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Beitrag vom 18.02.2019
Barbara Sichtermann (Hg.): Wie Männer sich die Frau von morgen wünschen
Christina Mohr
"Anders wird sie sein, das ist gewiss, sehr viel anders, die Frau von morgen (...)" - nach allen Seiten offen, ein wenig ratlos schreibt Stefan Zweig anno 1929 auf Aufforderung eines Schriftstellerkollegen. Die Aufgabe lautete: "Die Frau von morgen wie wir sie wünschen"...
Vor neunzig Jahren schien in der Frauenfrage schon viel erreicht: seit 1919 durften Frauen auch in Deutschland wählen und gewählt werden, Frauen studierten am Bauhaus und überhaupt war die Emanzipation der Frau in aller Munde – was allerdings auch für gehörige Verunsicherung sorgte. Vor allem natürlich bei den Männern, die ihre als ehern erachteten Privilegien schwinden sahen, auch und besonders die Intellektuellen, Künstler, Schriftsteller, Philosophen. Denn galt nicht vor Kurzem noch die Frau als ein zu groß geratenes Kind, ein hilfloses Wesen jedenfalls, das den Schutz (sprich: die Bevormundung) eines Erwachsenen (sprich: Mannes) benötigte?
Was hieß das für die Kunst, wenn jetzt auch Künstlerinnen ihren Platz behaupteten? Walter Gropius beispielsweise fürchtete um den Ruf seines Bauhauses, wenn dort zu viele Frauen studierten – konnte man ein solches Institut überhaupt ernstnehmen? Als vorauseilende Reaktion verbannte Gropius die Studentinnen in die Textilklassen, raus aus den prestigeträchtigen Architektur- und Bildhauerkursen hinein in traditionell weibliche Gefilde.
Vermutlich selbst verwirrt von den Bestrebungen der modernen Frau gab der in Dresden geborene Schriftsteller und Journalist Friedrich Markus Huebner 1929 eine Essay-Sammlung heraus, die auf einen von ihm veranlassten Aufruf basierte: Huebner befragte namhafte Schriftsteller wie den bereits zitierten Stefan Zweig, Robert Musil, Richard Huelsenbeck, Otto Flake, Max Brod und andere, wie sie sich die Frau von morgen wünschten – die Fragestellung allein lässt Schlüsse zu, wobei sich die Essays in Inhalt und Aussage durchaus stark unterscheiden. So schreibt der Soziologe und Reiseschriftsteller Leo Matthias einen so witzigen wie liebevoll-aufrührerischen Brief an seine Tochter Camilla ("Mach was du willst. Aber sei nicht tüchtig."), während der österreichische Autor Alexander Lernet-Holenia bereits 1929 erkennt, dass "das Problem der modernen Frau (…) nicht so sehr ein Problem der Frau selbst, sondern vielmehr ein Problem des modernen Mannes (ist)."
Max Brod dagegen sieht große Schwierigkeiten in der "Versachlichung" der Beziehungen zwischen den Geschlechtern: Realitätsbezogenheit in Gestalt der Kunstrichtung "neue Sachlichkeit" war en vogue, aber doch bitte nicht auf dem Gebiet des Eros, auf das erstaunlich viele Autoren gleich in den ersten Absätzen verweisen – und sich dadurch selbst als Männer alten Schlages entlarven, die das Weib auf seine vermeintlich ureigene Sphäre begrenzen. Und der später mit den Nationalsozialisten sympathisierende Frank Thiess sieht große Gefahren in der "neuen Freiheit" der Frauen, die, kinderlos und karrierebewusst, nicht mehr ihrer eigentlichen Bestimmung - Mutterschaft und Familienfürsorge - nachkommen wollen, sondern womöglich (Skandal!) ihre Sexualität genießen wollen: "Denn für jede nicht ganz in ihren Gefühlen erstorbene Frau wird die Erotik ein Weg zur Liebe sein, wofern er nicht der geradeste Weg zur gewollten Mutterschaft ist."
1996 wurden die Essays bei Insel Taschenbuch gesammelt wiederveröffentlicht, damals herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Silvia Bovenschen. Diese Ausgabe ist längst vergriffen, doch nun gibt es eine Neuauflage der Huebner´schen Textsammlung, diesmal bei ebersbach & simon, herausgegeben von Barbara Sichtermann, die den Essays ein kluges Vorwort vorangestellt hat.
AVIVA-Tipp: Wie stark es Männer aus dem Konzept bringt, wenn Frauen in "ihre" Bereiche vorstoßen – oder, wenn auch seltener, die Chancen und Notwendigkeiten längst fälliger Veränderungen sehen, zeigt dieser schmale Band, der sich nicht nur schick an die beste Freundin verschenken lässt, sondern bei der Lektüre für so manches Déja-Vu-Erlebnis sorgt: Denn sehr viel hat sich in den letzten neunzig Jahren (leider) nicht geändert...
Zur Herausgeberin: Barbara Sichtermann, Publizistin und Schriftstellerin (1943 in Erfurt geboren), sie gilt als eine der Intellektuellen der 68er-Generation, 2015 erhielt sie für ihr Lebenswerk den Theodor-Wolff-Preis. Ebenfalls bei ebersbach & simon ist ihr Band Sternstunden verwegener Frauen sowie die Bücher "Ich rauche Zigarren und glaube nicht an Gott" und "Ein freies Frauenzimmer".
Mehr Infos unter: www.barbarasichtermann.de
Barbara Sichtermann (Hg.)
Wie Männer sich die Frau von morgen wünschen
ebersbach & simon, bluenotes Nr. 78, erschienen 23. Januar 2019
144 Seiten, gebunden
ISBN: 978-3-86915-174-8
Mehr zum Buch unter: www.ebersbach-simon.de
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1919 durften die Frauen in Deutschland zum ersten Mal wählen – und auch sonst war es ein Jahr des Aufbruchs, in dem alles wieder möglich schien. Unda Hörner ("Ohne Frauen geht es nicht. Kurt Tucholsky und die Liebe", "Berliner Luft – Pariser Leben") zieht ihre Leserinnen und Leser mitten hinein in dieses besondere erste Nachkriegsjahr und nimmt sie mit in das Leben außergewöhnlicher Frauen in Berlin, Weimar, Wien und Paris. (2018)