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Beitrag vom 07.01.2017
Margarete Stokowski - Untenrum frei
Ahima Beerlage
Wir können untenrum nicht frei sein, wenn wir obenrum nicht frei sind – das ist die These der aktuell gefragtesten feministischen Kolumnistin und Autorin. Wie keiner anderen gelingt es ihr, leicht verständlich (Selbst)täuschungen ...
... rund um Sex und Gender zu entlarven.
Selbstversuch
Doch wer lediglich eine Sammlung ihrer besten Kolumnen erwartet hat – und das allein wäre schon ein Genuss – sieht sich angenehm enttäuscht. In klug ineinandergreifenden sieben Kapiteln verbindet sie biografische Erfahrungen mit politischer Analyse, verpackt in entspannte Sprache und ungewöhnliche Bilder. Dabei ist die Themenvielfalt beachtlich, ohne dass sie sich verzettelt. Der Kindheit und den darin verborgenen Erziehungsstrategien widmet sie sich im Kapitel Nicht als Prinzessin geboren. In Wachsen und waxen entlarvt sie, wie der Schönheitskult vor allem einen Widerspruch hervorbringt: "Ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als mein Körper anfängt, Zeichen des Frauseins zu entwickeln, bestehen meine größten Sorgen darin, diese Zeichen wegzumachen" - durch Rasur und Enthaarungscreme. Nahtlos geht der kindliche Etat für Comic-Hefte und Süßigkeiten bei der Heranwachsenden für Schönheitsmittel wie Lidschatten, Lipgloss und Bodylotion drauf.
Frauenbild = Männerfantasie
Im dritten Kapitel Wissen wäre Macht geht es um die Fremdbestimmung dieses Frauenbildes. "Würde die Menschheit dieselben Anstrengungen in die Raumfahrt stecken wie die Redaktionen von Frauenzeitschriften in Blowjob-Ratgeber, könnten wir längst zum Kaffeetrinken auf den Mars." bringt Stokowski es bissig auf den Punkt. Das vierte Kapitel Untenrum und Überbau dreht sich um Sex und seine Wertung in der Gesellschaft und im einzelnen Individuum. "Das was wir Sex nennen, ist umgeben von einer ganzen Reihe von Konstrukten, die sich je nach Kultur unterscheiden." Ihre Lösung: Wir müssen lernen, über unsere Bedürfnisse miteinander zu reden. Dabei gibt es für sie aber auch Grenzen. "Zu viel Offenheit ist Belästigung. Wir wollen nicht von allen alles hören, und wer allzu offen ist, scheint kein Geheimnis mehr zu haben." In ihrem fünften Kapitel Weltherrschaft im Alltag stellt sie die Machtfrage und schafft es, Feminismus, Gender Studies und deren Bewertung in der Mainstream-Gesellschaft mit Leichtigkeit und viel Wissen einzuordnen. Im sechsten Kapitel Eine Poesie des ´Fuck you´ empfiehlt sie den Frauen, sich ein dickeres Fell zuzulegen und sich gegen Fremdbestimmung zur Wehr zu setzen.
"Das kann sich im Kleinen und Großen zeigen, und es kann dementsprechend kleine und große ´Fuck yous´ geben, sanfte und harte, laute und leise, ein ´Nö´ oder ein ´Alter, bitte komm klar´ oder ein ´Never ever lasse ich das durchgehen´". Was uns dabei im Wege steht, so Stokowski, ist unsere Harmoniesucht und unser anerzogene Drang, es allen recht zu machen. Sie plädiert für Klarheit und deutliche Präsenz, sich als Feministin lautstark zu Wort zu melden – und vor allem sich nicht kategorisieren oder in Geschlechterschablonen pressen zu lassen. Das gleiche gilt für die Liebe und Beziehungen im Allgemeinen, der sie sich in ihrem letzten Kapitel Nur mit Liebe widmet.
Die Quadratur des Kreises
Ihre geschliffene Sprache hat Margarete Stokowski sich in ihren zahlreichen Kolumnen seit 2009 zuerst für die taz, später für DIE ZEIT und seit 2015 bei Spiegel Online erarbeitet. Der 1986 in Polen geborenen und seit 1988 in Berlin lebenden Autorin gelingt es dabei, das schwierige inhaltliche Feld des queeren Feminismus in lockerer Sprache kenntnisreich zu vermitteln. Ihr Erfolgsrezept: Sie hat ihr Ohr immer eng an allen politischen Diskussionen und bleibt auch ihren Wurzeln treu, indem sie auch für kleinere Magazine wie L-Mag oder Missy Magazine schreibt. Ihr Humor macht sie dabei immun gegen die üblichen Denunziationen, mit denen Feministinnen in der Regel leben müssen: Verbissenheit, Humorlosigkeit. Sie meidet aber auch die immer fraktionierteren pseudowissenschaftlichen Termini, in die sich einige QueertheoretikerInnen verlieren und immer unverständlicher werden. Das macht dieses Buch so stark und unverzichtbar – es bringt die laufenden Diskussionen zum Thema Sex und Gender, Feminismus und Queer unterhaltsam, leicht verständlich und souverän humorvoll auf den Punkt.
AVIVA-Tipp: An diesem Buch kommt zurzeit keine Feministin vorbei. Margarete Stokowski besticht durch ihren Sprachwitz, ihren Kenntnisreichtum und ihren klaren Blick auf die komplizierten Themen Sex, Gender und Feminismus. Bei allen Fakten ist das Buch außerdem ein großes Lesevergnügen.
Zur Autorin: Margarete Stokowski geboren 1986 in Polen, lebt seit 1988 in Berlin und studierte Philosophie und Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie schreibt seit 2009 als freie Autorin unter anderem für die taz, wo 2012 bis 2015 ihre Kolumne "Luft und Liebe" erschien, für DIE ZEIT, Missy Magazine, L-Mag und Das Magazin. Seit 2015 erscheint ihre wöchentliche Kolumne "Oben und unten" bei Spiegel Online: www.spiegel.de/thema/spon_stokowski. (Quelle: Rowohlt-Verlag)
Margarete Stokowski auf Twitter: twitter.com/marga_owski
Margarete Stokowski
Untenrum frei
Gebundene Ausgabe, 256 Seiten
Rowohlt Verlag, 1. Auflage: 8. September 2016
ISBN: 978-3498064396
19.95 Euro
Mehr Infos unter: www.rowohlt.de
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