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Beitrag vom 29.10.2018
Miriam Meckel - Mein Kopf gehört mir. Eine Reise durch die schöne neue Welt des Brainhacking
Silvy Pommerenke
Brainhacking klingt irgendwie gruselig und ist es vermutlich auch. Was dahinter steckt, ist nichts anderes als das Gehirn "mit technischen Mitteln schneller, präziser, besser" zu machen. Willkommen in der Welt der Selbstoptimierung. Die Wissenschaftlerin, Herausgeberin der WirtschaftsWoche und Professorin für Corporate Communication an der Universität St. Gallen, Miriam Meckel, führt uns auf eine Reise zu den Möglichkeiten der digitalen Zukunft – und sie ist zwiegespalten.
Wie es sich für eine Wissenschaftlerin gehört, führt Miriam Meckel Selbsttests durch. Der erste, den sie zum Thema Brainhacking machte (sie leitete niedrigschwelligen Strom über zwei Elektroden in´s Gehirn, eine so genannte Craniale Elektrotherapie Stimulation, kurz CES), führte zu 36 Stunden Schlaflosigkeit, begleitet von Übelkeit und Kotzerei. Außerdem war ihr Kopf an den Stellen, wo die Elektroden gesessen hatten, etwas deformiert (wobei sich die Deformierung nach einiger Zeit auch wieder zurückbildete). So sieht Selbstoptimierung nun wahrlich nicht aus. Und doch ist die Forschung nicht aufzuhalten, die an einer Hirn-Computer-Schnittstelle arbeitet, die das Geheimnis des Denkens entschlüsseln will, und die die menschliche Intelligenz und kognitive Leistungsfähigkeit aufpolieren will. Und nach Meinung von Meckel geht es dann nicht mehr um Neokapitalismus, sondern um Neurokapitalismus.
Die Hirn-Computer-Schnittstelle ist bei einigen Menschen schon Realität, und wenn von einer Kombination aus Maschine und Mensch gesprochen wird, ein sogenannter Cyborg, so ist das nicht aus einem Science-Fiction-Film entnommen, sondern solche Cyborgs existieren tatsächlich schon. Zum einen ist da der spanisch-britische Avantgarde-Künstler Neil Harbisson, der sich eine Antenne in sein Hirn hat implantieren lassen, um Farben wahrzunehmen, die er sonst aufgrund einer Erkrankung nicht sehen kann. Sein Fazit: Menschen sollten weniger Apps für ihr Handy downloaden, sondern stattdessen Apps für ihre Körper und Hirne. Ein Cyborg etwas neueren Datums ist Moon Ribas, ebenfalls Avantgarde-Künstlerin. Sie hat sich ein Implantat in ihr Sprunggelenk einsetzen lassen, das sie über Erdbeben informiert. Die Vibrationen, die sie dadurch empfängt, setzt sie dann in eine Tanzchoreografie um. Willkommen in der Welt der Cyborgs.
Und weiter geht es mit Meckels Selbstversuchen. Um ihrem eigentlichen Denkprozess etwas näher zu kommen – denn das Gehirn zeichnet sich ja im besten Fall durch das Denken aus -, lässt sie sich für 24 Stunden in eine geräuschisolierte Dunkelkammer einsperren (natürlich mit der Option, diese jederzeit verfrüht zu verlassen). Die möchte sehen bzw. erfahren, wie ihr Hirn tickt, wenn es keine Reize von außen erhält. Ihre Erfahrungen sind äußerst interessant, denn anstatt zur Ruhe zu kommen, wird ihr Gehirn hyperaktiv, als müsse es den Reizentzug irgendwie ausgleichen. Sie sieht Dinge, die nicht existieren und sie nimmt die Stille als dröhnend wahr. Die klaustrophobische Stimmung ist für die LeserIn fast fühlbar. Meckel beschreibt ihre Erfahrung wie einen "Rausch. Nur ohne Drogen". Und sie kommt zu der Feststellung: "Mein Gehirn bringt mich um meinen Verstand". Nach 23 Stunden und 25 Minuten bricht sie das Experiment ab. Ihre Nerven liegen blank. "Wo die Außenwelt fehlt, versucht das Gehirn sie als Innenwelt zu erschaffen".
Neben diesen etwas ernüchternden Selbsttests schildert Meckel aber auch atemberaubende Forschungsergebnisse, die es körperlich eingeschränkten Menschen ermöglicht, mittels ihrer Gedanken, Hirnimplantaten und Funkverbindungen Dinge zu tun, die sie vorher nicht tun konnten. Neben dieser Hirn-zu-Maschine-Schnittstelle gibt es auch schon Experimente von Hirn-zu-Hirn-Schnittstellen. Nicht nur, dass dies eine totale Überwachung möglich machen könnte, sondern ein weiteres Problem besteht darin, dass manche Menschen aus mangelnden ökonomischen oder auch kognitiven Ressourcen beim Wettlauf um die Selbstoptimierung auf der Strecke bleiben. Unabhängig davon wird diese digital-humane Entwicklung wohl kaum aufzuhalten sein.
AVIVA-Tipp: Meckel beschreibt verschiedenste Methoden, das Denken und das Tun effizienter zu gestalten. Sei es, durch Minimierung des Schlafs, durch Einnahme von Medikamenten oder durch Elektro-Neurostimulation. Sie zeigt gleichzeitig auf, wie gefährlich das ist, welche negativen Nebenwirkungen und gesundheitlichen Folgen das haben kann. Amüsant (bisweilen auch gruselig) sind Meckels Selbsterfahrungstrips. Nicht nur, dass sie sich minimalen Stromstößen aussetzt und in einer Dunkelkammer ausharrt, sondern sie schmeißt auch die ein oder andere Pille ein (hoffentlich unter ärztlicher Aufsicht) und berichtet von ihren Erfahrungen. Allen gemein ist, dass sie nicht die gewünschten Ergebnisse erzielen. Die Selbstoptimierung hat also ihre Tücken, vor allem ihre Grenzen. Es ist aber vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis sich das ändert. "Mein Kopf gehört mir" ist ein hochinformatives Buch, das durch den kurzweiligen Schreibstil der Autorin mit Leichtigkeit komplexe Zusammenhänge des Brainhackings (und vieles mehr) erklärt, und der das Sachbuch zu einem wahren Lesevergnügen mit großem Mehrwert macht!
Zur Autorin: Prof. Dr. Miriam Meckel, geboren 1967, Professorin für Corporate Communication und geschäftsführende Direktorin am Institut für Medien- und Kommunikationsmanagement der Universität St. Gallen, Schweiz und Beraterin für Kommunikationsmanagement und Public Affairs.
Nach dem Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Sinologie, Politikwissenschaft und Jura an den Universitäten Münster und Taipei, Taiwan war sie zehn Jahre als Journalistin für öffentlich-rechtliche und kommerzielle Sender (ARD, VOX, RTL) als Moderatorin, Reporterin und Redakteurin in Nachrichten- und Magazinformaten tätig. 2006 bis 2007 war sie Moderatorin des Wirtschaftstalks "Miriam Meckel - Standpunkte" im deutschen Nachrichtensender n-tv.
1999 wurde sie als Professorin für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an die Universität Münster berufen und übernahm als Geschäftsführende Direktorin die Leitung des Instituts für Kommunikationswissenschaft. 2001 wurde Miriam Meckel Staatssekretärin im Geschäftsbereich des Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen zunächst als Regierungssprecherin, später als Staatssekretärin für Europa, Internationales und Medien.
Sie veröffentlichte zahlreiche Bücher, wissenschaftliche Zeitschriftenbeiträge und journalistische Artikel und hält Vorträge zu den Themenfeldern Kommunikationsmanagement, Unternehmenskommunikation, Journalismus, Internet und Medienwandel, Internationale Kommunikation, Medienökonomie.
Miriam Meckel ist Mitglied in der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) und der International Communication Association (ICA). Sie gehört zum Beirat von "Message", der internationalen Zeitschrift für Journalismus, zum Beirat der Zeitschrift Medienwirtschaft und zum Beirat der "Zeitschrift für Politikberatung".
Als Mitglied der internationalen Jury der Development Gateway Foundation bei der Weltbank hat sie den Development Gateway Award ("Petersberg Prize in IT for Development") mitentwickelt, der jährlich verliehen wird. Als Mitglied des Beirats des Deutschen Investor-Relations-Kreises (DIRK) entwickelt Meckel einen Schwerpunkt zur Erforschung zu Kommunikation und Unternehmenswahrnehmung am Kapitalmarkt.
Miriam Meckel erhielt 2001 den Cicero-Rednerpreis in der Kategorie Wissenschaft.
2002 bis 2005 war Miriam Meckel Stipendiatin des "European Asian Young Leaders Forum" der Herbert-Quandt-Stiftung. 2008 bekam sie das "Eisenhower Fellowship" der USA zugesprochen, das alle zwei Jahre an einen Deutschen oder eine Deutsche verliehen wird, die im Rahmen dieses Stipendiums für zwei Monate die USA bereisen und recherchieren können.
Sie ist Faculty Fellow am "Berkman Center for Internet & Society" der Havard University, Lehrbeauftragte an der Hamburg Media School und an der Université de Neuchâtel und Mitglied der Jury des Deutschen Fernsehpreises.
2016 hat sie das 2. Ada Lovelace Festival eröffnet, die Fachkonferenz für Frauen in der IT-Branche und 2017 startete sie gemeinsam mit der WiWo Chief Innovation Officer Léa Steinacker das #StreamTeam mit dem Thema "Dedication".
Buchveröffentlichungen: "Das Glück der Unerreichbarkeit. Wege aus der Kommunikationsfalle" (2007, Murmann) und "Brief an mein Leben. Erfahrungen mit einem Burn-out"(2010, Rowohlt) waren Bestseller im deutschsprachigen Markt.
Seit 2016 ist Miriam Meckel mit der Moderatorin Anne Will verheiratet.
Mehr Infos: www.miriammeckel.de, www.wiwo.de und www.facebook.com/meckelmiriam
(Quelle: Homepage von Miriam Meckel)
Miriam Meckel
Mein Kopf gehört mir – Eine Reise durch die schöne neue Welt des Brainhacking
Piper Verlag, erschienen März 2018
Gebunden mit Schutzumschlag, 288 Seiten
ISBN 978-3-492-05907-7
Euro 22,00
Mehr zum Buch unter: www.piper.de
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