcher und Werkzeuge gefunden, so dass nun davon ausgegangen wird, dass der Zeitpunkt, als die Architektur begann, 500 000 Jahre zurückliegt.
Die Menschen guckten sich von den Tieren, vor allem den Vögeln, ab, wie das Häuslebauen geht. Die Hütte ist der zivilisatorische Anfang, den auch Daniel Defoes Robinson Crusoe erlebt. Erst als er vom Gestrandeten zum Hüttenbewohner wird, als er Getreide anbaut und sogar einen Diener hat, wird er zum zivilen Menschen, der sich die Natur untertan macht.

Die Hütte dient zum Schutz vor Wetter und der Wildnis und Gefahr der Natur. Eine noch so dünne Wand macht den großen Unterschied aus, auf welcher Seite sich der Mensch befindet.
Petra Ahne berichtet von den Männern der Shackleton-Expedition, deren Schiff zerschellte und die sich eine Hütte aus umgedrehten Booten bauten, in denen sie vier Monate in Eis und Kälte ausharrten. Nissenhütten, die nach ihrem Erfinder benannt wurden, gaben den Geflüchteten und Ausgebombten nach dem Zweiten Weltkrieg ein Zuhause und auch heute noch bietet das Modell Better Shelter des UNHCR auf 17 Quadratmetern Geflüchteten und von Katastrophen Betroffenen ein Dach über den Kopf.

In den Vereinigten Staaten schoben sich die SiedlerInnen und Eroberer immer weiter ins Landesinnere und mit ihnen der Prototyp der amerikanischen Hütte, die log cabin aus unbehauenen, aufeinandergestapelten Stämmen, die an den Enden verschränkt sind. Hier dient die Behausung der Inbesitznahme. Der wahre Eigentümer sei der, der sich die Reichtümer des Landes zunutze mache, hieß es.

Natürlich macht die Leserin einen Ausflug zum Walden Pond, wo Henry David Thoreaus Hütte einst stand, über die er seinen großen Text Walden schrieb. Wir lernen, dass Lenin in einer Heuhütte nahe St. Petersburg sein Staat und Revolution schrieb und dass der alte Alm-Öhi in Johanna Spyris Heidi-Romanen dem Dorf unheimlich war.
Petra Ahne zeigt uns Männer, die sich für die Einsamkeit entschieden haben und zum Teil schon seit Jahrzehnten allein in einer Hütte leben. Auch der Una-Bomber Ted Kaczynski, der sich in eine Selbstversorger Hütte zurückzog und von dort Briefbomben verschickte, um der Technisierung der Welt Einhalt zu gebieten, fehlt nicht.

Die Hüttenwelt scheint eine Männerwelt zu sein. Frauen kommen nur am Rande vor. Eine Frau in einer Hütte? Das muss eine Hexe sein, bringt es die Autorin auf den Punkt. Eine Frau, die sich zurückzieht, erregt Misstrauen. Zu offensichtlich verweigert sie sich den ihr zugeschriebenen Eigenschaften, sozial, fürsorglich, nährend zu sein. Umso wichtiger wäre es gewesen, Gegenbeispiele zu finden und sei es in der Literatur. Es gibt Joan Barfoots Roman Eine Hütte für mich allein, in dem eine Frau Hals über Kopf ihre Familie hinter sich lässt, um selbstversorgend in einer Hütte zu leben. Es gibt Schreibhütten, wie die von Virginia Woolf in Sussex und die von Abi Andrews in Wildnis ist ein weibliches Wort.

Virginia Woolfs Writing Hut in Rodmell, Sussex
© Bärbel Gerdes. Virginia Woolfs Writing Hut in Rodmell, Sussex


Das Lesen dieses wunderbar gestalteten Buches, das in der Reihe Naturkunden bei Matthes & Seitz erschienen ist, ist eine große Freude, denn Petra Ahne beleuchtet die Hütten von allen Seiten. Die Hütte verspricht, einen Ort zu haben, an dem ein anderes Leben möglich ist, ein richtigeres, bewussteres, naturnäheres.

Die große Ironie liegt jedoch darin, dass für die ursprünglichen HüttenbauerInnen diese einfache Art des Gebäudes etwas Vorübergehendes, fast Provisorisches war. Heute nimmt es den umgekehrten Weg. Downsizing ist die Devise – zumindest am Wochenende. Websites wie cabin porn wollen die Sehnsucht der Betrachterin nach Natur, Weite und einer behaglichen Hütte, einem kleinen Zuhause befriedigen, selbst wenn die Idylle trügt. Nur allzu oft sind die heutigen Hütten von totgewirtschafteten, überdüngten Feldern umgeben.

Hütten sind Imaginationsräume, wie die Landschaftsgärten des 18. Jahrhunderts und vielleicht setzen ja auch wir bald wieder – wie der Adel des 18. Jahrhunderts - bezahlte Schmuckeremiten vor unsere cabin door – ältere Männer mit einem langem grauen Bart, in einem zottigen härenen Gewand, [die] durch die Unbequemlichkeiten und Annehmlichkeiten der Natur taperte[n], wie Edith Sittwell spottete.

AVIVA-Tipp: Hütten ist wieder ein rundum gelungener und interessanter Band aus der Naturkunden-Reihe. Von zahlreichen Abbildungen begleitet, lernt die geneigte Leserin sämtliche Aspekte des Hüttenwesens kennen und gerät ins Träumen.

Zur Autorin: Petra Ahne wurde 1971 in München geboren. Sie studierte Komparatistik, Kunstgeschichte und Publizistik in Berlin und London. Der vorliegende Band ist der zweite von ihr geschriebene für die Naturkunden-Reihe. 2016 erschien Wölfe. Ein Porträt. Petra Ahne ist Redakteurin der Berliner Zeitung.

Petra Ahne
Hütten. Obdach und Sehnsucht

Mit Illustrationen von Pauline Altmann
Herausgegeben von Judith Schalansky
Naturkunden Nr. 53
Verlag Matthes & Seitz, erschienen am 20.3.2019
132 S.
ISBN 978-3-95757-710-8
28,00 €
Mehr zum Buch: www.matthes-seitz-berlin.de

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Beitrag vom 26.03.2019

Bärbel Gerdes