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AVIVA-BERLIN.de im Dezember 2024 - Beitrag vom 13.01.2014


Assaf Gavron - Auf fremdem Land
Susann S. Reck

Schonungslos, humorvoll und intelligent erzählt Assaf Gavrons neuer, ausgezeichneter Roman von den Anfängen und der Entwicklung einer illegalen Containersiedlung im Westjordanland.




Assaf Gavron ist bekannt dafür, mit seinen Romanen zu überraschen und auch zu schockieren. Wie auch seine vorangegangenen Veröffentlichungen Ein schönes Attentat, (ein Mann überlebt drei Selbstmordattentate) und Hydromania (ein Science Fiction über Wasserknappheit), erzählt der neue Roman von gesellschaftlichen Ängsten in Israel. Politisch gesehen ist die Neuerscheinung jedoch weitaus brisanter.

Westjordanland

Wenige Orte auf der Welt stehen so im Fokus der Aufmerksamkeit wie die Siedlungen im Westjordanland, das zum Territorium des palästinensisches Staates werden soll. Es gibt, auch auf internationaler Ebene, kaum ein Thema, das mehr die Gemüter erregt, provoziert, Vorurteile und Ressentiments schürt, als das der israelischen Politik und ihrer SiedlerInnen. Die Welt blickt auf das Westjordanland, ratlos, fasziniert von der Komplexität des Konflikts.

In einem Interview mit der englischen Online-Ausgabe der israelischen Tageszeitung Haaretz(www.haaretz.com) vom 12. August 2013 erklärt Assaf Gavron die Siedlungspolitik für eines der größten Hindernisse auf dem Weg zu einer Friedenslösung. Sein Roman Auf fremdem Land ist jedoch kein politisches Statement - was sicherlich zu dessen Qualität beiträgt. Gavrons differenzierter Blick zeigt anhand komplexer Charaktere die Vielschichtigkeit eines Dilemmas, bei deren Durchdringung Humor ein wesentlicher Bestandteil ist. Er erzählt von den SiedlerInnen als einem Teil der israelischen Gesellschaft, der Anlass zu unzähligen Kontroversen gibt.

"It´s the most interesting place in Israeli society", erklärt Gavron gegenüber Haaretz. "You don´t know, what jurisdiction applies where: it´s a wild west atmosphere of violence and hostility, amid the most pastoral and beautiful scenery in this country. On top of that you have all the tension with the Palestinians and the army."

Konfliktstoff

Weil Otniel Asis Kirschtomaten züchten möchte, stellt er außerhalb eines Dorfes südlich von Jerusalem einen Container auf und bezieht ihn mit seiner Frau. Schon bald kommen andere SiedlerInnen dazu. Langsam aber stetig entwickelt sich eine Infrastruktur. Ein Stromaggregat wird angeschafft, ein von amerikanischen Juden gesponserter Spielplatz gebaut. Für das Aufstellen der Container am Fuße eines Hügels, der Teil eines Naturschutzgebietes ist, teilweise zum Grund eines arabischen Dorfes gehört, und zudem in der militärischen Sicherheitszone liegt, gibt es keine offizielle Genehmigung. Die verwirrenden, kafkaesk anmutenden Zuständigkeitsbereiche innerhalb der israelischen Verwaltung bezüglich der SiedlerInnen, beschreibt Gavron ausführlich, jedoch ohne sich darin zu verlieren. Der Fokus bleibt immer auf den Menschen, die das Recht in ihrem Interesse auslegen, verdrehen, in Frage stellen. Der Wind, der unablässig über den Hügel weht, ist ebenso Bestandteil der Geschichte, wie die sich entfaltende Wirkung der wachsenden Containeransammlung, deren Ursprung in der Suche nach einem geeigneten Platz zur Aufzucht von Gemüse liegt. Die auch nach internationalem Völkerrecht illegale Siedlung Ma´ale Hermesh Gimel sorgt schon bald für Zwist innerhalb der israelischen Regierung.

Bruderstreit und Positionen

Im Zentrum einer Handvoll Figuren, die im Roman für Assaf Gavron politisch Stellung beziehen, stehen Kirschtomatenzüchter Otniel, der einen vom Zionismus beseelten Pioniergeist verkörpert, sowie zwei Brüder, Roni und Gabi.

Der jüngere von ihnen, Gabi, zieht sich nach Ma´ale Hermesh Gimel zurück, um seine von gewalttätigen Ausbrüchen gezeichnete Vergangenheit hinter sich zu lassen und das Judentum zu praktizieren. Roni, ein sowohl privat, als auch an der New Yorker Wall Street beruflich gescheiterter Geschäftmann, sucht bei seinem Bruder in der Siedlung Unterschlupf, um sich neu zu orientieren. Rückblenden in die Vergangenheit der Brüder erzählen, neben einer komplexen Beziehung zueinander, auch vom Leben der letzten Jahrzehnte in Israel.

Geistreich, witzig, aber auch schonungslos, vermittelt Gavron ein zerrissenes Land, deren BewohnerInnen so faszinierend unterschiedlich sind, wie die politischen Positionen, die sie vertreten. So gibt es in Ma´ale Hermesh Gimel die ultraorthodoxe Jeansrockträgerin, die auch Regierungsbeamte beschimpft, wenn sie es wagen ihre Besitzansprüche an das biblische Land in Frage zu stellen und den Lifestyle-Öko aus einem Vorort von Tel Aviv, dem das Ganze schnell zuviel wird. Auch Menschen auf Sinnsuche wie etwa Roni, der politisch nicht eindeutig Stellung bezieht, sondern von wirtschaftlichen Interessen getrieben wird, gehören zur personellen Ausstattung des Romans.
Als Pläne bekannt werden, die den Verlauf der Sperranlagen (Mauer) durch einen Olivenhain vorsehen, den sowohl die arabische Bevölkerung, als auch die illegalen Siedler nutzen, wird der Staat zum gemeinsamen Feind.

Stellungnahme

Gavron, der sich selbst zu linksliberalen Kreisen Tel Avivs zählt, ist erleichtert darüber, dass er mit dem Erscheinen des Romans nicht dafür angegriffen worden ist, mit den ultraorthodoxen SiedlerInnen zu sympathisieren.
Aber auch die Menschen in der Siedlung südlich Jerusalems, in der Gavron für das Buch recherchiert hat, reagierten trotz der von ihm beschriebenen sexuellen Übergriffe, Filz, Korruption und Machtkämpfe überwiegend positiv auf den Roman. Nichtsdestotrotz betont Gavron gegenüber Haaretz: "I hope it´s clear that I´m presenting a warped and anomalous situation; a psychotic and negativ world."

Gavron distanziert sich ausdrücklich davon, ein politisches Manifest geschrieben zu haben in dem zur Sprache kommt, inwieweit die politische Situation im Westjordanland die Menschen, die dort leben, verändert. Vielmehr habe er versucht das breite Spektrum menschlicher Verhaltensweisen aufzuzeigen, das in einer solchen Situation entsteht.
Gavrons Äußerungen zeigen, auf welch schmalem Grad er sich mit dem Roman bewegt. Sich in Figuren einzufühlen und ihre Beweggründe auszuleuchten, birgt immer auch die Gefahr, den eigenen Standpunkt zu verlieren.
Gavron allerdings hat den Blick von Außen behalten. Über alle politischen Positionen hinweg fesseln Ereignisse und Situationen, die unterhaltsam, intelligent und mit viel Humor erzählt, überzeugen Figuren, die ihrer jeweils eigenen inneren Logik folgend, zum Teil mit Ironie beschrieben werden, ohne zur Karikatur zu verkommen.

AVIVA-Tipp: Zu Recht gilt Assaf Gavrons Roman Auf fremdem Land als eine der aufregendsten Neuerscheinungen der letzten Jahre aus Israel. Mit viel Gespür und Risikobereitschaft wählt der Autor als Schauplatz einen Ort, der sowohl national als auch international im Zentrum der Aufmerksamkeit steht und als solcher ein Wagnis ist. Das Buch eröffnet eine Welt, über die viele reden, die meisten von ihnen jedoch nicht selbst kennen.

Zum Autor: Assaf Gavron,1968 geboren, wuchs in Jerusalem auf und studierte in London und Vancouver. 2010 war er für ein Jahr als DAAD-Stipendiat in Berlin. Er hat bereits mehrere Romane verfasst, u.a. Ein schönes Attentat btb2012, Alles Paletti, Luchterhand 2010 und Hydromania, Luchterhand 2009.
Gavron hat Jonathan Safran Foer und J.D. Salinger ins Hebräische übersetzt, ist Sänger und Songwriter der israelischen Kultband The Mouth and Foot und war im Schreibteam des Computerspiels Peacemaker, das den Nahost-Konflikt simuliert. Gavron ist Kapitän der israelischen Schriftsteller-Fußballnationalmannschaft. "Auf fremdem Land" wurde in Israel mit dem renommierten Bernstein Award ausgezeichnet.
Assaf Gavron lebt in Tel Aviv.


Assaf Gavron
Auf fremdem Land

Originaltitel: The Hilltop
Aus dem Hebräischen von Barbara Linner
Luchterhand Literaturverlag, erschienen September 2013
Gebunden, 544 Seiten
22,99 EUR
ISBN 978-3-630-87419-7


Links:

Offizielle Webseite:
assafgavron.com

Interview mit Assaf Gavron:
www.haaretz.com

The Mouth and Footauf Youtube:
www.youtube.com

Computerspiel The Peacemaker:
www.peacemakergame.com








Literatur

Beitrag vom 13.01.2014

Susann S. Reck