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Beitrag vom 08.10.2015
Barbara Streidl - Lasst Väter Väter sein
Claire Horst
Bekannt wurde die Journalistin Barbara Streidl im Jahr 2008 mit dem Bestseller "Wir Alphamädchen. Warum Feminismus das Leben schöner macht", den sie mit zwei Kolleginnen verfasste. Das Plädoyer ...
... für einen modernen Feminismus war Teil einer Welle von Publikationen und Debattenbeiträgen, die zeigten: Auch heute noch sind Frauen und Männer keineswegs gleichgestellt und feministische Forderungen längst nicht erfüllt.
Im Fokus der Analyse stand damals die Arbeitswelt. Streidls neues Werk nimmt einen anderen Aspekt unter die Lupe, nämlich Elternschaft und die Rolle, die Mütter und Väter bei der Erziehung spielen. Ihre Leitthese: Dass Väter sich immer noch nicht gleichermaßen an der Erziehung beteiligen wie Mütter, liege nicht an ihnen selbst, sondern an ArbeitgeberInnen, gesellschaftlichen Normen und an den übersteigerten oder fehlgeleiteten Erwartungen ihrer Partnerinnen.
So wichtig es ist, auf die Hürden hinzuweisen, die engagierten Vätern in den Weg gelegt werden – ArbeitgeberInnen entlassen sie nur unwillig in eine Elternzeit, die über die beiden Pflichtmonate hinausgeht, gesellschaftliche Anerkennung erhalten sie nicht unbedingt (Mütter übrigens auch nicht, aber das taucht bei Streidl nicht auf), Mütter meinen oft besser zu wissen, wie das Kind gewickelt oder gefüttert wird –, so verworren scheinen einige der grundlegenden Überzeugungen, auf denen Streidl ihre Thesen aufbaut.
So bleibt die titelgebende Forderung, Väter Väter sein zu lassen, unklar: Väter sollen Verantwortung übernehmen, sich kümmern, aber auf ihre Weise – nicht wie Mütter, sondern eben "als Väter". Was ist damit aber gemeint? Ein paar Witze über "Babybjörn-Väter" (die scheinen das Äquivalent zu den Latte-Macchiato-Müttern darzustellen, Eltern, die es anders machen, als die Autorin sich das vorstellt) im Wickelvolontariat, im Geburtsvorbereitungskurs oder beim Kuchenbacken inklusive, zeigt Streidl vor allem, was Väter nicht sollen: so werden "wie Mütter". Also doch: backen, wickeln und eine entspannte Geburt vorbereiten als basal weibliche Tätigkeiten? Ganz so platt kann die erklärte Feministin Streidl das nicht meinen. Was sie aber stattdessen meint, wird nie so ganz klar. Lasst Väter Väter sein – gerne. Aber was ist denn ein Vater nach ihrer Vorstellung? Einer, der Baumhäuser baut und mit dem Kind durchs Gelände robbt? Das wäre wirklich nichts Neues. Oder geht es einfach darum, dass jede Bezugsperson auf ihre Weise erziehen soll und darf? Es bleibt im Dunkeln.
Was Streidl anprangert, liest sich so ähnlich in den Foren der Männerrechtsbewegung: "... es ist einfacher, den Vater als Zusatz-Kraft zur Mutter zu sehen oder schlimmer noch pauschal zum Samenspender, Wochenendbespaßer oder Unterhaltszahler zu degradieren, als an den gültigen Strukturen zu rütteln." Das mag stimmen – aber ist das wirklich die Realität? Wo sind denn all die Männer, die sich darum reißen, in Elternzeit zu gehen, auf Karrieresprünge zu verzichten, jede Nacht zehnmal das Baby zu wickeln? Und sehen heterosexuelle Frauen ihre Partner tatsächlich als Samenspender?
Auch anderes irritiert. Alle Kinder brauchen einen Vater, davon ist Streidl überzeugt: "Ohne Väter geht es nicht. Nicht nur für die Zeugung werden sie gebraucht. Auch danach sind sie unverzichtbar – und zwar nicht nur, um bei der Geburt Händchen zu halten oder die Nabelschnur zu durchtrennen bzw. um sich finanziell unterstützend oder engagiert beim Freizeitsport zu zeigen. (...) Mama ist nicht genug, das sagen mir nicht nur meine eigenen Erfahrungen als Mutter und als Partnerin eines Vaters, sondern das bestätigen inzwischen auch Erkenntnisse quer durch die Wissenschaften und viele Studien." Als einzigen Beweis zitiert sie einen Psychotherapeuten, der auf die erwachsenen Männer in seiner Praxis verweist: Die litten allesamt unter der Abwesenheit ihres Vaters in der Kindheit.
Andere Familienmodelle? Kinder, die glücklich mit zwei Müttern, liebenden Großmüttern, Großvätern oder MitbewohnerInnen aufwachsen? Gibt es nicht. Diese Abwesenheit fällt der Autorin selbst auf, und so fügt sie knapp ein, sie wolle lesbischen Paaren keineswegs unterstellen, unglückliche Kinder zu produzieren. Überzeugend ist das nicht.
Viel hilfreicher als diese seltsam antiquiert wirkenden Vorstellungen sind die "neun Forderungen für eine bessere Zukunft", die Streidl aufstellt. Darunter sind Vorschläge für eine staatliche Familienförderung, die das gemeinsame Einkommen zugrunde legen würde und damit die immer weitere Zementierung des Gender Pay Gap beenden würde, aber auch Ideen zu einer flexibleren und wirklich partnerschaftlichen Aufteilung der Erziehungs- und Lohnarbeitszeit.
AVIVA-Tipp: Zwiespältig. Einerseits eine gute Idee, die Rolle von Vätern zu beleuchten. Eine Analyse und ein Angehen ihrer Schwierigkeiten und der gesellschaftlichen Hemmnisse wären dringend notwendig. Schade aber, dass es hier so oberflächlich geschieht. Und schade, dass Streidl ihren wirklich zielführenden Forderungen zu einem politischen Umdenken nicht mehr Platz einräumt.
Zur Autorin: Barbara Streidl, geboren 1972 in München, arbeitet als Journalistin. Sie ist Co-Autorin des Buches "Wir Alphamädchen – Warum Feminismus das Leben schöner macht" und Mitgründerin des feministischen Blogs "Mädchenmannschaft". 2012 erschien ihr Buch "Kann ich gleich zurückrufen? Der alltägliche Wahnsinn einer berufstätigen Mutter". Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder. (Verlagsinformationen)
Die Autorin im Netz: www.alpenstrasse.net, http://fraulila.de/barbara-streidl/
Barbara Streidl
Lasst Väter Vater sein. Eine Streitschrift
Beltz Verlag, erschienen im August 2015
Taschenbuch, 168 Seiten
ISBN: 978-3-407-85707-1
16,95 Euro
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
Meredith Haaf, Susanne Klingner und Barbara Streidl – Wir Alphamädchen – Warum Feminismus das Leben schöner macht
Jana Hensel und Elisabeth Raether – Neue deutsche Mädchen
Mirja Stöcker (Hrsg.) – Das F-Wort – Feminismus ist sexy