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Beitrag vom 04.09.2015
Amanda Vaill - Hotel Florida. Wahrheit, Liebe und Verrat im Spanischen Bürgerkrieg
Yvonne de Andrés
Am 18. Juli 1936 hielt die Welt den Atem an. Der Militärputsch in Spanien mobilisierte viele progressive Intellektuelle, die Spanische Republik zu unterstützen. Anhand von Briefen und Erinnerungen...
... erzählt die mehrfach ausgezeichnete Autorin von " Wahrheit, Liebe und Verrat im Spanischen Bürgerkrieg".
Der Spanische Bürgerkrieg spielte eine gewichtige internationale Rolle. Er zeichnete die ideologischen Konfliktlinien Europas nach und brachte die kontinentale Machtkonstellation in Bewegung. Junge Menschen kamen nach Spanien, um mit Schreibmaschine, Kameras und Waffen für die Republik zu kämpfen. 40.000 Freiwillige schlossen sich den Internationalen Brigaden an. Die Hälfte davon fiel im Kampf. Für den Kriegsverlauf und die Existenz der Republik war die Haltung der anderen europäischen Staaten entscheidend. Italien und Deutschland unterstützten die faschistischen Putschisten. Frankreich und Großbritannien entschieden sich für die Nichteinmischung. Die Sowjetunion half und ließ sich dies mit den spanischen Goldreserven bezahlen.
1924 wurde in Madrid das Hotel Florida an der Plaza del Callao im mittleren Teil der Gran Via erbaut, ein Ort des nächtlichen Treibens und Flanierens. Es wurde der Treffpunkt vieler ausländischer Korrespondent_innen und Franco-Gegner_innen. Wie in einem Bienenstock trafen Menschen verschiedener Nationalitäten aufeinander. Amerikaner_innen, Engländer_innen, Deutsche, Französ_innen, Pol_innen, Tschech_innen und viele andere. Intellektuelle, Künstler_innen, Fotograf_innen, Journalist_innen und Lebenskünstler_innen wohnten hier, die sich für den Spanischen Bürgerkrieg engagieren wollten oder auch nur einen Kitzel und ein Abenteuer suchten. Heute befindet sich an dem Ort eine Filiale des Warenhauses El Corte Inglés.
Amanda Vaill hat in ihrem Roman Zeugnisse, Briefe und Erinnerungen der Augenzeug_innen und Zeitgenoss_innen aus der Zeit des Spanischen Bürgerkrieges zu einem Tableau komponiert und mit entsprechenden Schauplätzen versehen. Ein Roman um Wahrheit, Liebe und Verrat auf einer spannenden Zeitleiste des Kriegsgeschehens. Im Mittelpunkt stehen sechs Personen, die drei Paare bilden. Die junge ehrgeizige Journalistin Martha Gellhorn, die mit Ernest Hemingway eine Affäre beginnt. Das Fotograf_innenpaar Gerda Taro und Robert Capa, die noch am Anfang ihrer Karriere stehen, der spanische Zensor Arturo Barea und seine Mitarbeiterin und spätere Frau, die österreichische Journalistin und sozialdemokratische Aktivistin Ilsa Kulcsar. Drumherum bekannte und weniger bekannte Literat_innen und Journalist_innen wie Lillian Hellman, John Dos Passos, Joris Ivens, Virginia Cowles, André Malraux, Gustav Regler, George Orwell, Kasja Rothmann und viele andere.
Im Juli 1936 traf Martha Gellhorn im Hotel Florida ein. Sie kam gerade aus New York und sollte mit Artikeln und Beiträgen aus Europa den New Yorker beliefern. Martha Gellhorn war "das literarische Mädchen der Stunde. Sie war hübsch, hatte eine gute Schulbildung und tolle Beziehungen (Übernachtung im Weißen Haus!, Dinner mit Colette!, Aufenthalte chez H.G. Wells!), und wie keine/r sonst in ihrem Kreis kannte sie sich außerordentlich gut mit der politischen Situation in Europa aus." Für Ernest Hemingway, der aus Key West kommend auf der Suche nach einem neuen Stoff für einen Roman in Madrid war, ein Grund, sie zu umwerben.
Er war in den frühen 20er Jahren in Paris gewesen und hatte dort "In our time" ("In unserer Zeit") geschrieben. Amanda Vaill über Hemingway: "[…] gab es keinen unter den Autoren der Lost Generation, der innovativer, aufregender oder bewunderter gewesen wäre als Hemingway." Er war ein geachteter Star in der Runde. Sein Ruhm steigerte sich 1926 mit dem Erscheinen von "Fiesta". Für Martha Gellhorn, die sich stark zu ihm hingezogen fühlte, dessen Aufmerksamkeiten ihr schmeichelten, war Hemingway der Macho, Mann der Tat und Macher. Er manövrierte Boote durch Orkane, fischte Haifische mit der Maschinenpistole oder half den Internationalen Brigadisten finanziell.
Die Fotograf_innen Robert Capa und Gerda Taro hatten sich Pseudonyme zugelegt und so neue Identitäten gewählt, mit denen sie meinten, besser und einfacher Aufträge zu akquirieren. Sie entschlossen sich nach dem Putsch 1936, die politische und soziale Auseinandersetzung des Spanischen Bürgerkrieg auf der republikanischen Seite zu dokumentieren. Amanda Vaill schreibt über Capa: "Die in jenem Frühjahr stattfindenden Streiks und die Demonstrationen der Volksfront boten mehr als genug Motive für die lebhaften, ergreifenden Bilder, die zum Markenzeichen des jungen Fotografen wurden." Sie erfanden den modernen Fotojournalismus und wurden wichtige Kriegsfotograf_innen, arbeiteten für verschiedene internationale Zeitungen. Gerda Taro trug ab jetzt einen Arbeiter-Overall und Schuhe mit Hanfsohlen (Alpargatas) und ihre Rolleiflex war immer dabei. "Mit dieser Kamera war sie in den Straßen unterwegs und hielt den Geist dieser revolutionären Augenblicke in Bildern fest." Am 25. Juli 1937, während eines Angriffs der deutschen "Legion Condor" der "Brunete-Front" bei Villanueva de la Cañada, wurde Gerda Taro von einem republikanischen Panzer überrollt und starb. Ihre Beerdigung in Paris wurde zu einer Demonstration gegen den Faschismus. "Mittlerweile", schreibt Vaill, "war Gerda zu einer Ikone geworden, zu einer Jeanne d´Arc der Linken, einer antifaschistischen Märtyrin."
Das unbekanntere Paar ist der spanische Schriftsteller Arturo Barea,
er zensierte ab 1936 im Auftrag der Republik die Berichterstattung der ausländischen Journalist_innen, und Ilse Kulcsar. Sie war Sozialdemokratin. Sie lebte, als sie vom Putsch 1936 in Spanien hörte, bereits zwei Jahre im Untergrund. "Sie wusste", berichtet Vaill, "dass sie, wenn sie je wieder österreichischen Boden betrat, festgenommen und womöglich hingerichtet würde". So reiste sie von Brünn über Paris nach Madrid. Hier wurde sie Leiterin der Zensurstelle für die Auslandspresse. Im Verlauf des Krieges nahmen die Schwierigkeiten ausländische Journalist_innen, die sich nicht zensieren lassen wollten, zu. Besonders jedoch die ideologischen Intrigen mit der Aristokratin, Kommunistin und Propagandachefin der spanischen Republik Constancia de la Mora y Maura, die ihnen das Leben zur Hölle machte. Sie war eine überzeugte, zum Kommunismus übergetretene Fanatikerin und hatte deswegen den agnostischen Sozialisten und die Sozialdemokratin, die nicht mit ihr kollaborieren wollten, schnell auf dem Kieker. "Die SIM, die neue, nach dem Vorbild der NKWD strukturierte Geheimpolizei, war auf Ilsa aufmerksam geworden und wollte sie womöglich verhören", so Vaill. Bespitzelung, Überwachung und Denunziationen trieben beide 1938 ins Exil nach Frankreich.
AVIVA-Tipp: Das Hotel Florida ist der Schauplatz, an dem alle drei Paare verkehren. Ein laut summender Bienenkorb, in dem die intellektuellen Freund_innen der Spanischen Republik mit ihren unterschiedlichen Stimmen zu einem großen Konzert ansetzen, wobei die Autorin verschiedene Erzählstränge, Personen und Themen verfolgt, die sie gut miteinander verwebt. Alle Beteiligten haben über den Spanischen Bürgerkrieg in irgendeiner Form berichtet, doch diese Ebene bleibt eher im Zustand einer blassen Kulisse. Die vordergründige zentrale Geschichte ist die der sechs Protagonist_innen. Hier geht es um Liebe, Leidenschaft und Intrige und nicht um Krieg und Politik. Dadurch hat die Autorin das Thema stark reduziert und auch die Tonlage ist etwas melodramatisch. Trotzdem ist das Buch unterhaltsam und lesenswert.
Zur Autorin: Amanda Vaill ist Harvardabsolventin, Autorin sowohl von Sachbüchern und Biografien als auch von Drehbüchern und Preisträgerin vielfacher Auszeichnungen. Als Cheflektorin von Viking Press, für die sie von den 1970ern bis 1992 arbeitete, betreute sie AutorInnen wie Ingmar Bergmann, T.C. Boyle. Amanda Vaill lebt in New York City. (Quelle: Verlagsinformation)
Mehr Informationen unter: www.amandavaill.com
Amanda Vaill
Hotel Florida
Wahrheit, Liebe und Verrat im Spanischen Bürgerkrieg
Originaltitel: Hotel Florida. Truth, Love and Death in the Spanish Civil War
Ãœbersetzt von Susanne Held
Klett Cotta, 1. Aufl. erschienen Mai 2015
Hardcover, Gebunden, 512 Seiten, mit 16 Seiten Tafelteil (s/w)
ISBN 978-3-608-94915-5
24,95 Euro
www.klett-cotta.de
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