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AVIVA-BERLIN.de im Dezember 2024 - Beitrag vom 20.09.2007


Isabel Allende - Inés meines Herzens
Jule Fischer

Bestseller-Autorin Isabel Allende setzt der fast vergessenen Conquistadora Inés Suárez ein Denkmal. Die Stimme verleiht im Hörbuch ihr Hannelore Hoger. AVIVA traf die Autorin auf ihrer Lesereise.




Der Traum von Ruhm, Gold und Freiheit lockte im 16.Jahrhundert unzählige Europäer in die "Neuen Indien", wie Lateinamerika damals genannt wurde. Unter den so genannten "Eroberern" befand sich auch die Schneiderin Inés Suárez, die mit ihrem Geliebten und einer kleinen Anhängerschaft Chile einnahm und Santiago im Jahr 1541 gründete.

Mit "Inés del alma mía – Inés meines Herzens" legt Isabel Allende einen sprachlich wie inhaltlich kraftvollen Roman vor, der die Geschichte der Conquistadora Inés Suárez erzählt. Diese fand bei den Chronisten ihrer Zeit noch häufig Erwähnung, wurde in den Jahrhunderten danach aber fast vergessen.

Auf ihrer Lesereise durch Europa wurde die chilenische Autorin von der deutschen Schauspielerin Hannelore Hoger begleitet, die die deutsche Übersetzung las und auch das soeben erschienene Hörbuch zum Roman vorstellte. Das Hörspiel, getragen von der wunderbar rauen Stimme Hogers, ist so gelungen, dass Isabel Allende das Publikum dazu aufforderte, die hörbare Version statt des Buches zu erwerben. Und das heißt schon was.

Mit der Arbeit an einem neuen Roman beginnt Isabel Allende immer am gleichen Tag - dem 8. Januar. Dann setzt sich die chilenische Bestsellerautorin in ihr Gartenhaus an der Bucht von San Francisco und kommt nicht eher heraus, bis das neue Buch fertig ist. Das geschieht im Ein-Jahres-Takt.

Auch "Inés del Alma Mía", was wörtlich übersetzt "Inés meiner Seele" bedeutet, ist auf diese Weise entstanden. Während sie wie ein "Wirbelsturm in der Flasche" in dem Gartenhäuschen sitzt und manchmal 10, manchmal auch 14 Stunden schreibt, kümmert sich ihr Mann um Alltägliches

Für die Recherchearbeit zu "Inés meines Herzens" hat Allende fast 4 Jahre lang Geschichtsbücher und Chroniken vergangener Jahrhunderte gewälzt und wie ein "Nimmersatt gelesen". Den Roman hat sie dann, wie gewohnt, in ihrem selbst gewählten Gefängnis, dem Gartenhaus geschrieben.

"Inés meines Herzens"
Aus der Perspektive der gealterten Inés zu Ende des 16.Jahrhunderts erzählt Isabel Allende die Lebensgeschichte von Inés Suárez und damit die der Eroberung Chiles.

Die Schneiderin Inés aus der spanischen Extremadura ist mit dem Taugenichts Juan de Málaga verheiratet. Dieser will reich werden und bricht in das sagenumwobene Cuzco auf, in die "goldene Stadt". Nach einigen Jahren kehrt Inés Spanien den Rücken, angeblich, um ihren Mann zu suchen. Sie folgt ihm jedoch weniger aus Liebe, denn aus der Verlockung, frei zu sein. Bei ihrer Ankunft kann sie zwar nur noch den Tod Juans feststellen, nach Spanien geht sie dennoch nicht zurück, und hält sich mit Näharbeiten über Wasser.

In Peru wird sie die Geliebte Pedro de Valdivias, mit dem sie 1540 in die letzten nicht eroberten Gebiete der "Neuen Indien" aufbrach. Das Land galt nicht als reich an Gold, wie etwa Peru und bereits mehrere Versuche, die Ureinwohner zu unterwerfen, waren kläglich gescheitert. Keine erfolgsversprechende Ausgangsposition.
Die Durchquerung der Atacamawüste wurde zu einem nie gekannten Kraftakt, die chilenischen Ureinwohner Mapuche lieferten erbitterten Widerstand und die Spanier richteten ein Blutbad unter ihnen an.

Die beeindruckend akribische Recherche und intensive Sprache Allendes bringen den LeserInnen die Eroberung Chiles historisch sehr nah. Deutlich wird, dass es sich bei den Eroberern weniger um edle Missionare handelte, die die Indigenen "zivilisieren" wollten, sondern vielmehr um Habenichtse des alten Europa, die sich lediglich bereichern wollten: "Die Luft war wie heißer Wasserdampf, ein stinkender vergifteter Drachenatem. ´Das Reich des Satans´, sagten die Soldaten, und sie hatten wohl Recht, denn immer gereizter wurden die Gemüter, immer häufiger der Streit. Nur mit Mühe konnten die Offiziere sie zur Ordnung rufen und zum Weiterziehen bewegen. Eine einzige Lockung trieb sie voran: El Dorado."
Im Vordergrund des Romans steht jedoch das private Leben von Inés Suárez und ihre Liebesbeziehungen zu drei sehr verschiedenen Männern: Die erste, unglückliche zu einem Maulhelden, die zweite, leidenschaftliche zu Pedro de Valdivia und die letzte, 30 Jahre währende, zu Rodrigo de Quiroga. Allende verfällt nicht der Verlockung, aus der Beziehung ihrer Protagonistin zu dem berühmten ersten Gouverneur Chiles, Pedro de Valdivia, ein romantisches Liebesdrama zu machen. Sie zeichnet ihre Charaktere vielschichtig, stattet sie mit Stärken, aber auch Schwächen aus, die in den heroischen Geschichtsbüchern unterschlagen werden.

Idealisierung
Mit dem Fokus auf das Private rücken die bedeutenden historischen Geschehnisse, die Gräueltaten der Konquistadoren zu sehr in den Hintergrund. Und in den Hintergrund rückt damit auch die Rolle Ines Suárez bei dieser grausamen Eroberung.

Historisch belegt ist zum Beispiel die Rolle von Suárez bei der Verteidigung des neu gegründeten Santiago gegen angreifende Mapuche. Um diese in die Flucht zu schlagen, schreckte Suárez nicht davor zurück, eigenhändig Kriegsgefangene zu köpfen und ihre Häupter durch die Stadt schleifen zu lassen. Dennoch wirkt die Figur in "Inés meines Herzens" den verrohten Soldaten gegenüber geradezu rechtschaffen. Während die Soldaten ihres Geliebten tausende indianische Frauen vergewaltigen, ganze Dörfer niedermetzeln und Kriegsgefangene foltern, zeigt Inés Suárez stets Verständnis für die "Wilden" und "Barbaren", schwankt zwischen traditionellen Aufgaben und feministischen Ansichten.

Sprache
Der ansonsten wunderbare Roman hat somit eine Schwäche: In der Leserin entwickelt sich das Gefühl, die Autorin könne sich nicht entscheiden, ob die Figur aus ihrer zeitgenössischen Rolle heraus agiert, oder mit gegenwärtigem Idealismus.
Isabel Allende hat sich in ihrer Muttersprache dem wesentlich kargeren Spanisch des 16. Jahrhunderts angepasst. Ihre Heldin Inés Suárez spricht aus heutiger Sicht politisch ganz und gar nicht korrekt und ist dessen ungeachtet, der Zeit unangemessen moderat. Allende fühlt sich, wie sie selbst sagt, mehr zu den Versklavten hingezogen und versucht in der Figur Inés ihren eigenen Idealismus unterzubringen.

Allende meint, sie schreibe nur über Menschen, mit denen sie sich selbst identifizieren kann. Wie sie im Interview im Rahmen ihrer Lesereise im September 2007 in Berlin sagte, sind dies zumeist starke Frauenfiguren, also jene, die in den zeitgenössischen Chroniken keinen Raum haben – wie Inés Suárez, der Allende nun eine Stimme gibt. Problematisch ist dabei nur, dass sie ihre Hauptfigur idealisiert, anstatt sich auch mit der Rolle Inés Suárez´ bei der grausamen Eroberung Chiles auseinanderzusetzen.

AVIVA-Fazit:
Trotz dieses Kritikpunkts entführt Isabel Allende die LeserInnen sprachlich gewohnt stilsicher in das Lateinamerika des 16. Jahrhunderts, beschreibt die historischen Fakten so detailreich und nah an der historischen Wirklichkeit, dass sich ein komplexes und faszinierendes Gesamtbild ergibt.
"Inés meines Herzens" ist trotz einiger Abrutscher ins Pathetische ein atmosphärisch dichter und fesselnder Roman. Die Geschichte dieser komplexen Frauenfigur besticht durch die Mischung aus gut recherchierter Historie, vielschichtigen Liebesbeziehungen, ausgereiften Charakteren und einer starken Sprache. "Inés meines Herzens" macht Lust auf Geschichte!

Die Autorin:
Die Chilenin wurde am 2. August 1942 in Peru geboren. Sie ist die Nichte des 1973 ermordeten chilenischen Präsidenten Salvador Allende.
Erst mit 40 Jahren schrieb sie ihr erstes Buch, welches gleich zu einem weltweiten Bestseller avancierte – "Das Geisterhaus".
Zuvor war die Journalistin in der Frauenbewegung aktiv, war Redakteurin der ersten feministischen Zeitung Chiles und Moderatorin mehrerer Fernsehsendungen. Auch ihre folgenden Werke "Von Liebe und Schatten", "Eva Luna" und "Fortunas Tochter" wurden weltweite Erfolge, für die Allende zahlreiche Auszeichnungen erhalten hat.

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Isabel Allende
Inés meines Herzens

Originaltitel: Inés del alma mía
Aus dem Spanischen von Svenja Becker
Suhrkamp Verlag, erschienen im August 2007
Gebunden, 397 Seiten
ISBN: 978-3-518-41930-4
19,80 Euro

Hörbuch:
Isabel Allende
Inés meines Herzens (12 Cds)

Gelesen von Hannelore Hoger
15:54:00 Minuten
DHV Der Hoerverlag, erschienen 2007
ISBN: 3-86717-088-6
49,90 Euro


Literatur

Beitrag vom 20.09.2007

AVIVA-Redaktion