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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 05.05.2018


Barbara Hammer - Evidentiary Bodies
Tina Schreck

Die Retrospektive im Leslie-Lohman Museum of Gay and Lesbian zeigte vom 7. Oktober 2017 bis 28. Januar 2018 bekannte sowie bislang unbekannte Arbeiten der vielfach preisgekrönten, feministischen Künstlerin Barbara Hammer, die als eine der Pionierinnen des lesbischen Dokumentar- und Experimentalfilms gilt. Auch der Katalog zur gleichnamigen Ausstellung bildet die enorme Bandbreite ihrer Arbeiten ab und macht ihre eminente Bedeutung für die queere Künstler_innenszene in Wort und Bild deutlich.




Hauptsächlich ist die Künstlerin für ihre bahnbrechenden Filme bekannt, die sich mit lesbischer Identität, Sexualität und Liebe beschäftigen. Die Retrospektive "Evidentiary Bodies" umfasst neben den Moving Images aber auch Zeichnungen, Fotografien, Collagen und Installationen, deren künstlerische Erzählung sich abermals um die zentralen Themen queerer Intimität, Empfindung, Beziehungen und Prägungen drehen. Barbara Hammers Werk sondiert die feminine Erfahrungswelt und setzt sich zudem mit bis dato als Tabu geltenden Themen wie dem weiblichen Orgasmus, Menstruation, Krebs und immer wieder lesbischem Leben auseinander. In ihren oft provokanten Arbeiten spiegeln sich sowohl ihr Protest gegen das Patriarchat sowie gegen alle Formen sozialer Normen wider. Sie zeigt uns selbstbewusste Frauen, die sich wohl in ihrer Haut und mit ihrer Sexualität fühlen – fernab jeder (männlichen) Sexualisierung.

Making lesbians visible

Seit den 1970er Jahren befasst sich die US-amerikanische Künstlerin in ihren experimentellen Dokumentationen mit lesbischem Leben und seiner Geschichte. Mit ihren progressiven Experimenten fordert sie die von Männern dominierte queere Filmlandschaft heraus und macht die lesbische Welt auch für den Mainstream sichtbar. Ihre frühen Dokumentarfilme demonstrieren den harten Kampf, eine neue Frauenkultur aufzubauen, indem sie eben diese zeigen und eine neue Filmsprache ins Leben rufen. Ungeniert, realistisch und visionär zugleich illustrieren ihre Moving Images lesbische, weibliche Sexualität und Subjektivität während der Zeit der lesbisch-feministischen Movements.

"Lesbian Humor"

Für ihren Kurzfilm "Menses" (1974) beispielsweise erarbeitete Barbara Hammer mit einer Gruppe von Frauen eine Serie von filmischen Sequenzen, um mit der verkrampften Repräsentation von Menstruation zu brechen. In der Anfangsszene stehen nackte Frauen mit gespreizten Beinen an einem Hang und lassen Hühnereier aus ihrer Vagina ins Gras fallen. In einer Close-Up-Aufnahme spritzt mit jedem gelegten Ei leuchtend rotes Blut empor und eine sanfte Frauenstimme wiederholt eindringlich die beiden Silben des Titelwortes "Men-ses". Begleitet wird die Szene von dröhnender Elektromusik. In einer anderen Szene ist eine Frau zu sehen, die sich solange in Toilettenpapier wickelt, bis sie einem gigantischen Tampon ähnelt. Unter dem Titel "Lesbian Humor" fasst Barbara Hammer Jahre später einige ihrer amüsant-provokanten Filme auf einer VHS-Sammlung zusammen und kontert somit das Klischee, "that lesbians are too earnest to ever be anything but inadvertently funny."

The world´s most perfectly developed woman

Aber auch in anderen Arbeiten beweist die Künstlerin Humor. Die Collagen-Serie "Charlene Atlas" (1998) zeigt sie posierend, ihre Muskeln zur Schau stellend in parodistischen Werbeanzeigen, indem sie ihren Kopf mit dem Körper des männlichen Bodybuilders Charles Atlas verbindet und ihn mit einem Leoparden-Bikini versieht. Begleitet werden die Inserate von kurzen Comic-Geschichten, die sich mit Themen wie patriarchalischer Schikane gegenüber (lesbischen) Frauen befassen: "Tired of being picked on? Nobody picks on an ´Atlas Gal´", heißt es in der Überschrift. Denn Charlene Atlas bringt jeden Körper in kürzester Zeit in Bestform und macht aus jeder Frau eine ´real woman´.

Condemnation of mass media

Mit "Cancer Bones" (1994) greift Barbara Hammer eine Thematik auf, die auch heute noch hochaktuell ist: die Massenmedien, denen die Künstlerin äußerst kritisch gegenübersteht. Die Installation zeigt Zeitungsschlagzeilen zu steigenden Krebsraten, Therapieneuerungen und deren Konsequenzen, die mittels Gelantine-Print auf Knochen gedruckt sind: "Chance of Breast Cancer is figured at 1 in 8." Mit diesem Projekt macht sie auf die oftmals von der Pharmaindustrie angewandte Instrumentalisierung von Krankheit und Tod aufmerksam.

Barbara Hammer, die selbst an Eierstockkrebs der Stufe 3T litt, wollte in dieser und anderen Arbeiten zudem auf die Stigmatisierung hinweisen, der viele Erkrankte ausgesetzt sind. Besonders lesbische Frauen seien davon betroffen, schreibt sie auf ihrer Website barbarahammer.com: "Lesbians increase their risk for this disease if they have not had children and have infrequent gynecological exams due to the continuance of a homophobic medical profession." Gleichzeitig war es ihr ein Anliegen, mit ihrer Kunst auch Mut zu machen und ihre Erfahrungen mit anderen Frauen zu teilen. "As a lesbian living with cancer, I want to bring to audiences both my difficult medical diagnosis so that they be more aware and my positive attitude of hope which we can all share."

AVIVA-Tipp: Der Bildband "Evidentiary Bodies" zeigt die vielschichtige Werkschau einer bedeutenden Künstlerin, in der ihre Multidisziplinarität in all ihren Facetten abgebildet wird. Heute wird Barbara Hammer längst als Ikone der queeren Kunstszene gefeiert. In all ihren Arbeiten betrachtet sie die Welt aus weiblicher, femininistischer Sicht und rückte bereits ab den späten 1960er Jahren erstmals die Homosexualität von Frauen in den Fokus, wodurch sie einen Meilenstein in der öffentlichen Wahrnehmung lesbischen Lebens setzte.

Barbara Hammer
Evidentiary Bodies
Hg. Von Staci Bu Shea und Carmel Curtis
Hirmer Verlag, erschienen 2018
112 Seiten, 75 Abbildungen in Farbe, gebunden
Text: Englisch
ISBN: 978-3-7774-2992-2
24,90 Euro
Mehr Infos zum Buch unter: www.hirmerverlag.de

Zur Künstlerin: Barbara Hammer wurde am 15. Mai 1939 in Hollywood, Kalifornien in eine jüdisch-ukrainische Familie geboren. Bekannt wurde sie vor allem durch ihre experimentellen Filme, wobei ihr Gesamtwerk der Moving Images über 80 Stück umfasst. Filmische Retrospektiven wurden im Jeu de Palme (Paris), Museum of Modern Art (New York), Tate Modern, National Gallery of Art (DC), Kunsthall (Oslo), Toronto Film Festival und dem Pink Life Queer Festival (Ankara und Istanbul) gezeigt. In den Jahren 1985, 1989 und 1993 war ihre Arbeit Teil der Whitney Biennial. Einige ihrer Filme sind in den Dauerausstellungen im Australian Center for the Moving Image, dem Museum of Modern Art (New York) sowie dem Centre Georges Pompidou (Paris) zu sehen. Die autobiografische Dokumentation "Tender Fictions", die Teil der Triologie "History trilogy" ist, wurde 1996 beim Sundance Film Festival nominiert. 2010 veröffentlichte Barbara Hammer ihre Erinnerungen unter dem Titel "Hammer! Making Movies Out of Sex and Life". Die werkumfassende Retrospektive "Evidentiary Bodies" wurde vom 7. Oktober 2017 bis 28. Januar 2018 im Leslie-Lohman Museum of Gay and Lesbian Art gezeigt. Ebenfalls 2017 wurden ihre Photographien der 1970er Jahre vom 22. Oktober - bis 26. November 2017 in der Company Gallery in New York ausgestellt. Begleitend dazu fanden Performances, Lesungen sowie Screenings an verschiedenen Orten in ganz New York statt.
Barbara Hammer lebt und arbeitet in New York City und Kerhonkson, New York.

Weitere Infos zu Barbara Hammer unter: barbarahammer.com und www.facebook.com/barbara.hammer

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Beitrag vom 05.05.2018

Tina Schreck