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AVIVA-BERLIN.de im Dezember 2024 - Beitrag vom 23.05.2008


Ohne zu Zögern. Varian Fry. Berlin – Marseille – New York
Yvonne de Andrés

1940 saßen viele Flüchtlinge - KünstlerInnen, JüdInnen, KommunistInnen - in Frankreich fest. Die helfende Hand der Côte d´Azur besorgte und fälschte Papiere und ermöglichte ihre Rettung.




Varian Fry, (1907 bis 1967) reiste als junger amerikanischer Journalist 1935 mehrfach nach Berlin und wurde Augenzeuge der Judenverfolgung auf dem Kurfürstendamm. Erschüttert berichtet er für "The Living Age": "Die Menge hielt jedes Auto an, in dem jüdisch aussehende Menschen fuhren, zog diese aus den Autos, um sie zusammenzuschlagen." Diese aufwühlende Erfahrung brachte ihn nach seiner Rückkehr in die USA dazu, Geld zu sammeln für die Arbeit gegen den Nationalsozialismus.

Im Juni 1940, nach der Besetzung Frankreichs durch die Wehrmacht, schickte die gerade gegründete US-Organisation Emergency Rescue Committee (ERC) Varian Fry nach Marseille. "Ich verließ New York. Die Taschen voller Listen mit Namen von Männern und Frauen, die ich retten sollte. Mein Kopf war voller Ratschläge, wie ich die Sache angehen sollte. Aber würden diese Ratschläge in Frankreich helfen, so direkt unter der Nase der Gestapo?" berichtet er in seinem Manuskript "Surrender on Demand". Die ERC hatte zum Ziel, vor allem Intellektuellen die Ausreise in die USA zu ermöglichen. Hier traf er viele linke und jüdische Intellektuelle, die mehrheitlich das kulturelle Leben der 20er und frühen 30er Jahre in Berlin geprägt hatten.

Marseille wurde wichtiger Fluchtpunkt. Die Stadt befand sich in der "Freien Zone" und bot die Möglichkeit für Anlaufstellen wie Konsulate, Hilfsorganisationen, einen Hafen oder die Nahe Grenze zu Spanien. 1940 erteilte die Regierung der USA 200 Visa, doch die Anzahl der Flüchtlinge, die sich an Fry wandten, war weit höher. Papiere und Unterlagen mussten zusammengestellt werden, um die Einreise in die USA zu ermöglichen. Varian Fry geriet durch seine Tätigkeit immer mehr zur Zielscheibe für die Gestapo.

Ohne zu Zögern scharte Varian Fry eine kleine Gruppe Freiwilliger um sich herum und gründete die Flüchtlingshilfe"Centre Américan de Secours" (CAS), um die Situation der Flüchtlinge zu lindern. "Am schlimmsten waren die Staatenlosen dran, Frauen und Männer, denen die Staatsbürgerschaft von den Nazis per Erlass aberkannt worden war. Es war für sie nicht nur unmöglich, einen echten Pass zu bekommen, sondern sie liefen vermutlich am ehesten Gefahr, von der Gestapo festgenommen zu werden, da sie bereits namentlich als Feinde des Naziregimes bekannt waren" schreibt Varian Fry in "Auslieferung auf Verlangen". Er wurde Fluchthelfer, besorgte und fälschte Papiere und Dokumente und schaffte es, 2.200 Personen aus Marseille zu schmuggeln. Lange bleibt sein Wirken geheim. Nach dreizehn Monaten wurde er von der französischen Polizei in die USA abgeschoben.

Varian Fry wurde 1995 postum als "Gerechter unter den Völkern" von der Gedenkstätte Yad Vashem ausgezeichnet.

AVIVA-Tipp: "Ohne zu zögern" dokumentiert in Form von fundierten übersichtlichen Essays die Lebensstationen von Varian Fry. Der zweite Teil stellt exemplarische Biografien von bekannten und unbekannten Personen vor, die durch Varian Fry und seine Arbeit gerettet wurden. Dokumente von Varian Fry und den Flüchtlingen bieten ein sehr nuancenreiches Bild der Zeit und der Situation in Berlin. Anlässlich des 100. Geburtstages von Varian Fry am 15. Oktober 2007 plante das Aktive Museum Buch und Ausstellung. Es ist wunderbar, dass jetzt die überarbeitete 2. Auflage erschienen ist.

Zu den AutorInnen:
Das Aktive Museum Faschismus und Widerstand in Berlin ist 1983 aus einer BürgerInneninitiative hervorgegangen, die ein Veranstaltungsprogramm zum 50. Jahrestag der nationalsozialistischen Machtübernahme am 30. Januar 1933 organisierte. In den folgenden Jahren konzentrierte sich die Arbeit auf das Gestapo-Gelände in Kreuzberg, wo die Zentralen des NS-Unterdrückungsapparates bis 1945 ihren Sitz hatten. Der Verein Aktives Museum www.aktives-museum.de hat diesen Zustand in den 1980er Jahren immer wieder zur Sprache gebracht und sich mit anderen Initiativen und Gruppen in Aktionen und Demonstrationen für einen Denkort auf dem Gelände ausgesprochen. Seit der Gründung der Stiftung Topographie des Terrors arbeiten Vorstandsmitglieder und Geschäftsführung in den Ausschüssen der Stiftung mit und begleiten deren inhaltliche Arbeit.


Varian Fry: Berlin – Marseille – New York
Ohne zu zögern

Hrsg. Aktives Museum Faschismus und Widerstand in Berlin e.V.
Aktives Museum, erschienen Februar 2008
kartoniert – 494 Seiten, 2. verbesserte Aufl.
ISBN: 9783865202413
20 Euro
www.aktives-museum.de


Literatur

Beitrag vom 23.05.2008

Yvonne de Andrés