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Beitrag vom 21.02.2010
Jud Süss - Film ohne Gewissen
Tatjana Zilg
Oskar Roehler gerät mit seinem biographisch angelegten Film über den Schauspieler Ferdinand Marian, der 1940 die Hauptrolle in einer Propaganda-Adaption der Nazis von "Jud Süss" spielte, weit ...
... jenseits seiner selbst gesetzten Ansprüche.
Ein ausgesprochen heikles Thema hat sich der bekannte Regisseur des Neuen deutschen Films ("Der alte Affe Angst", "Elementarteilchen" und "Lulu und Jimi") dieses Mal vorgenommen. Mit "Jud Süss - Film ohne Gewissen" hat er sich zum Ziel gesetzt, "die Mechanismen machtpolitischer Manipulation aufzudecken und ihre schrecklichen Folgen zu zeigen." In der Praxis beschränkt sich das Produktionsteam vor allem auf die Verworrenheit des Schauspielers in dem Nationalsozialistischen System.
Die Entstehung und der spätere Einsatz zu Propagandazwecken von "Jud Süss" wird aus dem Blickwinkel von Ferdinand Marian erzählt. Der Enddreißiger ist ein mittelmäßig erfolgreicher Theater- und Filmdarsteller, der Ausgleich in zahlreichen Affären und im Alkohol sucht. Er führt eine Ehe mit der Halbjüdin Anna Altmann, die gezwungen wurde, ihre Schauspielkarriere aufzugeben. Verkörpert wird sie von der wie immer brillanten Martina Gedeck (Goldene Kamera 2003, Deutscher Filmpreis 2002).
Der Drehbuchautor Klaus Richter gab der wirklichen Anna Marian einen jüdischen Hintergrund, was jedoch nicht der Realität entspricht. Beabsichtigt war es, so die Erpressbarkeit von Ferdinand Marian plausibler zu machen. Nachteil ist, dass sein tatsächliches Handeln dadurch nicht greifbarer wird, da hier mehr der persönlich begründete Wunsch nach Anerkennung und Erfolg im Vordergrund gestanden zu haben scheint. Dieses wird zwar erkenntlich, aber durch die Angst vor Entdeckung der jüdischen Identität seiner Frau wesentlich verstärkt.
Diese doch sehr wesentlichen Veränderungen sind natürlich schwierig, weil so das Verhalten des wahren Ferdinand Marian nicht durchdrungen wird. Die Vermutung bleibt bestehen: Er war schlichtweg ein Trittbrettfahrer wie so viele andere auf dem Weg in die regimegetreue Künstler-High Society, der seine Zweifel an seinem eigenen Handeln schnell mit Alkohol wegspülte.
Die Rolle der Anna Altmann wird, gemessen zu ihrer Bedeutung, im Skript eher kurz abgehandelt bis sie eines Tages ganz fort ist. In einem knappen Telefonat erfährt Marian, dass sie deportiert wurde, was ihn innerlich zunächst erschüttert, ihn aber weitermachen lässt, ohne dass er sich bemüht, den Verbleib seiner Frau zu klären. Während einer Propagandareise in den besetzten Gebieten geht er eine neue Beziehung ein.
Die zweite Hauptrolle wird auf den Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda Joseph Goebbels zentriert, ebenfalls prominent besetzt mit Moritz Bleibtreu. Der 2006 mit dem Silbernen Bär für den Besten Schauspieler bedachte Bleitreu ist mit dem Metier des Bösewichts gut vertraut, in den letzten Jahren war er des öfteren als (Ex)-Gangster auf den Leinwänden zu erblicken. So gibt er hier einen Goebbels, der in seiner Selbstüberzeugung abstößt und zugleich diabolisches Charisma versprüht - und wenn dieses nicht zum Ziel führt, seinen Willen ohne Skrupel mit aller Macht durch setzt. Dabei scheint ein clownesk-augenzwinkernder Humor durch, so dass es nicht verwundert, dass Bleibtreu auf der Pressekonferenz der 60. Berlinale den Vergleich mit "Inglorious Bastards" andeutete, um die Überhöhungen und Überspitzungen von "Jud Süss - Film ohne Gewissen" zu rechtfertigen. (Die große Mittagsvorführung vor der internationalen Presse im Februar 2010 endete mit Buh-Rufen.)
Der Vergleich mit "Inglorious Bastards" hinkt. Geht es hier doch ganz und gar nicht um eine historische Verdrehung, die den Nazi-Umtrieben ein Ende setzt, welches die Welt vor dem Schlimmsten bewahrt hätte, sondern um die schmerzende Frage, warum sich die meisten Menschen während der Herrschaft eines diktatorischen Regimes nicht für dauerhaften Widerstand entscheiden und zu Mitläufern werden, geübt im Wegsehen und -hören.
Es wird gezeigt, dass die Schauspielerschaft im Nazi-Deutschland sich durchaus über die Strukturen der mehr und mehr zu Propagandazwecken genutzten "Filmkultur" klar war. Als Goebbels die Hauptrolle des "Jud Süss" unter der Regie von Veit Harlan besetzen will, verpatzen die Aspiranten bewusst das Casting, so dass Marian schließlich mit allen Mitteln davon überzeugt wird, das Wagnis einzugehen.
Gegen Ende der Pressekonferenz auf der Berlinale kam die wichtige Frage auf, warum die Figur des Veit Harlans im Film so wenig ausgebaut wurde und nur im Abspann erwähnt wird, dass dieser nach Kriegsende einer Strafverfolgung entging, als Regisseur weiterarbeiten konnte und einige mittelmäßige Filme drehte. Da wirkte die Antwort von Oskar Roehler allzu schwach, dass ihm dies während der Regiearbeit gar nicht bekannt gewesen sei.
Sicherlich ist ein Spielfilm nach wahren Begebenheiten nicht mit einem Dokumentarfilm gleichzusetzen und kann sich fiktive Freiheiten nehmen. Anderseits sollte der Wissensdrang des Publikums bei so brisanten historischen Stoffen auch nicht leichtfertig vor den Kopf gestoßen werden.
An einigen Stellen hätte da mehr herausgeholt werden können: Die Vorarbeiten zu der Goebbels-Produktion "Jud Süss", die Verbreitung des fertigen Films in Deutschland und die Reaktionen der Bevölkerung darauf (es ist bekannt, dass es zu Übergriffen nach den Kinobesuchen kam), die weitere Karriere Marians sowie der Umgang mit den Beteiligten nach 1945.
AVIVA-Fazit: Als Einführung zum Thema "Kultur und Propaganda" reicht das Gebotene nicht. Zudem ist es ausgesprochen zweifelhaft, ob die Bildsprache Oskar Roehlers das passende Mittel ist, um eine "Erotik der Macht" des Nazi-Deutschland darzustellen.
Jud Süss - Film ohne Gewissen
Österreich, Deutschland, 2010
Regie: Oskar Roehler
DarstellerInnen: Tobias Moretti, Martina Gedeck, Moritz Bleibtreu, Justus von Dohnanyi, Armin Rohde
Script: K. Richter
Filmstart: 23.09.2010
Verleih: Concorde
Länge 114 Minuten
Inspiriert durch "Ich war Jud Süss – Die Geschichte des Filmstars Ferdinand Marian" von Prof. Friedrich Knilli (Henschel Verlag, Berlin 2000).
Die historische Persönlichkeit Joseph Ben Issachar Süsskind Oppenheimer lebte von 1698 bis 1738 in Heidelberg und Stuttgart und diente als Vorlage für Wilhelm Hauffs Novelle "Jud Süss" von 1827 und Lion Feuchtwangers Roman "Jud Süss" von 1925.
Weitere Informationen finden Sie unter:
www.jud-suess-film.de
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