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Beitrag vom 01.05.2013
Amy Waldman - Der amerikanische Architekt
Nele Herzog
New York City zwei Jahre nach den Terroranschlägen vom 11.09. 2001: Eine Jury ist mit der Aufgabe betraut, das SiegerInnenmodell einer Ausschreibung für das Mahnmal auf dem Ground Zero auszuwählen.
Nach langem Hin und Her entscheidet sie sich schließlich für den "Garten", einen paradiesischen Rückzugsort zum stillen Gedenken.
Als sich jedoch herausstellt, dass der bisher anonym gebliebene Architekt des Gewinnermodells den islamischen Namen Mohammed Khan trägt, entfaltet sich Amy Waldmans Story erst richtig. Umgehend wird in Frage gestellt, ob ein Mann, der nach Islam klingt, ausgerechnet seine Version vom Paradies auf die durch Islamisten verursachte Trümmerstätte setzen darf. Waldman skizziert im Folgenden glücklicherweise nicht, wie so viele vor ihr, das gewollt-anrührende Portrait einer tief getroffenen amerikanischen Nation. Sie legt stattdessen anhand des Konfliktes um die Herkunft des Architekten die strukturellen Schwierigkeiten innerhalb einer angststarren, teilweise rassistischen Gesellschaft offen. Dabei bleibt sie nicht bei Schwarz und Weiß im Sinne von Gut und Böse, arbeitet sich stattdessen an feinsten Zwischenstufen ab, um unterschiedliche AkteurInnen vorzustellen.
Da ist zunächst einmal der umstrittene Gewinnerarchitekt, von seinen Freunden schlicht "Mo" genannt. Er ist in den USA geboren und aufgewachsen, gemäß amerikanischen Idealen sehr karriereorientiert und ehrgeizig, dabei auch egozentrisch und größenwahnsinnig. Die überzeugteste Anhängerin seines Entwurfes ist die schöne, kluge Socialité Claire Burwell, die ihren Mann bei den Terroranschlägen verlor und im Garten den angemessensten Grabstein für die ganz persönliche Trauer ihrer Familie sieht. Sie sitzt stellvertretend für alle Angehörigen in der Jury. Beide sind gewohnt, zu bekommen, was sie wollen, doch in diesem Fall müssen sie bald erkennen, dass sie die Rechnung ohne ein paar Millionen AmerikanerInnen gemacht haben. Die wohl unsympathischste Rolle in Waldmans Plot nimmt die "New York Post"-Journalistin Alyssa Spier ein. Basierend auf zwielichtigen Recherchemethoden verfasst sie einen Artikel, der den Namen des Architekten erst enthüllt. Damit kippt sie Öl in ein bisher eher unterschwellig glimmendes Feuer.
KritikerInnen sehen in Khans Entwurf ein Paradies für MärtyrerInnen und keine angemessene Gedenkstätte, konservative Medien hetzen, Opferverbände protestieren - schlecht fundierte Meinungen und haltlose Anschuldigungen verbreiten sich wie ein Lauffeuer.
Ob Waldman die lächerlichen Befindlichkeiten der vor allem weißen ProtagonistInnen gekonnt als Stilmittel benutzt, um sie an den Pranger stellen zu können, oder vielleicht sogar versucht, die amerikanische Ignoranz und Fremdenfeindlichkeit zu entschuldigen, ist zunächst unklar. Geschickt lenkt sie die Emotion der LeserInnen mit dieser Taktik in eine Ecke, in der es leicht fällt, sich seiner eigenen liberalen Standpunkte bewusst zu sein und aus dieser Haltung heraus die Handelnden zu verurteilen. Mit liebevoll-detaillierten Charakterbeschreibungen werden die LeserInnen im Weiteren allerdings verunsichert. Bevor Architekt Khan und Witwe Burwell aber zu nachvollziehbar werden können, zwingt die Autorin diese Figuren, dem von allen Seiten Druck auf sie ausübenden Meinungssturm nachzugeben. Die unvorhersehbare Entwicklung der Standpunkte von Waldmans Hauptfiguren wirkt wie ein vehementer Vorwurf an die einseitigen Blickwinkel, die Medien oft in Berichterstattungen über 9/11 reproduzierten. Gleichzeitig ist sie aber auch ein veranschaulichendes Fallbeispiel: Den LeserInnen wird klargemacht, dass vorschnelles Urteilen in Hochzeiten von Religionskriegen und politischen Intrigen nicht nur die Spezialität konservativer AmerikanerInnen ist.
Der brisante Streit um die Deutungshoheit über den schmerzhaft tiefen Ground Zero verkommt in "Der amerikanische Architekt" zum politisch inkorrekten Instrumentalisierungskrieg zwischen Öffentlichkeit und Privatheit - das laut nach Vergeltung fordernde Gezeter mächtiger Institutionen übertönt die still und unerkannt bleibende Trauer von enttäuschten Einzelpersonen. Auf dem Weg in die Zukunft blockiert die Empfindlichkeit des angeschlagenen, amerikanischen Egos aller Beteiligten in Form eines dunklen Schleiers, der den nüchternen Blick auf größere Zusammenhänge verwehrt.
Amy Waldman hat ein Buch geschrieben, das innerhalb der USA größtenteils wie ein Worst-Case-Scenario gelesen wurde. In der New York Times formulierte Autorin Michiko Kakutani eine Rezension auf der Annahme basierend, dass Waldman sich mit "The Submission" ( So der englische Originaltitel) lediglich ein "Was wäre wenn..." ausgemalt habe:
"Ms. Waldman, a former reporter for The New York Times, imagines what would happen if a jury in charge of selecting a ground zero-like memorial were to choose, from among the many anonymous submissions, a design that turns out to have been created by a Muslim-American architect.”
Bezeichnend ist, dass sich 2010 ein ähnliches Szenario in New York City abspielte, Waldman aber zu diesem Zeitpunkt den ersten Entwurf der Geschichte längst niedergeschrieben hatte. Unweit des tatsächlichen Ground Zero sollte ein muslimisches Kultur-Zentrum eröffnet werden.
Die Öffentlichkeit reagierte entsetzt, es kam zu islamfeindlichen Aufmärschen und prekären Debatten - all das angestachelt durch die "New York Post", genau wie in der Fiktion. Kakutanis Rezension wurde 2011 veröffentlicht und erwähnt diese Vorfälle mit keinem Wort.
AVIVA-Tipp: Ebenso wie Waldmans Buch aus amerikanischer Sichtweise nicht zu unbedacht in der Schublade abgelegt und vergessen werden darf, sollten LeserInnen anderer Nationalitäten sich der Standfestigkeit ihrer eigenen Haltung, was Islamfeindlichkeit und die 9/11-Anschläge betrifft, nach dieser Lektüre nicht mehr so sicher sein. Die ehemalige Journalistin erinnert zu Recht daran, dass Rassismus keine per se amerikanische Eigenschaft ist, sondern eine menschliche.
Zur Autorin: Amy Waldman wurde 1969 in den USA geboren und lebt in Brooklyn. Nach ihrem Studium in Yale arbeitete sie acht Jahre lang als Reporterin der New York Times, war davon drei Jahre Vize-Leiterin des Südasien-Büros der Zeitung. Sie übernahm zudem die Berichterstattung rund um die Anschläge vom 11. September 2001. Ihre Geschichten erschienen bisher im Atlantic, der Boston Review und in der Financial Times.
Mehr Infos unter: www.amywaldman.net und www.thesubmissionnovel.com
Amy Waldman
Der amerikanische Architekt
Originaltitel: The Submission
Übersetzung: Brigitte Walitzek
Schöffling&Co, 2. Auflage erschienen 2013
512 Seiten, gebunden, mit Lesebändchen
ISBN: 978-3-89561-491-0
24,95 Euro