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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 16.02.2017


Alice Neel - Painter of Modern Life
Hannah Hanemann

Über fünf Dekaden lang hat die amerikanische Malerin Gesellschaft und Menschen in eindrücklichen Gemälden portraitiert. Als Sympathisantin des Kommunismus in den 1950er, Mitglied der renommierten New Yorker KünstlerInnszene in den 1960er und Symbol der Frauenrechtbewegung in den 1970er Jahren,...




...war sie immer ganz nah am Zeitgeschehen. Ihr Werk ist eine bewegende Chronologie des zwanzigsten Jahrhunderts und seiner Vielseitigkeit.

Alice Neel gab dem amerikanischen Realismus des zwanzigsten Jahrhundert ein neues Gesicht. Beziehungsweise unzählige verschiedene Gesichter, die sie in ihrem unverwechselbaren Stil portraitierte und deren Geschichten sich in ihren Gemälden andeuten.
Ausstellungen in Helsinki, Den Haag, Arles und Hamburg haben es sich 2016 und 2017 zur Aufgabe gemacht, Neels Werk in einer Sammlung von über 70 sorgsam ausgewählten Gemälden zu würdigen. Der Ausstellungskatalog, 2016 im Hatje Cantz Verlag erschienen, liefert zudem ausführliche Informationen zu Leben und Werk der Künstlerin, sowie Textmaterial verschiedener AutorInnen.

Individualität und gesellschaftliche Einbettung

"(...) ich spürte, dass die Bilder von den Menschen die Epoche in einer Weise widerspiegeln, wie nichts anderes es könnte. Wenn Portraits gute Kunst sind, reflektieren sie die Kultur, die Zeit und noch vieles Mehr."

Dieses Zitat Alice Neels fasst die Besonderheit und Relevanz ihrer Kunst treffend zusammen. Jede ihrer Arbeiten ist sowohl ein in sich geschlossenes Kunstwerk, das einzeln rezipiert werden kann, als auch Bestandteil ihres umfassenden Gesamtwerkes, das die gesellschaftlichen Veränderungen mehrerer Jahrzehnte dokumentiert und auf ihre prägnantesten Merkmale hinweist. Kleidung, Haltung und Ausdruck verraten der Betrachterin auf einen Blick, welcher Epoche und Kulturdie portraitierte Person angehört und wecken in ihr zugleich eine Vorstellung von deren individuellem Leben, Charakter und Gefühl.

Roher Realismus und psychologische Präzision

Alice Neel portraitierte Menschen aller gesellschaftlicher Schichten. Andy Warhol wurde ebenso zum Motiv eines Gemäldes erkoren, wie eine spanische Mutter mit ihren drei kleinen Kindern oder Neels eigener Vater auf dem Sterbebett.
Die Bandbreite der von ihr festgehaltenen Aspekte menschlichen Lebens ist groß:
Tod, Armut, Alter und Trauer werden in ihren Werken ebenso thematisiert wie etwa Feminismus, Schwangerschaft und Sexualität. Dabei sind ihre Portraits nie geschönt. Farbwahl, Perspektive und Pinselführung ästhetisieren ihre "Modelle" nicht, machen sie aber umso lebendiger und fangen Atmosphären auf bestechende Art und Weise ein.Es ist dieser rohe, manchmal düstere und emotional aufgeladene Stil, der die Künstlerin zu einer der einflussreichsten und wichtigsten Malerinnen des zwanzigsten Jahrhunderts macht.

Neels eigene Erfahrungen haben diesen Stil sicher geprägt: eine gescheiterte Ehe, der frühe Tod einer ihrer Töchter, sowie ein schwerer Nervenzusammenbruch und Klinikaufenthalt überschatteten ihr Leben und sensibilisierten sie für die Abgründe der menschlichen Psyche.
"Wenn ich nicht Künstlerin geworden wäre, hätte ich Psychiaterin sein können", hat Neel einmal festgestellt.
In der Tat ähnelt ihre Herangehensweise der einer Psychiaterin: durch ihre scharfe Beobachtung und präzise Analyse scheinen ihre Portraits direkt zum Kern ihrer Modelle vorzudringen, deren Innerstes nach außen zu kehren, und ebenso schonungslos wie einfühlsam ihre Gefühle, Ängste und Wünsche zu offenbaren.

AVIVA-Tipp: Der Ausstellungskatalog "Painter of Modern Life" gibt neben einführenden Texten einen guten chronologischen Überblick über Alice Neels facettenreiches Werk. Als künstlerische Dokumentation des zwanzigsten Jahrhunderts sind ihre Gemälde faszinierend und ausdrucksstark, einzeln betrachtet beeindruckt vor allem ihre emotionale Kraft.

Zur Künstlerin: Alice Neel wird am 28. Januar 1900 in Merion Square, Pennsylvania als Alice Hartley Neel geboren. Nachdem sie nach ihrem Schulabschluss 1918 zunächst einen kaufmännischen Kurs absolviert und als Sekretärin bei der amerikanischen Luftwaffe arbeitet, studiert sie ab 1921 Kunst an der "Philadelphia School of Design for Women". 1925 heiratet sie den kubanischen Künstler Carlos Enríquez, mit dem sie für zwei Jahre nach Havanna übersiedelt. Mit ihm bekommt sie zwei Töchter, von denen die erste 1927 einjährig stirbt. Durch diesen Schicksalsschlag traumatisiert, erleidet Neel1930 einen Nervenzusammenbruch, der 1931 in einem Suizidversuch mündet. Während dieser Zeit zerbricht ihre Ehe. Ihre 1928 geborene zweite Tochter lebt fortan bei der Familie ihres Ehemanns. Nach fast einjährigem Klinikaufenthalt zieht Alice Neel Anfang der 1930er Jahre nach Greenwich Village, wo sie über die Jahre erste Bekanntheit erlangt und erstmals in Gruppenausstellungen vertreten ist. Ihre erste Einzelausstellung in New York hat sie 1938 in der Galerie "Contemporary Arts, 38 West/ 57th Street".
Turbulente Beziehungen, Armut, sowie die Geburt zweier Söhne von verschiedenen Männern prägen Neels Leben in den 1940er und 1950er Jahre. In dieser Zeit verkehrt sie auch mit SympathisantInnen der Kommunistischen Partei, malt deren Porträts und tritt selbst in die Partei ein.
Ihre linkspolitischen Überzeugungen drückt sie Zeit ihres Lebens in ihrer Kunst aus, etwa indem sie politische AktivistInnen und SchriftstellerInnen portraitiert.
In den 1960er Jahren siedelt Neel an die Upper West Side um und kehrt in den Schoß der KünstlerInnengemeinde zurück. Dort entstehen ihre berühmten Porträts von KünstlerInnen, GaleristInnen und KuratorInnen.
Erst in diesen späten Jahren wird sie einer breiteren Öffentlichkeit bekannt und ihr Werk in New Yorker Einzelausstellungen und Sammlungen gewürdigt, unter anderem im "Museum of Modern Art", der "Graham Gallery" und dem "Whitney Museum of American Art", wo 1974 ihre erste Retrospektive präsentiert wird.
Zu dieser Zeit wird sie zu einem Symbol der Frauenrechtsbewegung und für ihre unkonventionelle Aktmalerei weiblicher Körper gefeiert.
1979 wird Alice Neel zusammen mit den Künstlerinnen Isabel Bishop, Selma Burke, Louise Nevelson, und Georgia O´Keeffe mit dem "Women´s Caucus for Art Award" in Washington D.C. ausgezeichnet.
2005 widmet das "National Museum of Women in the Arts" in Washington D.C. ihr die Ausstellung "Alice Neel´s Women", 2007 ist sie bei der Ausstellung "WACK!: Art and the Feminist Revolution" im "Museum of Contemporary Art" in Los Angeles vertreten.
Außerhalb der USA bleibt Alice Neel zunächst weitestgehend unbekannt. Erst um die Jahrtausendwende werden ihre Werke posthum auch in Europa ausgestellt, etwa in London, Berlin oder Stockholm.
Am 13. Oktober 1984 stirbt Alice Neel nach einer Krebsdiagnose im Kreis ihrer Familie in New York.
Mehr Infos: www.aliceneel.com und www.aliceneelfilm.com

Alice Neel
Painter of Modern Life

Text(e) von Jeremy Lewison, Bice Curiger, Petra Gördüren, Laura Stamps, Annamari Vänskä.
Hrsg. Jeremy Lewison
Gebunden, 240 Seiten, 130 Abb., 25,60 x 29,70 cm. Sprache: Deutsch.
Hatje Cantz Verlag, erschienen 2016
39,80 Euro
ISBN 978-3-7757-4176-7
www.hatjecantz.de

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Beitrag vom 16.02.2017

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