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Beitrag vom 18.04.2017
Marilyn Yalom und Theresa Donovan Brown - Freundinnen: Eine Kulturgeschichte
Ahima Beerlage
Frauenfreundschaften haben Schriftstellerinnen inspiriert, Künstlerinnen miteinander verbunden und aus Schulkameradinnen lebenslange Gefährtinnen gemacht. Aber nicht immer hatten Frauenfreundschaften...
... ein so positives Image. Marilyn Yalom und Theresa Donovan Brown haben sich historisch und gesellschaftlich auf die Suche nach Freundschaften unter Frauen von der Antike bis Heute gemacht.
In vielen Ländern der Erde gehört die "beste Freundin" für viele Frauen zu ihrem Leben. Aber die Zeit, die Frau mit ihr verbringen kann, ist von vielen Faktoren abhängig. "Auch bei uns wird die Freiheit einer Frau, ihre Freunde selbst auszuwählen und Zeit mit ihnen zu verbringen, von familiären, wirtschaftlichen und kulturellen Erwägungen eingeschränkt." schreibt, Marilyn Yalom im Vorwort zu diesem Buch.
Die feministische Autorin und Historikerin ist bekannt dafür, die historische Rolle der Frau aus immer neuen, ungewöhnlichen Perspektiven zu beleuchten. In ihrem Buch "Eine Geschichte der Brust" (Originaltitel: A History of the Breast) geht sie den Phantasien rund um die weibliche Brust durch die Jahrhunderte nach, in "Blood Sisters: The French Revolution in Womens´s Memory" begleitet sie die Frauen der französischen Revolution. Und das ist nur ein kleiner Ausschnitt aus ihren zahlreichen Publikationen, die die ehemalige Professorin für Französisch und jetzige Dozentin am Clayman Institute for Gender Research an der Stanford University in ihrer langen akademischen Karriere veröffentlicht hat.
Als 2007 ihre enge Freundin stirbt, die Autorin Diane Middlebook, hat sie zum ersten Mal das Bedürfnis, über Freundschaften unter Frauen zu schreiben. Sie begeistert Theresa Donovan Brown, mit der sie ebenfalls mehr als zwanzig Jahre befreundet ist, für dieses Projekt. Brown ist in den Führungsetagen der Finanzwelt zuhause und entwickelt zusätzlich Programme zur gesunden Ernährung für benachteiligte junge Menschen. Die beiden Power-Freundinnen machen sich also auf die Suche nach der Bedeutung der Frauenfreundschaften durch die Jahrhunderte. Doch was für uns heute eine Selbstverständlichkeit ist, galt lange als ausgeschlossen für Frauen.
Echte Freundschaft – Männersache!?
"Männliche Autoren erhoben die Freundschaft zu einem männlichen Unternehmen, notwendig nicht nur für das private Wohlbefinden, sondern auch für die staatsbürgerliche und militärische Solidarität", stellen die Autorinnen fest. Männerbünde wurden und werden nicht nur zur Freundschaftspflege, sondern auch zum Knüpfen von beruflichen und politischen Netzwerken genutzt. Frauenfreundschaften dagegen haftet in unserer Zeit ein wenig schmeichelhaftes Image an. Besonders deutlich wird das in Filmen und TV-Serien, in denen Frauenfreundschaften auf "niederträchtige Cliquen gehässiger Teenager und die sexuellen Rivalitäten junger Frauen" reduziert werden und "damit einer Tradition von Stereotypen, die seit langem den Wert von Frauen als Freundinnen infrage stellen." Nahrung geben. Eine der beliebtesten Serien für Mädchen und Frauen in der jüngsten Zeit, "Pretty Little Liars" beruht zwar auf der Freundschaft von fünf Mädchen, doch der Fokus liegt dabei auf Intrigen, Mobbing und Betrug unter Highschool-Mädchen. "Desperate Housewives" lebte ebenfalls von Intrigen, Lügen und Affären, die vermeintlich zum Alltag der Vorstadtfrauen in den USA zu gehören scheinen. Ein Blick in die Geschichte zeigt, wie sehr Frauen und Mädchen in einer patriarchalen Gesellschaft schon immer um ihre Freundschaften kämpfen mussten.
Unsichtbare Freundinnen
Tatsächlich blieben Frauenfreundschaften in der Literatur und in historischen Aufzeichnungen bis ins 15. Jahrhundert weitgehend unsichtbar. Bis auf Nonnen, die sich Briefe schrieben, blieben nur wenige Zeugnisse erhalten. "Sobald die lateinische Sprache von den diversen Landessprachen verdrängt wurde, nahmen Frauen den Federkiel entspannter zur Hand und schrieben immer öfter an ihre Freundinnen." , stellen die Autorinnen fest. Doch die Wurzeln weiblicher Freundschaft reichen bis tief in die antike und biblische Geschichte hinein.
Ruth und Naomi, Urmütter der Freundschaft
In der hebräischen Bibel dominiert die Männerfreundschaft. Naomi und Ruth gehören zu den Ausnahmen. Dabei ist Ruths Bekenntnis zu Naomi ein wunderbarer Liebesbeweis, der bis heute sogar bei Trauungen zitiert wird "Wo du hingehst, da will ich auch hingehen: wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein G´tt ist mein G´tt." Im Neuen Testament überwiegt die Männerfreundschaft, nicht zuletzt die zwischen Jesus und seinen Jüngern. Die vielen Jüngerinnen, die ihn finanziell und emotional unterstützt haben, bleiben Randfiguren. Philosophen und Kleriker dagegen haben seit der Antike nach Definitionen für die Freundschaft unter Männern gesucht. Frauen wurden so tiefgehende Gefühle und edle Gesinnungen, wie sie zu einer guten Freundschaft gehören, zumeist abgesprochen. In den patrilokalen Gesellschaften hat die Frau mit der Hochzeit nicht nur ihren Namen verloren, sondern musste an seinen Wohnort ziehen und sich ganz auf seine Bedürfnisse konzentrieren. Die meisten Frauen konnten nicht lesen und schreiben. Der Kontakt zu alten Freundinnen und Familienmitgliedern riss meist ab. Ein wenig Autonomie bewahrten nur die Frauen, die aus religiösen oder wirtschaftlichen Gründen nicht heiraten konnten oder wollten. Christliche Familien des Mittelalters schickten ihre Töchter ins Kloster oder ließen sie zu Beginen ziehen entweder wenn sie das Brautgeld nicht zahlen konnten, oder wenn sie das Seelenheil der Familie sichern wollten.
Nonnen und Beginen
Nur die unverheirateten Frauen in den Klöstern und Beginenhäusern des Mittelalters konnten platonische und erotische Freundschaften pflegen, auch wenn das die Führung in Rom nicht gern gesehen hat. Ein herausragendes Beispiel sind Hildegard von Bingen und Richardis von Stade. Die klösterlichen Freundschaften waren intellektueller und spiritueller Austausch. Mit dem Aufkommen des städtischen Lebens im endenden 16. Jahrhundert bildete sich eine Schicht wohlhabender BürgerInnen. Die Frauen begannen, ein gesellschaftliches Leben aufzubauen und sich miteinander anzufreunden.
Die preziösen Damen
Als 1625 Henriette Maria, die Schwester des französischen Königs Ludwigs XII. nach England kam, um Karl I. zu heiraten, brachte sie mit ihrer französischen Entourage den Kult um die platonische Liebe mit nach England. Dahinter verbarg sich nicht nur die emotionale Pflege von Freundschaften, sondern sie galt auch als Vehikel für politisch nützliche Freundschaften, mit denen sich die Frauen untereinander vernetzten. Unter den regelmäßigen Teilnehmerinnen waren die zukünftigen Schriftstellerinnen Mlle. De Scudéry, Mme. De Sévigné und Mme. De La Fayette sowie etablierte Schriftsteller wie Chapelain, Corneille und Ménage und Mitglieder der besseren Gesellschaft ohne eigene literarische Ambitionen. Mme. Rambouillet legte allen ans Herz, ihre Sprache und ihr Verhalten auf ein für Frauen der Oberschicht angemessenes Niveau anzuheben. Aus diesem Bemühen, alle vulgären Redewendungen aus der Sprache zu eliminieren und dafür euphemistische Redewendungen zu verwenden, entstand eine eigene teilweise affektierte Sprache, die den an diesen Salons Teilnehmenden das Etikett "Précieuses (preziöse Damen)" einbrachte. Molière machte sich in seinem Theaterstück "Les Précieuses ridicules" 1661 über diese Damen lustig und gab sie damit dem Hohn und Spott aller Französinnen und Franzosen preis, so dass bis heute der Begriff précieuses untrennbar mit ridicules (lächerlich) verbunden ist. Doch diesen Frauen ist es auch zu verdanken, dass sich der Freundschaftsbegriff durch ihre Zusammenkünfte und Überlegungen grundsätzlich verändert hat. Ihrer Auffassung nach war Freundschaft eine nicht fleischliche Vereinigung gleichgesinnter Seelen, die geschlechtsübergreifend bestehen konnte. In einer Zeit, in der das Leben von Mann und Frau zum großen Teil getrennt war und nur in der Ehe und Sexualität Berührungspunkte gesehen wurden, war dieser Gedanke an einer Freundschaft zwischen Menschen ohne Ansehen des Geschlechtes geradezu revolutionär.
Innere Emigration und Schwärmerei
Im 19. Jahrhundert waren durch die industrielle Revolution die beiden Geschlechter in bürgerlichen Kreisen weiter voneinander entfernt als jemals zuvor. Bürgerliche und adelige Frauen waren von allen Arbeiten durch Dienstpersonal entbunden, die Männer gingen in Büros, Fabriken, Universitäten, eigene Handwerksbetriebe oder Krankenhäuser. Gesellschaftliche Konventionen, religiöser Konservativismus sowie eine wissenschaftliche Geringschätzung der Frauen banden die Ehefrauen ans Haus und trieben sie immer mehr in eine schwärmerische Weltflucht, die in idealisierten Frauenfreundschaften ihren Ausdruck fand. Gefühlvolle, teilweise auch erotische Briefe mit heftigen Liebesbezeugungen wechselten zwischen den Frauen des Bürgertums und des Adels. "Romantische Freundschaften zwischen zwei >Mädchen oder zwei Frauen waren wie Liebesaffären oft leidenschaftlich, ausschließlich und beinahe zwanghaft." Die ursprünglich französischen Salons wurden in ganz Europa kopiert und wurden damit zur Initialzündung für spätere Frauenvereine wie die Blaustrumpf-Konversationszirkel im England des 18. Jahrhunderts, romantische Salons im Deutschland des 19. Jahrhunderts und Buchclubs, Gartenvereine, Suffragettenclubs, die Junior League, Hadassah und ähnliche Vereine in Amerika, schließen die beiden Autorinnen den Kreis.
Bostoner Marriages
In den USA wurden Frauenfreundschaften durch die Berufstätigkeit der Frauen geprägt. Frauen der Mittelschicht, die unverheiratet und berufstätig waren, teilten sich manchmal die Miete für eine Wohnung. Diese Verbindungen, die oft auch durch freundschaftliche Bindungen entstanden, wurden auch "Bostoner Marriages" genannt. In dieser Zeit, in der die männliche Homosexualität heftig abgelehnt wurde, der Frau aber keine eigenständige Sexualität, damit auch keine Homosexualität zugestanden wurde, war es nicht wichtig, wie weit diese Freundschaften gingen, solange in der Öffentlichkeit alles "keusch" blieb. Diese "Bostoner Marriages" spiegeln den besonderen Charakter der amerikanischen Moralauffassung wieder, die einerseits von unbedingtem wirtschaftlichen Streben, andererseits von dem tief verwurzelten Pietismus der weißen protestantischen EinwanderInnen geprägt ist.
Neue Freiheit und Freundschaft
Erst ab den Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts erhielten die Frauenfreundschaften einen ganz eigenständigen Charakter. In den unteren Schichten sind die Freundschaften von gegenseitiger Unterstützung in Alltag und Arbeit geprägt. In den höheren Schichten liegt ein Schwerpunkt in der intellektuellen Auseinandersetzung und gesellschaftlicher Ablenkung.
Freundschaften unter Frauen sind entgegen ihrem destruktiven Image in den Medien für viele Frauen noch heute überlebenswichtig. Diese Kulturgeschichte hat ihnen ein kurzweiliges und detailreiches Denkmal gesetzt.
AVIVA-Tipp: Frauenfreundschaften und ihre Möglichkeiten und Begrenzungen sind ein Spiegel für die gesellschaftliche Situation von Frauen. Marilyn Yalom und Theresa Donovan Brown ist es gelungen, großen Freundschaften ebenso spannend und gut recherchiert zu folgen, wie auch einen historischen Bogen zu schlagen, der deutlich macht, wie sehr das gesellschaftliche Bild von Frauen ihre persönlichsten Beziehungen beeinflusst. Der Frauenfreundschaft, die in den Medien eher wie andauernder Zickenkrieg dargestellt und von Männern oft belächelt wird, ist hier ein kenntnisreiches und unterhaltsam zu lesendes Denkmal gesetzt worden.
Zu den Autorinnnen: Marilyn Yalom und Theresa Donovan Brown
Marilyn Yalom, ehemals Französisch-Professorin, ist Senior Scholar am Clayman Institute for Gender Research an der Stanford University. Sie hat zahlreiche Sachbücher veröffentlicht und lebt mit ihrem Ehemann, dem Buchautor und Psychoanalytiker Irvin D. Yalom, in Palo Alto, Kalifornien. Die französische Regierung verlieh ihr 1992 das Offizierskreuz und damit die zweithöchste Auszeichung des "Ordre des Palmes Académique". Mit der Auszeichnung werden Menschen geehrt, die sich im französischen Bildungssystem verdient gemacht haben. Sie wurde ausgezeichnet für ihren "besonderen Beitrag zur französischen Kultur."
Mehr Infos unter: www.myalom.com und gender.stanford.edu
Theresa Donovan Brown hat an der Stanford University und an der Haas School of Business der University of California, Berkeley studiert. Sie hat eine Firma gegründet und geleitet, die sich mit Wirtschaftskommunikation für global agierende Finanzunternehmen beschäftigt. Sie schreibt Reden für Führungskräfte der größten Finanzunternehmen der Welt, handelt mit Wertpapieren auf höchster Ebene, entwickelt Strategien für große Finanzunternehmen und veröffentlicht Kurzgeschichten und Essays, für die sie mehrfach ausgezeichnet wurde. Sie hat ein Programm für gesunde Ernährung und gesunde Lebensführung für benachteiligte Middle-School-Students entwickelt und unterrichtet dieses auch.
Mehr Infos unter: www.theresadonovanbrown.com
Marilyn Yalom, Theresa Donovan Brown
Freundinnen. Eine Kulturgeschichte
Originaltitel: The Social Sex
Aus dem Amerikanischen von Liselotte Prugger
btb Verlag, Verlagsgruppe Random House, erschienen 06.03.2017
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 416 Seiten
22,00 Euro
ISBN: 978-3-442-75685-8
www.randomhouse.de
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