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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 18.10.2011


Eva Illouz - Warum Liebe weh tut
Nina Breher

Was können FeministInnen klischeehaften Bestseller-Ratgebern entgegensetzen, die behaupten, Männer seien vom Mars und Frauen von der Venus? Neben Empörung nun auch diese minutiöse Untersuchung,...




...die das Leiden an der romantischen Liebe in der heutigen Zeit theoretisiert und es auf diese Weise zu einem gesellschaftlichen Politikum machen will.

Wie die israelische Soziologin Eva Illouz auf nicht weniger als 450 Seiten eindrücklich zeigt, verkommt die glückliche Liebe zunehmends zur Unmöglichkeit. Wenn eine Krise der Zustand ist, in dem "das Alte tot ist und das Neue noch nicht geboren werden kann" (Antonio Gramsci), dann ist "Warum Liebe weh tut" weniger die im Titel versprochene Begründung, sondern vielmehr die Diagnose und Aufarbeitung einer solchen Krise. Wir befinden uns in einer Krise der romantischen Liebe selbst.

Von Jane Austen zur Ratgeberliteratur

Der Ansatz ist erfrischend: Die Autorin konfrontiert Liebesbriefe vergangener Jahrhunderte, Romane und Dramen des klassischen Zeitalters mit Auszügen aus Internet-Kontaktbörsen, Foren, selbst geführten Interviews und Zeitungskolumnen. Das Beschreiben des Liebesleids altbekannter RomanheldInnen und deren Vergleich mit heutigen AkteurInnen ist ein unterhaltsamer und einleuchtender Weg, das Moderne an der Liebe im 21. Jahrhundert herauszuarbeiten. Dies darf LeserInnen allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass das vorliegende Buch eine ernstzunehmende Theorie der Liebe in der heutigen Zeit ist.

Was hat die Liebe mit Soziologie zu tun?

Nach eigener Aussage untersucht Illouz die Liebe wie Karl Marx einst die Waren, nämlich als ein sozial mystifiziertes, historisches Faktum, das "die Institutionen der Moderne in komprimierter Weise mit sich" trägt und dessen Zauber "ein sozialer Zauber" sei.

Dass das persönliche Empfinden sozial determiniert sei, ist eine grundlegende Annahme des vorliegenden Werks. Obwohl die Realität stets individuell erfahren wird, sind es die Rahmenbedingungen, die das Leben – auch das Gefühlsleben – organisieren. Das Individuum muss kulturelle Arbeit leisten, um eventuelle Widersprüche innerhalb der gegebenen Strukturen miteinander in Einklang zu bringen. Erfahrungen sind dennoch nie privat, denn sie finden immer in und durch Institutionen statt. Die soziale Erfahrung wird also zwischen dem Institutionellen und dem Psychischen gemacht.

Das Psychische ist politisch

Offenbar ist "Warum Liebe weh tut" auch geschrieben worden, um populären Psychologisierungen und Freudianisierungen des Individuums soziologisch die Stirn bieten zu können. Durch die mangelhafte Beachtung des psychischen Leids habe es die Soziologie bisher versäumt, die Verletzlichkeit des Selbst unter den Bedingungen der Spätmoderne adäquat zu theoretisieren, so dass Psychologie und Biologie auf diesem Feld eine privilegierte Position innehalten. Das Leiden an der Liebe habe aber mit der Verteilung wirtschaftlicher und politischer Macht zu tun und sei deshalb nicht zuletzt eine soziologische und geschlechterpolitische Frage. Anstatt dies anzuerkennen, herrsche heutzutage eine unproduktive "Mars-Venus-Terminologie" vor – eine Tendenz vieler Ratgeber und gängiger Methoden der Psychotherapie. Diese schlägt vor, dass für ein harmonisches Miteinander Männer den Frauen besser zuhören und Frauen andererseits Männern ´ihre´ Autonomie lassen sollen.

Diese Aussagen entlarvt Illouz elegant als einen entscheidenden Teil der problematischen Konstitution von Liebesbeziehungen und dem Schmerz, den diese hervorrufen: "Möchte dieser Rat desorientierten Männern und Frauen auch wie eine nützliche Hilfestellung scheinen, um über die hohe See der Geschlechterunterschiede zu schiffen, so dient er doch in vielerlei Hinsicht vor allem dazu, die Auffassung zu stärken, Männer seien emotional unfähig und Frauen müßten ihre emotionale Konstitution in den Griff bekommen."

Das Regime emotionaler Authentizität

Indem romantische Bindungen früher an gesellschaftlichen Status und an die Einbindung in ein soziales Gefüge gekoppelt waren, hielt die Liebe eine gesellschaftliche Funktion inne. Was die heutige Liebe von der in früheren Jahrhunderten unterscheidet, ist die Tatsache, dass sie von dieser gesellschaftlichen Komponente entkoppelt ist. Sie verweist nicht mehr auf Plätze in der Gesellschaft und auf Notwendigkeiten, sondern nur noch auf das Individuum selbst. Zudem hat sie das Dogma der Authentizität verinnerlicht. Gefühle sollen nicht erst durch die tatsächliche Interaktion mit dem Gegenüber entstehen, sondern sich von selbst "offenbaren". Je irrationaler sich Gefühle aufdrängen, als umso authentischer werden sie bewertet.

Durch das Aufzeigen verschiedener Transformationen der gesellschaftlichen Möglichkeiten der PartnerInnenwahl ("Ökologie der Wahl") und der individuellen Kategorien, die dazu herangezogen werden ("Architektur der Wahl"), untersucht das Buch detailliert das Freud und Leid der Menschen an der Liebe. In diesem Zusammenhang verantwortlich zeichnet sie einerseits die Veränderungen der Heiratsmärkte und der Sexualbeziehungen, die sich zunehmend den Strukturen des kapitalistischen Marktes anpassen. Zudem erschwert ein verändertes Verständnis des Individuums Bindungen zusätzlich, da es als erstrebenswertes Ziel angesehen wird, sich selbst zu verwirklichen. Die in diese Strukturierung des Willens eingewobene Geschlechterasymmetrie äußert sich darin, dass Männer Sexualität auf eine Weise kanalisieren, die sie in eine machtvolle Position bringt. Klischees entsprechend, aber diese nicht abnickend, ergeben die Untersuchungen von Illouz, dass Sexualität heute ein Mittel der Zurschaustellung und der Aufrechterhaltung von Männlichkeit ist.

Autonomie und Anerkennung als Widerspruch

Im zweiten Kapitel ihrer Arbeit wird eine Begründung dafür vorgeschlagen, warum Beziehungen zunehmend komplizierter und instabiler werden. Der Autorin zufolge sind Liebe und Sexualbeziehungen heute Orte der Aushandlung des Selbstwertgefühls, da Individuen nicht mehr über ontologische Sicherheiten verfügen. Diese wurde bisher durch feste Ständegefüge gewährleistet. So ist eine Eigenschaft heutiger Beziehungen die, dass sie einen anhaltenden Prozess der Bestätigung einschließen müssen, um gegenseitige Anerkennung zu gewährleisten (so durch wiederholte Liebesbekundungen). Dies reibt sich jedoch an dem primären Gebot der heutigen Zeit, das verlangt, autonom zu sein. Eine derzeit nicht lösbar scheinende Spannung zwischen der Bedrohung der Autonomie durch eine Liebesbeziehung und dem Wunsch nach Anerkennung durch ebendiese strukturiert das Gefühlsleben und das Geschlechterverhältnis. Jede Beziehung ist gleichzeitig die einzige Möglichkeit, Anerkennung zu erlangen, als auch die ständige Gefahr, Autonomie abgeben zu müssen.

Eva Illouz gibt den komplizierten Dynamiken der Liebe ein Gesicht – und ein Geschlecht. Während Männer sich das Autonomiegebot zunutze machen, indem sie Bindungen zunehmend verweigern, spüren Frauen die Unvereinbarkeit zwischen Autonomie und Anerkennung stärker. Dies hat seine Ursache in noch immer ungleichen Geschlechterbeziehungen, in denen Männer die symbolische Macht auf ihrer Seite sehen. Sie sind es, die die Spielregeln des (nicht-) Zusammenseins gestalten. Beide Geschlechter leiden in ähnlichem Maße, nicht aber auf die gleiche Weise, unter der Liebe. An dieser Stelle sei erwähnt, dass sich die Autorin ausdrücklich auf heterosexuelle Beziehungen konzentriert.

Warum Liebe weh tut

Die Antwort ist einfach: Weil sie es muss. Der Titel des Werks ist das Analyseinstrument, anhand welchem sich zeigt, was das spezifisch Moderne am heutigen Liebesleid ist. Die Ideale der Gleichheit und der Freiheit haben die unerwünschte Folge nach sich gezogen, dass sie Verbundenheit und Leidenschaft abmildern. Sie haben sogar Männerdominanz begünstigt, indem sie Sexualität zu einer Ware gemacht haben, zu einem kulturellen Gut, aus dem Männer privilegiert schöpfen. Die Begründungen der Psychologie und der Biologie für die unterschiedlichen Umgangsweisen von Männern und Frauen mit Liebe und Sexualität sind keine Lösungsansätze, sondern Symptome eines Problems. Liebe, so schließt Illouz, ist eine wichtige menschliche und kulturelle Ressource, aus der zu Schöpfen sich lohnt. So befinden wir uns in einer Epoche, in der die Liebe ihre alte Faszination verloren hat. Es sei an der Zeit, sich auf die Suche nach neuen Formen der romantischen Liebe zu machen, die Gleichheit begünstigen. Und das darf auch mal weh tun.

AVIVA-Tipp: Trotz aller Kritik der Autorin daran – auch dieses Buch kann als Ratgeber gelesen werden. Wer unter Liebeskummer leidet, der wird es helfen, die nüchternen Mechanismen zu verstehen, die dem gefühlten Schmerz zugrunde liegen. Produktiver als andere seiner Art ist dieser ´Ratgeber´ allerdings, denn Eva Illouz weist unsere hochgradige persönliche Verstrickung in die Mechanismen des Kapitalismus´ nach und spürt bisher übersehene Geschlechterungleichheiten im romantischen Beisammensein auf. Sie lässt uns, ob wir unter der Liebe leiden oder nicht, das Heute verstehen. Und sie fordert uns auf, an neuen Formen zwischenmenschlicher Beziehungen zu arbeiten: "Das Ziel der Geschlechtergleichheit besteht folglich nicht in gleicher Distanziertheit, sondern in der gleichen Fähigkeit, starke und leidenschaftliche Gefühle zu empfinden." Ein etwas pathetisches, aber genau deshalb wunderschönes Plädoyer für eine Form der Liebe, die noch nicht geboren ist.

Zur Autorin: Eva Illouz, geboren 1961 in Fes (Marokko), ist Professorin für Soziologie an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Ihr Werk widmet sich vor allem dem Einfluss des Kapitalismus auf das Gefühlsleben. Zu ihren bekanntesten Veröffentlichungen gehören "Der Konsum der Romantik. Liebe und die kulturellen Widersprüche des Kapitalismus" (2003), "Gefühle in Zeiten des Kapitalismus" (2006) und "Die Errettung der modernen Seele. Therapien, Gefühle und die Kultur der Selbsthilfe." (2009).

Eva Illouz
Warum Liebe weh tut
Eine soziologische Erklärung
Originaltitel: Why Love Hurts. A Sociological Explanation

Aus dem Englischen von Michael Adrian
Suhrkamp Verlag, erschienen Oktober 2011
Gebunden, 466 Seiten
ISBN: 978-3-518-58567-2
24,90 Euro
Weitere Informationen finden Sie unter: www.suhrkamp.de


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Beitrag vom 18.10.2011

AVIVA-Redaktion