Ute Remus - Bloß nicht auf Sand bauen - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Literatur





 

Chanukka 5785




AVIVA-BERLIN.de im Dezember 2024 - Beitrag vom 12.06.2013


Ute Remus - Bloß nicht auf Sand bauen
Sibylle Plogstedt

Die schönen Schwestern haben viele Heiratskandidaten, und Klara sogar schon einen Bräutigam, einen Inspektor aus Berlin. Ferdinand fährt durch die Gegend und hält Ausschau nach Gütern, er fragt: ...




... Was kostet die Welt?

Klara ist verzaubert von Ferdinand. Ein idyllischer Beginn, die Aussteuer in der Truhe für die drei Töchter. Nur die von Klara ist nicht ganz gefüllt. Die älteren Schwestern heiraten Bauern. Klara will höher hinaus. Sie träumt mit Ferdinand vom Rittergut. Er pachtet das Land. "In der ersten Nacht im Verwalterhaus setzt sich ein Kauz auf den Baum vor das Schlafzimmer und hört nicht auf zu rufen. Klara bekommt Angst und Ferdinand schießt in die Luft. Der Kauz ruft weiter, bis es hell wird."

In Ute Remus autobiographischem Roman, es ist ihr Erstling, geht es um das Leben ihrer Eltern. Das Gut in Pommern ist schnell gemietet. Aber mit einem zu hohen Pachtzins ist das Gut Friedensthal belastet. Ferdinand, der Vater, eigentlich ein Apotheker aus Berlin, legt eine Pleite als Gutsbesitzer hin. Ferdinand und Klara ziehen weiter. Nach Rostock und schließlich nach Karnkowo, wo er ein enteignetes Gut betreibt. Und nach dem Krieg zurück nach Hamburg.

Karriere macht Ferdinand auch im besetzten Polen nicht. Dazu fehlt ihm das Parteibuch. Den Ariernachweis hätten sie nicht erbringen können. Die Großmutter war Halbjüdin, eine geborene Bernheim aus Berlin-Lichterfelde. Die Gefahr für die Großmutter verbot den Eintritt in die NSDAP. So blieb der Vater im 2. Glied, Bauer im Reichsnährstand. Zwei Kinder hatten sie schon: Horst und Erdmuthe. Das Käuzchen schrie zurecht. Die liebenswerte Erdmuthe starb an Meningitis. Ihr Grab blieb in Karnkowo.

Während der Vater Ferdinand noch als Soldat eingezogen wird, zog die Mutter Klara zurück nach Hamburg. Sie ist wieder schwanger. Ute, als zweite Tochter geboren, hat ihr Leben lang mit dem Gefühl zu kämpfen, Ersatz für ihre untröstliche Mutter zu sein. Das Warnsignal ihrer Eltern vor Augen, achtet sie darauf, ihr Haus ja nicht auf Sand zu bauen. Dabei kommt sie doch nach dem Vater.

Bestückt mit Familienfotos der Familie auf all ihren Gutshöfen, die nicht die ihren waren. Spuren finden sich im Haushalt der Autorin. Von dort stammen die Fotos der Sauciere mit goldenem Griff, vom Brotbrett, auf dem steht: ´Unser täglich Brot gib uns heute´. "Wer hat den Spruch und die Ähren in den Brotteller eingeschnitzt? Etwa Vater?" fragt die Autorin.
Dem Buch ist eine Recherche vorausgegangen, die etwa zwanzig Jahre dauerte. Eine, die nicht mit dem Ziel eines Buches begonnen wurde und sich dennoch zu einem fügte.

In dieser Spurensuche dominiert keine Klage. Das Wissen, an das sich die Autorin nach und nach herangetastet hat, ist verarbeitet. Sie geht ins Positive. Idyllisch die Heirat der Eltern. Ab und an, nicht systematisch Hinweise auf vergangene Abstürze der Eltern. Aber sie sind vergeben jedoch nicht vergessen. Und ganz sicher nicht mehr zu ändern. Zwanzig Jahre früher hätte das Buch sich noch anders gelesen.

Der Vater starb kurz nach dem Krieg, Das Leben war ihm zu viel. Der nächste Neuanfang auch. Ins Poesiealbum der Tochter hat er aber noch geschrieben:

Licht - Liebe –Leben - Mögen Dich in Leid und Freud
Stets umgeben. Dein Vater


Übrig bleiben die Familienfragmente. Erfahrenes über die Lichterfelder Verwandtschaft, die (halb)verborgenen jüdischen Vorfahren. Ute Remus setzt sie ans Ende ihres Buches, sie fügt sie nicht ein. Sie sind in einem anderen Tempo und mit anderer Emotionalität erzählt. Waren die Bernheims der Grund für die ewig währende Angst der Mutter? Nein wohl nicht, die konnten geschützt werden.

"Das ist mein Ende, das ist unser Ende", ruft die Mutter, als die Autorin nach Karnkowo aufbricht, um das Grab der Schwester zu suchen. Sie fürchtete noch Jahrzehnte nach dem Krieg, für die Vertreibung der Polen zahlen zu müssen. Die Tochter muss den Bann brechen, der von dem Grab ausgeht und der auf Generationen Leben und Liebe überschattet.

Ute Remus schreibt über die jüdische Großmutter:

Auf Besuch
Bei mir
Totensonntags

Ihre Teelöffel
Silbern
Leise gerührt

Aufgelöst
In der Tasse
ihr Leben

Ihr Würde
Schenken sie mir
Ihre Kleider

Eins weiss das andere
Schwarz

Zur Autorin: Ute Remus wurde 1940 in Hamburg geboren. Sie machte eine Ausbildung zur Schauspielerin, war Sprecherin beim SDR und später im WDR Redakteurin und Moderatorin. Die CIVIS- und Kurt-Magnus-Preisträgerin arbeitete in der Redaktion ´Daheim und Unterwegs´ und leitete das Frauenmagazin "Abwasch".

Ute Remus
Bloß nicht auf Sand bauen

Ralf Liebe Verlag, Weilerswist, erschienen 1.3.2013
216 Seiten, gebunden
15,00 Euro
ISBN 978-3-941037-97-7



Literatur

Beitrag vom 12.06.2013

AVIVA-Redaktion