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Beitrag vom 07.05.2013
Frauen - Liebe und Leben – Herausgegeben vom LehmbruckMuseum
Veronika Siegl
Der Bildband zur gleichnamigen Ausstellung schlägt ungewöhnliche und vielfältige Brücken – vom Leben zum Tod, von der Liebe zum Hass, von der Kindheit zur Mutterschaft, von der Malerei zur ...
... Fotografie, vom Bild zum Text.
Auch wenn im vorliegenden Sammelband die Bilder eindeutig als Protagonistinnen auftreten, kommen die Worte nicht zu kurz. Dürfen sie gar nicht, denn die Werke sollen, laut Gastkuratorin Denise Wendel-Poray, als Spiegel fungieren, "in denen Kunst, Sprache und Musik interagieren". Christa Wolf scheint also in diesem Fall nicht recht zu haben, wenn sie in ihrem Hauptwerk "Kassandra" schreibt: "Das Letzte wird ein Bild sein, kein Wort. Vor den Bildern sterben die Wörter." Ihr Zitat steht im Sammelband einem Gemälde von Gisela Breitling gegenüber. Im Dunklen eine junge Frau, die Bluse über die linke Schulter gehängt, darunter nackt, die rechte Hand zum Körper gewendet, ihre Fingerspitzen berühren leicht das Dekolleté. Der Blick ernst, sie wirkt unsicher und selbstbewusst zugleich. "Wenn ich mich heute den Faden meines Lebens zurücktaste, der in mir aufgerollt ist (...), das Mädchen – dann bleibe ich an dem Wort schon hängen, das Mädchen, und um wie viel mehr hänge ich erst an seiner Gestalt. An dem schönen Bild." (Wolf).
Streifzüge
Die Interaktionen zwischen Kunst, Sprache und Musik folgen dem roten Faden von Robert Schumanns Liederzyklus "Frauenliebe und -leben", der Mitte des 19. Jahrhunderts aus der Vertonung von Adelbert von Chamissos Gedichten entstand. Die Lieder portraitieren die Lebensphasen einer Frau in Bezug auf ihre erste Liebe, wobei laut Wendel-Poray weniger konkrete Ereignisse im Vordergrund stehen als damit verbundene Emotionen: "das Staunen, die Freude, der Schmerz, der Verlust und die Angst vor dem Tod". Der Zyklus strukturiert den Band in neun Kapitel. "Zeit der Unschuld", "Leben – ein Tanz", "Metamorphosen", "Abschied" – um nur einige der Titel und Themen zu nennen. Als Opernsängerin, Musikologin und Kritikerin spannt Denise Wendel-Poray in dem Band – sowie in der Ausstellung – geschickt einen Bogen über all diese Aspekte. Zusätzlich zu den Streifzügen durch das Leben sowie durch verschiedene künstlerische Genres stellt der Band auch eine Reise durch die Geschichte der zeitgenössischen Kunst dar, in der bekannte und weniger KünstlerInnen der Nachkriegszeit präsentiert werden.
Bild und Text – mal verbunden, mal disparat
Die Werke reichen von Ölbildern über Kohle- oder Rötelzeichnungen, Radierungen, Fotografien, bis hin zu Skulpturen. So beispielsweise Werke von Kiki Smith, Alberto Giacometti, Alex Katz, Cornelia Schleime oder der US-amerikanischen Feministin Nancy Spero, die in einer im Buch zitierten Textpassage die "sofortige Beendigung der repressiven, sexistischen Herrschaft männlicher Egos über Museen, Galerien etc." einfordert. Wie in diesem Beispiel, werden die Frauenportraits oft in Beziehung zu einer textuellen Ebene gesetzt – Gedichte, Lieder, Ausschnitte aus essayistischen, literarischen, wissenschaftlichen Texten. Roland Barthes kommt hier ebenso zu Wort wie Ingeborg Bachmann, Simone de Beauvoir oder die Bee Gees. Bild- und Schriftsprache ergänzen sich, stehen einander gegenüber, mal verbunden, mal disparat. Die KünstlerInnen und SchreiberInnen sind dabei sowohl Subjekt als auch Objekt. So finden sich beispielsweise Madonna oder Meret Oppenheim – der anlässlich des hundertsten Jubiläumsjahres eine Retrospektive im Martin-Gropius-Bau in Berlin gewidmet ist – vor der Linse der Fotografin Barbara Klemm wieder.
Einblick in eine Privatsammlung
Der Bild- und Textband will jedoch weder eine bestimmte (politische) Aussage treffen, noch eine vollständige, in sich geschlossene Geschichte erzählen. Vielmehr handelt es sich um einen Einblick in die auf Frauendarstellungen fokussierte Privatsammlung der in Bad Homburg lebenden JuristInnen Maria Lucia und Ingo Klöckner – "Einziger Maßstab ist die eigene, persönliche Ästhetik, einzige Vorgabe ist das Thema, einziges Qualitätsmerkmal das handwerkliche Können.", heißt es dazu auf der Homepage des Museums.
AVIVA-Tipp: Die vielen künstlerischen Ebenen, die in dem Bild- und Textband miteinander in Beziehung gesetzt werden wollen, können eine/n schnell verwirren. Dennoch lohnt sich ein Blick ins Buch, denn auch wenn mensch sich nicht der Komplexität des Bandes widmen möchte, laden die Bilder und Texte zum Assoziieren, Nachdenken und auf-sich-Wirken-lassen ein.
Die Ausstellung läuft bis zum 8. September 2013 im LehmbruckMuseum, Duisburg.
Weitere Informationen finden Sie unter: www.lehmbruckmuseum.de
Frauen – Liebe und Leben
Herausgeben vom LehmbruckMuseum, mit Beiträgen von Philippe Dagen, Raimund Stecker, Denise Wendel-Poray u.a.
Gestaltung von Anna Wesek
Hantje Cantz Verlag, erschienen 2013
Hardcover (Leinen) mit Schutzumschlag
ca. 288 Seiten, ca. 160 farbige Abbildungen
ISBN: 978-3-7757-3534-6
39,80 Euro
www.hatjecantz.de
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