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Beitrag vom 15.06.2010
Hanni und Nanni - Zum ersten Mal im Kino
Evelyn Gaida
Das berühmte Zwillingspärchen kommt am 17. Juni 2010 in die Kinos – und wird von Regisseurin Christine Hartmann für die MTV-Generation ordentlich flott gemacht. Muss das so sein?
Berlin-Mitte, Menschengewimmel, hämmernder Girlband-Power-Pop und ein hübsches Mädchen im pinkfarbenen Polohemd, das mit einem Hockeyschläger und einem Ball wagemutig zugange ist – im Nobelkaufhaus, randvoll mit Zerbrechlichem. Der allgegenwärtige Oliver Pocher, hier nicht den notorisch nervensägenden Bürgerschreck, sondern einen Wachmann spielend, kommt übel zu Fall, begraben unter Parfümflaschen. Tempo, Tempo, schließlich geht es bei diesem Kunststückchen darum, der hochnäsigen und modebesessenen Oktavia zu zeigen, "wer das wahre Hockey-Ass der Schule ist". Vorhang auf: Hier kommt Hanni, und kurz darauf natürlich auch Nanni, mit Karacho in der Eingangsszene der gleichnamigen Erst-Verfilmung des Enid Blyton-Klassikers.
Zwillinge und Zeitgeist
Leitendes Gebot der filmischen Umsetzung scheint dabei gewesen zu sein, den Internatsabenteuern der Zwillinge möglichst viele Ingredienzien angedeihen zu lassen, die der mediale Zeitgeist den (etwa) Zwölfjährigen des 21. Jahrhunderts verordnet. Darunter leiden jedoch sowohl die Handlung, als auch die Charaktere, denen die MacherInnen des Films offenbar nicht wirklich zutrauen, die Zielgruppe ansprechen zu können. So wird überall ein bisschen nachgeholfen: Durch cineastische Effekthascherei, das besagte Tempo auch in der Szenenfolge, die Aneinanderreihung von Klamauk und Gags, denen die Figuren untergeordnet werden und im Ergebnis vornehmlich als Stereotypen agieren.
"Girlpower von heute"
Produzent Hermann Florin sieht die Geschichten um Hanni und Nanni als ein praktisches "Three-in-One"-Produkt: Sie vermittelten "neben Komödie und Action Werte wie Freundschaft und Solidarität, das ist ´good entertainment´", wird er in einem Artikel der "Abendzeitung Nürnberg" vom 14.08. 2009 zitiert. Dieses wohltemperierte Marketingkonzept bringt auch das Filmkonzept auf den Punkt. Schon klar, die "Hanni und Nanni"-Geschichten sind Trivialliteratur und es geht darin nicht um tiefschürfende Charakterstudien, sondern tatsächlich um gute Unterhaltung für heranwachsende Mädchen. Natürlichkeit und Authentizität bleiben bei so viel filmischer Marktstrategie jedoch auf der Strecke. Spaß, Spannung und Unterhaltung bekommt die Zielgruppe geboten – und nebenbei ein medienwirksames Abziehbild der altklug-coolen "Girlpower von heute" mit poppiger Vehemenz ´aufs Auge´ gedrückt. Das Vorbild MTV mit seinen Kinderstar-Kreationen ist unübersehbar, während glaubhafte Menschen mit realistischem Identifikationspotential nicht auszumachen sind. Die an den Tag gelegte und zur Marke gewordene "Girlpower" geht auf diese Weise letztendlich nach hinten los.
Von Berlin-Mitte nach Lindenhof
Der Inhalt des Films ist eine freie Adaption des ersten Bandes: Die Hockey-Aktion hat Folgen – Hanni und Nanni müssen die hippe Schule in Berlin-Mitte verlassen und werden zu einer Art Strafmaßnahme ins Internat Lindenhof, die ehemalige Schule ihrer Mutter, versetzt. Die Szenerie des alten Gemäuers – gedreht wurde im Faber-Castell-Schloss bei Nürnberg – kann den abgeklärten Großstädterinnen weder bei ihrer Ankunft noch zu einem späteren Zeitpunkt richtiges Gruseln, Furcht, Erstaunen oder gar Faszination entlocken. Alles schon mal dagewesen: "Mami, bist du mit Harry Potter zur Schule gegangen?" ist die lässige Zusammenfassung des ersten Eindrucks. Auf "Pointen" dieser Art, die zurechtfrisiert und künstlich vorgegeben wirken, werden die Interaktionen des Films recht zwanghaft ausgerichtet. Auch die Ereignisse stehen vor allem im Dienst angepeilter Lachnummern oder des Spannungseffekts. Da wirken selbst die interessanten Aspekte eher wie ein sperriger Bauteil eines Plans und kommen nicht als fließendes Geschehen zu eigenem Leben.
100% Nanni
Der zurückhaltenderen Nanni ermöglicht der Internatsaufenthalt die Emanzipation von der wilden und aufmüpfigen Sportskanone Hanni. Vorher sei sie immer nur 50% "Hanni und Nanni" gewesen, hier jedoch zu 100% Nanni, die sich endlich dazu bekennt, viel lieber Cello zu spielen als Hockey. Das ist eine bemerkenswerte Entwicklung und rührende Wendung – wird leider aber auch wieder ins Humoristische gebogen, wenn Nanni beim heimlichen Cellospiel einen überdemonstrativ verklärten Gesichtausdruck annimmt. Den elfjährigen Hauptdarstellerinnen Sophia und Jana Münster aus Mannheim muss dabei zugutegehalten werden, dass sie über keinerlei vorherige Filmerfahrung verfügen. Ihrem unterschwellig spürbaren Enthusiasmus kommen ihre Rollen nicht entgegen. Die hochgeschossen-zarten Zwillinge mit den großen blauen Augen könnten auch aus einem Nachwuchsmodel-Contest hervorgegangen sein. Sie wurden jedoch unter 135 Zwillingspaaren in einem branchenüblichen Film-Casting ausgewählt.
Wettbewerbe und Werte
Hannis ablehnende und provozierende Haltung gegenüber Lindenhof bringt die beiden Schwestern immer wieder in Schwierigkeiten. Schließlich finden sie doch neue Freundinnen und fangen nacheinander an, sich dem Internat verbunden zu fühlen. Ansonsten wartet die Handlung mit einer Reihe von Mutproben, Wettbewerben, Sportwettkämpfen, Nachtaktionen, Verwechslungstricks und dergleichen auf, die mit den obligatorisch eingestreuten Werten abgeschmeckt sind: beim Sport Teamgeist zu zeigen oder eine Strafe für eine verbotene Gemeinschaftstat allein auf sich zu nehmen – Hanni muss gar ohne ihren Laptop und iPod überleben. Zusätzlich wird das bunte Gemisch in der besagten Manier mit Musik von Vocal Coach Kate Hall über Queensberry bis zu den Veronicas und Shiloh oft sehr unvermittelt "hochgejubelt".
Staraufgebot
Die im Film auftretenden Erwachsenen sind eine Staraufstellung: Suzanne von Borsody gibt die gestrenge Konrektorin Mägerlein, bei der als anachronistischer Ausbrecher des Films auch der steife Spitzenkragen nicht fehlt. Trotz der klischeehaften Charakteristik ist Katharina Thalbach als schrille Französischlehrerin mit Mireille-Mathieu-Frisur amüsant: Sie tritt dermaßen übertrieben auf, dass es schon wieder lustig ist. Die Begegnung von Badekappe und Pferd ist ein Highlight. Hannelore Elsners Rolle der philanthropischen Schulleiterin erhält durch ihren hintergründig-esoterischen Einschlag einen interessanten Akzent und Heino Ferchs hysterische Anfälle des überforderten Vaters und Kochbuch-Übersetzers erzielen tatsächlich ein Überraschungsmoment.
AVIVA-Fazit: Ein Arsenal von Stereotypen, schwachen Gags und zu starken Anleihen bei Musikvideo-Methoden erwecken "Hanni und Nanni" in der filmischen Neuauflage nicht zum Leben. Plakative Effektüberfrachtung darf im Jahr 2010 leider nicht fehlen.
Zur Regisseurin: Christine Hartmann arbeitete nach ihrem Studium der Theaterwissenschaften an der Ludwig-Maximilian-Universität in München und Seminaren am American Film Institute zunächst als Regieassistentin und Dramaturgin in den Bereichen Theater und Fernsehen.
Seit 1996 ist sie als Autorin tätig und schrieb unter anderem Drehbücher für Serien wie "Aus heiterem Himmel" und "SOKO 5113". Auch verschiedene Bücher zu 90-minütigen TV-Produktionen entstammen ihrer Feder.
Seit 2000 führt Christine Hartmann auch Regie und gab mit der Komödie "Es geht nicht immer nur um Sex" ihr Regiedebüt. In den folgenden Jahren inszenierte sie mehrere Folgen für den "Tatort", den "Polizeiruf 110" sowie die Serien "Kommissar Stolberg", "Doppelter Einsatz" und "Die Cleveren". Die "Tatort"-Folge "Todesbrücke" erzielte mit 10,8 Millionen ZuschauerInnen die bis heute höchste Einschaltquote eines "Tatorts". (Quelle: Universal Pictures)
Hanni und Nanni
Deutschland 2010
Regie: Christine Hartmann
Buch: Katharina Reschke und Jane Ainscough
DarstellerInnen: Sophia und Jana Münster, Hannelore Elsner, Heino Ferch, Suzanne von Borsody, Anja Kling, Katharina Thalbach, Oliver Pocher u.a.
Verleih: Universal Pictures
Lauflänge: 85 Minuten
Kinostart: 17. Juni 2010
Weitere Infos finden Sie unter:
www.hanniundnanni-film.de
www.schuelervz.de/hanniundnanni
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