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AVIVA-BERLIN.de im Dezember 2024 - Beitrag vom 20.03.2017


Luise Berg-Ehlers - Berühmte Kinderbuchautorinnen und ihre Heldinnen und Helden
Hannah Hanemann

Der mit vielen Originaldokumenten versehene Band versammelt die wichtigsten und populärsten Kinderbuchautorinnen des europäischen und nordamerikanischen Raums der letzten 150 Jahre. Anhand kurzer biographischer Texte verdeutlicht er die Herausforderungen, denen Schriftstellerinnen sich bis ins 20. Jahrhundert hinein stellen mussten...




... und ehrt ihren Einfluss sowie ihre phantasievollen Schöpfungen.

Luise Berg-Ehlers, die sich in der deutschen und englischen Literatur bestens auskennt und in ihren Anthologien unter anderem zu Agatha Christie und Virginia Woolf veröffentlich hat, widmet sich auf über 150 Seiten Frauen, die unsere Kindheit entscheidend geprägt haben - mit ihren fesselnden Geschichten und charakterstarken Heldinnen und Helden. Anhand fünf thematisch geordneter Kapitel, in denen 27 einflussreiche Kinderbuchautorinnen verschiedener Genres vorgestellt werden, untersucht die Herausgeberin und Autorin Luise Berg-Ehlers die Entwicklung der von Frauen verfassten Kinderbuchliteratur vom 19. Jahrhundert bis heute. Zu jeder Autorin präsentiert sie eine kurze Beschreibung ihres Lebens und ihrer Werke, sowie ein Portrait-Foto und farbige Abbildungen ihrer fiktionalen Held*innen, Bücher oder Wohnorte.

Backfischliteratur von Clementine Helm bis Else Ury

Schreiben zu erzieherischen Zwecken war bis ins 19. Jahrhundert hinein eine der wenigen intellektuellen Tätigkeiten, die für Frauen gesellschaftlich akzeptiert waren. So verwundert es nicht, dass besonders Kinderbücher oftmals von Frauen verfasst wurden, etwa die sogenannte "Backfisch-Literatur", die junge Mädchen an ihre Rolle als angehende Hausfrau und Mutter heranführen sollte.
Eine der ersten Schriftstellerinnen, die mit dieser Art der Literatur größere Bekanntheit und finanzielle Unabhängigkeit erlangten, war Clementine Helm, die 1862 "Backfischchens Leiden und Freuden" veröffentlichte und der es dabei gelang, eine für die Zeit vergleichsweise selbständige und emanzipierte Frauenfigur zu schaffen - auch wenn am Ende ihrer Geschichte die obligatorische Ehe stand.
Aufsehen erregte zwei Jahrzehnte später auch Emmy von Rhodens Protagonistin aus "Der Trotzkopf", die sich gegen den von ihr erwarteten Gehorsam sperrt und den Konventionen ihrer Zeit mit bissigem Humor und frecher Konformitätsverweigerung entgegentritt. Noch einhundert Jahre später erfreute sich der Roman solcher Beliebtheit, dass er 1983 als mehrteilige Fernsehserie verfilmt wurde.

Anfang des 20. Jahrhunderts wurden schließlich die "Nesthäkchen" Geschichten der deutsch-jüdischen Schriftstellerin Else Ury sehr populär. Die Heldin ihrer Bücher, "Nesthäkchen" Annemarie Braun, durchlebt das typische Leben einer Berliner Arzttochter zu Beginn des 20. Jahrhunderts, vom ersten Band "Nesthäkchen und ihre Puppen", in dem die Protagonistin etwa sechs Jahre alt ist, über ihr Medizinstudium in Tübingen bis hin zu "Nesthäkchen im weißen Haar", in der sie bereits selbst Kinder und Enkelkinder hat. Ihrer Schöpferin Else Ury war ein ähnlich harmonisches Leben nicht vergönnt. Im Nationalsozialismus wurden ihre Werke verboten und die Autorin 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Die sympathische Heldin ihrer Bücher ist jedoch in Deutschland bis heute Kult geblieben.

Die Eroberung des Abenteuer-Genres durch mutige Voreiterinnen

Waren die "Backfisch-Romane" vor allem an junge Mädchen zwischen 14 und 17 Jahren gerichtet und bedienten sie noch die herkömmlichen Rollenverteilungen, entdeckten Frauen bald auch ein bis dahin von Männern dominiertes Genre für sich: den Abenteuerroman. Eine der Ersten war die Hamburgerin Sophie Wörishöffer, die bereits Mitte des 19. Jahrhunderts Reise - und Abenteuerbücher ähnlich denen von Karl May schrieb - allerdings bestand ihr Verleger darauf, ihren Vornamen auf den Anfangsbuchstaben zu beschränken, um die Leser*innen bewusst darüber im Unklaren zu lassen, ob die Bücher von einer Frau oder einem Mann verfasst worden waren. Schriftstellerinnen wie Selma Lagerlöff ("Nils Holgerssons wunderbare Reise mit den Wildgänsen"), Erika Mann ("Stoffel fliegt übers Meer") und Enid Blyton ("Fünf Freunde") mussten sich darüber glücklicherweise keine Sorgen mehr machen. Ihre abenteuerlichen Geschichten wurden trotz ihrer eindeutigen Identifizierbarkeit als Autorinnen von Jungen wie Mädchen länderübergreifend verschlungen. Selma Lagerlöff erhielt dafür 1909 sogar den Nobelpreis für Literatur - als erste Frau überhaupt.

Phantasievolle Märchen und magische Protagonist*innen

Auch das Motiv des Phantastischen eroberte im Laufe des 20. Jahrhunderts die weibliche Kinderbuchliteratur. In Großbritannien erfand die gebürtige Australierin Pamela Lynwood Travers 1933 die mit magischen Fähigkeiten versehene Kultfigur Mary Poppins. Lange wehrte sie sich gegen die Verfilmung ihres Materials durch Walt Disney, bis finanzielle Schwierigkeiten ihr schließlich eine Zustimmung abnötigten - mit Disneys Adaption war sie jedoch nie zufrieden. Denn ihre Mary Poppins hatte sie nicht als die zuckersüße Version des Kinofilms konzipiert, sondern als anarchische und komplexe Frauenfigur mit Ecken und Kanten.
Wenige Jahre später ließ die Schwedin Astrid Lindgren Grausedruden, Drachen und die übernatürlich starke Pippi Langstrumpf ihre Bücher bevölkern und erschuf zeitlose Märchen von übersprudelnder Phantasie und emotionaler Kraft. Seitdem ist das Phantasy-Genre aus der Fülle an Kinder - und Jugendliteratur nicht mehr wegzudenken. Vor allem die Engländerin J.K. Rowling hat sich mit ihren "Harry Potter"-Bänden um die Jahrtausendwende an die Spitze der erfolgreichsten Autorinnen geschrieben - nicht nur denen von Kinderbüchern, sondern aller Zeiten.

Luise Berg-Ehlers nimmt die Leserin mit auf eine Reise durch die bunte Welt der Kinderbuchautorinnen, während derer ihr u.a. auch Christine Nöstlinger, Johanna Spyri, Judith Kerr, Anna Sewell, Cornelia Funke und die finnischen Autorin Tove Jansson begegnen. Ihre Auswahl beschränkt sich dabei auf Schriftstellerinnen aus dem westlich-europäischen Raum. Schade, doch ein Buch über Kinderbuchautorinnen aller Kulturen und Kontinente wäre in seiner Fülle wohl kaum zu bewerkstelligen gewesen. Der Flut an erwähnenswerten Autorinnen ist es auch geschuldet, dass einige Biographien recht knapp ausfallen und die Komplexität der jeweiligen Werke und Verfasserinnen nicht voll ausleuchten können. Als liebevoll gestaltete Sammlung über die literarischen Einflüsse der Kindheit ist die Lektüre aber ein unterhaltsamer und sentimentaler Zeitvertreib, der zugleich einen groben Einblick in die Geschichte und Entwicklung der von Frauen verfassten Kinderbuchliteratur gibt.

AVIVA-Tipp: "Berühmte Kinderbuchautorinnen und ihre Heldinnen und Helden" von Luise Berg-Ehlers gibt in kurzen Texten und Abbildungen Auskunft über die versammelten Schriftstellerinnen und macht Lust, alte Kinderbücher mal wieder hervorzukramen und in ihre abenteuerlichen Geschichten einzutauchen.

Zur Autorin: Luise Berg-Ehlers, in Lüneburg geboren und aufgewachsen, studierte in Hamburg und Bochum Germanistik und Theologie und promovierte über Theodor Fontane. 40 Jahre war sie im Schuldienst tätig (u.a. in der LehrerInnenausbildung), davon 25 Jahre Leiterin eines Gymnasiums in Bochum. Veröffentlicht hat sie vor allem zu deutscher und englischer Literatur – von Theodor Fontane über Jane Austen und Virginia Woolf bis Agatha Christie. U.a. erschienen "Extravagante Engländerinnen"(2016), "Mit Miss Marple aufs Land" (2015) und "Unbeugsame Lehrerinnen"(2015) im Elisabeth Sandmann Verlag.

Luise Berg-Ehlers
Berühmte Kinderbuchautorinnen und ihre Heldinnen und Helden

Elisabeth Sandmann Verlag, erschienen 2017
Schutzumschlag, 17 x 24 cm
160 Seiten, Abb. in Farbe
24,95 Euro
ISBN: 978-3-945543-27-6
www.elisabeth-sandmann.de

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Literatur

Beitrag vom 20.03.2017

AVIVA-Redaktion