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Beitrag vom 12.03.2015
Cristina Perincioli - Berlin wird feministisch. Das Beste, was von der 68er Bewegung blieb
Claire Horst
Was für eine Biografie! Cristina Perincioli kann die Entstehungsgeschichte der zweiten deutschen Frauenbewegung aus erster Hand erzählen, denn sie war von Anfang an dabei. Die Regisseurin hat den...
... ersten deutschen Fernsehfilm über eine lesbische Beziehung gedreht, wichtige Frauenprojekte wie den ersten Vergewaltigungsnotruf mitgegründet – und mit vielen Frauen zusammengearbeitet, die heute als Vorkämpferinnen der Frauenbewegung gelten.
Von diesen Frauen (etwa Helke Sanders, Frigga Haug, Verena Stefan...) und ihrer Arbeit handelt das Buch, das gerade im Querverlag erschienen ist. Ohne dabei andere Ausrichtungen der Bewegung aus den Augen zu verlieren, stellt Perincioli ihre ganz persönliche Sicht auf die Geschichte der Westberliner Frauenbewegungen dar. Dabei lässt sie sich von weiteren Frauen unterstützen, die in Interviews zu Wort kommen, immer kommentiert von der Autorin.
Den Anfang der Frauenbewegung stellt sie im ersten Teil anhand von vier Hauptsträngen dar: "die Linke, die antiautoritäre Bewegung, der Beginn der Lesbenbewegung, und die Entstehung des Frauenzentrums". Die Lesbenbewegung sieht die Autorin als eigentlichen Kernpunkt der radikalen Frauenbewegung – und nicht als einen Flügel davon. Immer wieder wendet sie sich gegen die Darstellung von lesbischen Aktivistinnen als kleine, unbedeutende Gruppe oder sogar als unliebsame Unruhestifterinnen, die noch heute für das schlechte Image der Frauenbewegung verantwortlich sein sollen.
Ergänzt wird Perinciolis chronologische Darstellung durch Dokumente der Zeit – etwa Protokolle von Plenumssitzungen, Reden und Flugblättern. Diese kommentiert sie aus heutiger Sicht – was teilweise zu einem besseren Verständnis verhilft, wenn sie Zusammenhänge erläutert oder den Ursprung eines bestimmten Sprachduktus erklärt. Stellenweise führen ihre Kommentare aber auch zu einer größeren Distanzierung, insbesondere, wenn die Texte nicht aus ihrem eigenen Umfeld stammen.
Eine Motivation, dieses Buch zu schreiben, scheint Perinciolis Wunsch zu sein, andere Darstellungen zu korrigieren. So kritisiert sie etwa sozialistische Autorinnen wie Frigga Haug, die der autonomen – also undogmatischen – Frauenbewegung feindselig gegenüber gestanden hätten. Im Gegenzug kommt Haug dann mit dem Vorwurf der Theoriefeindlichkeit an die autonome Frauenbewegung zu Wort, einem Vorwurf, der sich nicht so leicht abschütteln lässt. Denn Perinciolis Hauptargument gegen sozialistische Frauengruppen scheint vor allem deren Weigerung zu sein, sich auf die eigene, private, "weibliche" Lebenserfahrung zu konzentrieren:
"Ob militant oder als Parteimitglied – sie alle gehorchten einer Politik, die nicht auf den eigenen Bedürfnissen basierte. Diese Entfremdung machte es möglich, dass wir, ohne es zu merken, benutzt wurden."
Grabenkämpfe und Konflikte innerhalb der Bewegung werden also nicht ausgespart: Dass auch linke Männer Feministinnen als Bedrohung ansahen und keineswegs frei von sexistischen Einstellungen waren, zeigt Perincioli am Beispiel ihres Studiums an der Filmakademie. Ein Kommilitone reagierte abwehrend auf ihre Filmideen: "Sein besonderer Hass richtete sich gegen unser selbstbewusstes Auftreten (...), besonders kritische Erwähnung fanden Giselas Bermudashorts."
Debatten um den vaginalen Orgasmus, um Sex als Kriegsmittel und Erniedrigung von Frauen zeichnet die Autorin ebenso nach wie die Geschichte ihres Coming Outs oder lesbenfeindliche Kampagnen der Boulevardpresse. Ihre privaten Erfahrungen werden dabei oft zu Beispielen für das Zeitgeschehen: So fand sie bei der Vorbereitung für ein Filmprojekt zwar schwule Männer, aber keine einzige lesbische Frau, die sich interviewen lassen wollte. Erst ganz allmählich wurde weibliche Homosexualität auch in der Öffentlichkeit sichtbar, nicht zuletzt durch die Arbeiten von Perincioli.
Stellenweise liest sich das Buch dennoch wie ein privates Tagebuch – nicht jede Auseinandersetzung ist für alle heutigen LeserInnen von Interesse. Was es trotzdem mit Gewinn lesen lässt, ist die selbstkritische und oft humorvolle Haltung, die die Autorin heute einnimmt, ohne sich aber von den ehemaligen Zielen zu distanzieren. So schreibt sie über ihre Zeit in einer militanten Frauengruppe:
"Heute bin ich beschämt darüber, wie abstrakt und theoretisch wir im Winter 1970/71 unsere Ziele aussuchten. Wenn ein Aktionsvorschlag ungefähr ins Konzept passte, dann wurde er realisiert. Hauptsache, es passierte etwas. Einmal versuchten wir zu viert eine Miss-Wahl zu stören. Das misslang gründlich, denn wir waren dem Conferencier und dem begeisterten männlichen wie weiblichen Publikum verbal überhaupt nicht gewachsen und wurden ausgelacht."
AVIVA-Tipp: Das Buch kann auch als Kulturgeschichte des alternativen Berlins der 60er und 70er Jahre gelesen werden. Interessant ist, dass die Autorin nicht nur die ideologischen Kämpfe der damaligen Bewegungen nachzeichnet, sondern die alten Debatten weiterführt. Grundsätzliche Streitpunkte wie "Wer ist hier reformistisch?" scheinen sie heute noch zu beschäftigen.
Zur Autorin: Cristina Perincioli ,1946 in Bern geboren, studierte ab 1968 in Berlin an der Deutschen Film- und Fernsehakademie. Mit ihren Spielfilmen "Für Frauen – 1. Kapitel" (Verkäuferinnenstreik), "Anna & Edith" (Frauenbeziehung am Arbeitsplatz), "Die Macht der Männer ist die Geduld der Frauen" (Frauenhausbewegung) lieferte sie Anstöße. Als Mitgründerin der Lesbenbewegung (1972), des Berliner Frauenzentrums (1973) und des ersten Vergewaltigungs-Notrufs (1977) berichtet Cristina Perincioli, wo sie und ihre Mitstreiterinnen die Ideen fanden und die Wut zur Umsetzung. Die Autorin lebt mit ihrer Lebensgefährtin Cillie Rentmeister auf dem Land, südlich von Berlin. (Verlagsinformation)
Die Autorin im Netz: Cristina Perincioli – Sphinxmedien. Medien zu heiklen Themen
Das Buch auf Englisch und Diskussionsplattform: http://feministberlin1968ff.de
Cristina Perincioli
Berlin wird feministisch. Das Beste, was von der 68er Bewegung blieb
Querverlag, erschienen im Frühjahr 2015
Broschiert, 240 Seiten
ISBN: 978-3-89656-232-6
24,90 Euro
www.querverlag.de
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