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AVIVA-BERLIN.de im Dezember 2024 - Beitrag vom 16.12.2015


Gustav Meyrink - Der Golem
Yvonne de Andrés

Der Roman um eine Sage im Ghetto von Prag zählt zu den Meisterwerken der phantastischen Literatur in deutscher Sprache. Anlässlich des 100. Jahrestags seines Erscheinens wurde er im März 2015 bei...




... Hoffmann und Campe in edelstem Druck und Gestaltung neu herausgebracht. Gebunden in grobmaschiges Leinen, mit schwarzem Lesebändchen und ebensolchem Vorsatzblatt, dafür mit tiefrotem Buchschnitt, dazu ein holzschnittartig anmutendes Cover. Ein Buch für Kenner_innen.

Bühne der Geschichte ist eine Traumwelt, sie ist der einzige Ort, an dem der Golem auftritt. Der Traumheld dringt in das innere Zimmer ein, das für eine zugemauerte Krankheit steht, und setzt sich mit seiner Vergangenheit auseinander.
"Ich schlafe nicht und wache nicht, und im Halbtraum vermischt sich in meiner Seele Erlebtes mit Gelesenem und Gehörtem, wie Ströme von verschiedener Farbe und Klarheit zusammenfließen." So beginnt der Roman "Der Golem". Der namenlose Ich-Erzähler befindet sich in einem Hotelzimmer in Prag. Nach der Lektüre über das Leben des Buddha Gotame, verfällt er in einen quälenden unruhigen halluzinierenden Dämmerschlaf und kann nicht mehr unterscheiden, ob er wirklich wach ist oder träumt.

Der anonyme Ich-Erzähler schlüpft im Traum in die Identität des Gemmenschneiders und Antiquitätenausbesserers Athanasius Pernath Der lebte circa dreißig Jahre vor der Erzählung im alten jüdischen Ghetto von Prag. Auch seine Geschichte wird in der ICH-Form erzählt. So wirken seine Erfahrungen intensiver, existenzieller. Der Golem übergibt Athanasius Pernath ein geheimnisvolles hebräisches Buch. Er bekommt den Auftrag die beschädigten Initialen "I" des Kapitels "Ibbur" (Die Seelenschwängerung) auszubessern. Ab da gerät sein Leben aus den Fugen.

Der Golem steht in der jüdischen Kultur für etwas "Ungestaltetes". Der jüdischen Legende nach hat der Wunderrabbi Löw aus Prag eine Menschenfigur aus Lehm geschaffen, den Golem, und diesen zum Leben erweckt. Er kann durch die Magie des kabbalistischen Zaubers zum Leben aktiviert aber auch wieder deaktiviert werden.

Der Archivar Schemajah Hillel erklärt, was es mit dem Golem auf sich hat: "Der Golem ist einerseits Ausdruck der kollektiven Ghetto-Seele, andererseits ist es ein schattenhafter Doppelgänger Pernaths und repräsentiert einen Teil von dessen Selbst, das ihm bisher fremd war."

Die Begegnung des Gemmenschneiders Pernath mit dem Golem zwingt ihn zur Konfrontation mit dem eigenen Ich. Er wird mit seltsamen Erinnerungen konfrontiert, hat Visionen und leidet unter Halluzinationen. Um einen diesem verschlossenen Raum der Psyche zu erlangen, steigt er in das "Zimmer ohne Zugang" hinab und mit "dem Überstreifen der Kleider des Golem integriert Pernath Nicht-Bewusstes in sein bewusstes Ich und überwindet so diesen Doppelgänger."

Er fällt den perfiden Intrigen des Studenten Charousek und des Trödlers Aaron Wassertrum zum Opfer, gerät unter Mordverdacht und findet sich im Gefängnis wieder. An diesem trostlosen Ort verlässt ihn die letzte Zuversicht und der emotionale Abwärtsstrudel dreht sich unaufhaltsam nach unten. Überraschend wird er entlassen und erlebt wie das Ghetto abgerissen wird und seine alten Freunde verschwunden sind.

Die Identitätssuche und der Selbstfindungsprozess sind das zentrale Thema des Romans. Der Ich-Erzähler erwacht und fragt sich, ob das Erlebte wirklich oder nur ein Traum war, denn er stellt fest, dass keine Stunde verstrichen ist. Der anonyme Ich-Erzähler nimmt sich vor: "Ich muß diesen Athanasius Pernath auffinden, und wenn ich drei Tage und drei Nächte herumlaufen sollte, nehme ich mir vor."

Bei seinen Nachforschungen begegnet der Ich-Erzähler sich selbst, d.h. seinem geträumten Ich als Doppelgänger und setzt sich mit der Frage nach der Identität des Menschen, Mystik, okkulten Ansichten und der Gratwanderung zwischen Wahnsinn und klarem Verstand, Traum und Realität auseinander. Wem der Golem erscheint, dem blickt er in seine eigene Seele, er ist sozusagen sein Doppelgänger.

1915, als die Buchausgabe im Kurt Wolff Verlag Leipzig erschien, waren die "alten" Ordnungsmächte untergegangen und es gab es einen starken Wunsch nach Heilsbotschaften und Erlösungsversprechen. Heute, 100 Jahre nach seinem erstmaligen Erscheinen scheint die besondere Stärke dieses Romans die intensive Beschreibungen des jüdischen Ghettos in Prag zu sein, als auch die Konstruktion einer geschlossenen phantastischen Welt.

AVIVA-Tipp: "Der Golem" wurde eines der Erfolgsbücher seiner Zeit und gehört noch heute zu den Steadysellern. Es ist einer der bekanntesten Prag-Romane. Im Nachwort erklärt die Herausgeberin Ulrike Ehmann den Erfolg der düsteren Geschichte so: "Die Faszination des Romans lag wohl vor allem darin begründet, dass er in dieser Zeit der politischen und sozialen Ungewissheit vermochte, die identitätsängste seiner Leser hervorzurufen, dass er den Lesern gleichzeitig zur Beruhigung aber einen bequemen Fluchtweg wies: den ekstatischen, Erlösung verheißenden Weg der Innerlichkeit, den Weg des Menschen zu sich selbst."

Zum Autor: Gustav Meyrink (eigtl. Meyer) wurde am 19. Januar 1868 in Wien geboren. Von 1889-1902 arbeitete er als Bankier in Prag, an dessen Ende man ihn fälschlicherweise des Betrugs bezichtigte. Ab 1905 lebte er als freier Schriftsteller in München. "Der Golem", erschienen 1915, ist sein bekanntester Roman. Meyrink gilt als Klassiker der phantastischen Literatur. In sein Werk gingen mystische und kabbalistische Elemente ein, er selbst konvertierte 1927 zum Mahanja-Buddhismus. Darüber hinaus übersetzte er Werke von Autoren wie Charles Dickens und Rudyard Kipling ins Deutsche. Er starb 1932 in Starnberg.

Gustav Meyrink
Der Golem

Nachwort und Zeittafel von Ulrike Ehmann
ISBN: 978-3-455-40533-0
Gebunden, 384 Seiten, mit Lesebändchen.
35,00 Euro
HOFFMANN UND CAMPE, erschienen 11.03.2015
www.hoffmann-und-campe.de

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Yvonne de Andrés