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Beitrag vom 28.11.2013
Gioconda Belli - Davor, die Jugend
Lea Albring
Der neue Gedichtband der Nicaraguanerin ist so impulsiv wie ihre dichterischen Anfänge, gleichzeitig schreibt sie ihm die Erkenntnis der Endlichkeit ein. Die kontrovers diskutierte Lyrikerin...
... dichtet über die Zeit und und die Erinnerung, aber auch über SelbstmörderInnen und Beziehungsdramen.
Keine Angst vor Provokation
Ihre ersten Gedichte aus dem Jahr 1970 waren ein Skandal: zu offen, zu erotisch für ihre streng katholische und konservative Heimat Nicaragua. Dass sie auch gegenwärtig noch polarisiert, hat die Autorin zuletzt in ihrem Roman "Die Republik der Frauen" von 2010 beweisen: Hier entwirft sie einen fiktiven Staat, der ausschließlich von Frauen regiert wird. Die Reaktionen auf diese Utopie reichten von Begeisterung bis Ablehnung – Schwächen waren unter anderem zu stereotyp gezeichnete Geschlechterrollen.
Auch in ihrem neuen Gedichtband bleibt sich Belli treu und schreckt vor provozierenden Themen nicht zurück. So zum Beispiel, wenn sie sich in einen terroristischen Attentäter hineinversetzt: "In dem engen / begrenzten / Raum / der Flugzeugtoilette / stelle ich mir vor, was / der Dschihadist fühlt, der sich in die Luft sprengen will". Auch die Rolle der Frau in der Gesellschaft, eines der Kardinalthemen der Autorin, findet Eingang in ihr neues Werk, das Gedicht "Weibliche Erbitterung" setzt sich eindringlich mit dem Thema auseinander.
Nachsinnen über das Alter und die Gegenwart
Das Älterwerden ist ein weiterer Gedanke, um den sich viele der aktuellen Gedichte gebildet haben, nicht zuletzt der Titel des Bandes – "Davor, die Jugend" – hebt dies hervor. Unverhohlen direkt heißt es in den Eingangsversen von "Nächtliche Schmerzen": "Wo in diesem schmerzenden Körper / ist das junge Mädchen, das ich war?" Es fällt ins Auge, dass es wiederholt die Körperlichkeit ist, anhand derer Belli das Älterwerden illustriert. Ganz eindringlich bringt dies auch das Gedicht "Kalender des Körpers" zum Ausdruck, an dessen Ende die Autorin vielsagend "den periodischen Zyklus / der Erinnerung" stellt.
Geschehnisse und Phänomene der Gegenwart bieten Belli außerdem Anlass zur kreativen Auseinandersetzung, in einem Gedicht verarbeitet sie das Kino-Attentat von Colorado, in einem anderen widmet sie sich dem Internet.
Jeder der 44 lyrischen Texte des Bandes liegt in Spanisch und Deutsch vor. Dies bietet die Möglichkeit des Vergleiches und zeigt auf, dass Gedichte im Gewand einer anderen Sprache auch funktionieren können, gerade wenn es sich um Prosagedichte handelt.
AVIVA-Tipp: Viele der lyrischen Texte sind einfach zu erfassen und lesen sich flüssig, andere stellen die Leserin vor interpretatorische Herausforderungen. Ein echter Gewinn ist die Zweisprachigkeit des Bandes. Das Nebeneinander von Spanischen und Deutschen Texten stellt die Übersetzungen von Angelica Ammar nicht auf den Sockel der Deutungshoheit, sondern hebt hervor, dass jede Übertragung in eine andere Sprache eine neue Version des Originals ist.
Zur Autorin: Gioconda Belli wurde 1948 in Nicaragua geboren und schloss sich im Alter von 21 Jahren der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) an, die gegen die Somoza-Diktatur kämpfte. Vor politischer Verfolgung floh sie Mitte der Siebziger ins Exil nach Mexiko und Costa Rica. Nach dem endgültigen Sturz der Diktatur kehrte die Autorin 1979 in ihr Heimatland zurück. Internationalen Ruhm erreichte sie 1988 mit "Die bewohnte Frau", ein Roman über die Sandinistische Revolution. Für ihr Werk "Die Republik der Frauen" erhielt sie 2010 den lateinamerikanischen Literaturpreis "La otra orilla". Viele ihrer Bücher wurden auch auf Deutsch veröffentlicht, darunter Poesie, Prosa und ihre Memoiren. (Quelle: Verlagsinformationen)
Die Autorin im Netz: www.giocondabelli.org
Gioconda Belli
Davor, die Jugend
Originaltitel: En la avanzada juventud
Ãœbersetzt von Angelica Ammar
Peter Hammer Verlag, erschienen 15.07.2013
Klappenbroschur, 130 Seiten
19,95 Euro
ISBN: 978-3-7795-0476-4
www.peter-hammer-verlag.de
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