Die AVIVA-Filmauswahl zur 70. Berlinale vom 20. Februar bis 1. März 2020 – Kompakte Infos zu Filmen, Regisseurinnen, Filmen aus Israel, Queer Cinema und dem Teddy Award sowie Pro Quote Film, Wikipedia:FilmFrauen/Berlinale-Art+Feminism-Edit-a-thon - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Kultur Kino



AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 14.02.2020


Die AVIVA-Filmauswahl zur 70. Berlinale vom 20. Februar bis 1. März 2020 – Kompakte Infos zu Filmen, Regisseurinnen, Filmen aus Israel, Queer Cinema und dem Teddy Award sowie Pro Quote Film, Wikipedia:FilmFrauen/Berlinale-Art+Feminism-Edit-a-thon
Helga Egetenmeier, Sharon Adler

Die Berlinale ist dieses Jahr geprägt von einem Neuanfang mit einer paritätisch besetzten Doppelspitze als Festivalleitung. Es ist aber auch ein Jahr, in dem die Anzahl der Wettbewerbsfilme von Regisseurinnen wieder zurückgegangen ist (Gendermonitoring Berlinale 2020). Doch mit Ulrike Ottinger erhält eine Pionierin des feministischen Films die Goldene Kamera und mit Helen Mirren die große Dame des britischen Kinos...




... den Goldenen Ehrenbären.

Außerdem berichten wir wieder über die Aktionen von Pro Quote Film und liefern allen Film-Addicts eine feine, kleine aber detaillierte Übersicht zu Filmen von Regisseurinnen, den Teddy-Anwärter*innen und den Places To Be.

Gendermonitoring Berlinale 2020

Bereits seit 2004 wird das Berlinale-Programm auf die Geschlechterverteilung hin betrachtet und die Ergebnisse der Auswertung werden öffentlich gemacht. Durch die Verfeinerung der Abfragekriterien ist 2020 ein Gendermonitoring entstanden, das zwischen Datenbankausgabe und Selbstauskunft unterscheidet. So wurde neben "männlich" und "weiblich" auch die Option "eigene Zuordnung" und "keine Angabe" eingeführt. Dazu werden, neben der Regie und der Produktion, nun auch die Disziplinen Drehbuch, Kamera und Montage abgefragt. Durch diese umfangreiche Datenmenge benötigt die endgültige Auswertung etwas mehr Zeit und kann ab dem 18. Februar unter "Berlinale in Zahlen" eingesehen werden.

Die vorläufige Auswertung im Bereich Regie nach Personen ergibt, dass 2020 mit 37,9 % Regisseurinnen (männliche Regie: 56,9 %) weniger Frauen ihre Filme zeigen, als 2019, da waren es 45% (männliche Regie: 52 %). Von den zehn für die Geschlechterstatistik ausgewählten Sektionen erreichen nur zwei - Generation und Perspektive Deutsches Kino - einen Anteil an weiblichen Regisseurinnen von über 50 %. Dabei ist mitzudenken, dass bei Perspektive Deutsches Kino nur acht Filme gezeigt werden - es also eine sehr kleine Sektion ist, und die Filme der Generation traditionell mehr Regie-Frauen aufweist, was durchaus der sozialen Nähe von Weiblichkeit zu Kinder- und Jugendfilmen zugerechnet werden darf.

Pro Quote Film

"Especially when it comes to public money - it has to be equal.", dieses Zitat von Jane Campion ist ein Leitspruch von Pro Quote Film. Dass dieser immer noch als mahnender Hinweis nötig ist, zeigt die diesjährige Berlinale durch ihre geringe Auswahl an Filmregisseurinnen für den Wettbewerb, der ökonomisch wichtigsten Sparte des Festivals. Im Wettbewerb laufen 27,8 % der Filme unter der Regie von Frauen, 66,6 % unter männlicher Regie und 5,6 % von einem gemischtgeschlechtlichen Team. Aber nicht nur für den Wettbewerb gilt: bei einem für das Jahr 2020 (lt. Festival-Webseite) anvisierten Jahresbudget von 26 Millionen Euro erhalten die Internationalen Filmfestspiele eine institutionelle Förderung von 8,4 Millionen Euro von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, somit gehen die öffentlichen Gelder mehrheitlich an Männer.

Pro Quote Film hat sich im Jahr 2018 aus Pro Quote Regie entwickelt, um alle Gewerke beim Kampf um die gleichberechtigte Teilnahme weiblicher Beschäftigter im Arbeitsfeld Filmindustrie zu verbinden. Denn immer noch zeigen Statistiken die Ignoranz gegenüber weiblichen Kulturbeschäftigten: sie sind unterrepräsentiert und schlecht bezahlt. Beträgt der Gender Pay Gap in Deutschland allgemein 21 Prozent, liegt er im Kulturbereich bei 30 Prozent und in der Filmregie bei 36 Prozent.

Welche ein paar Zahlen nachlesen möchte, sei hier auf Prof. Dr. Elizabeth Prommer verwiesen, Direktorin des Instituts für Medienforschung an der Universität Rostock und Sprecherin für Pro Quote Film. Sie veröffentlichte 2017 zusammen mit Dr. Christine Linke die Studie "Audiovisuelle Diversität? Geschlechterdarstellungen in Film und Fernsehen in Deutschland" auf der Seite des Instituts für Medienforschung, Philosophische Fakultät, Universität Rostock. Die Studie wurde im Juli 2017 von der Schauspielerin Dr. Maria Furtwängler in der Akademie der Künste vorgestellt. Dr. Maria Furtwängler gründete 2016 zusammen mit Elisabeth Furtwängler die MaLisa Stiftung. Diese wurde mit dem Ziel einer freien, gleichberechtigten Gesellschaft gegründet Auf der Webseite der MaLisa Stiftung stehen die Ergebnisse der Studienreihe "Weibliche Selbstinszenierung in den neuen Medien" vom Januar 2019 als den Download bereit.

Im Mai 2019 veröffentlichten Elizabeth Prommer und Christine Linke, unter Mitarbeit von Sophie Rieger, das Buch "Ausgeblendet: Frauen im deutschen Film und Fernsehen", in dem sie die fehlende Präsenz von Frauen aufzeigen.

Mit der Pro Quote Film Akademie ist darüber hinaus ein Portal für angewandte Genderforschung und Weiterbildung entstanden. Es ist ein Angebot an alle Gewerke, den gesamten Prozess des Filmemachens unter Gender- und Diversitätsaspekten weiter zu entwickeln. Und mit Pro Quote Medien und Pro Quote Bühne haben sich zwei weitere Initiativen der Kultur- und Medienbranche dem Arbeitskampf um Geschlechtergerechtigkeit zugewandt.

Pro Quote Film (PQF) - Veranstaltungen auf der Berlinale 2020

Am Freitag, den 21. Februar, veranstaltet Pro Quote Film ihren 2. Internationalen Runden Tisch unter der Überschrift "50/50 #ShareYourPower" und dem Motto "Shifting the Narrative", mit Eröffnungsreden der französischen Botschafterin Anne Marie Descôtes, der Staatsministerin am Auswärtigen Amt Michelle Müntefering und der Geschäftsführerin der Berlinale Mariette Rissenbeek.

Das nun schon über mehrere Jahre stattfindende Berlinale-Panel von Pro Quote Film folgt am Montag, den 24. Februar, in der Akademie der Künste mit einer intersektionalen Perspektive auf die Filmbranche. Die Veranstaltung startet um 11.30 Uhr mit der Begrüßung durch Pro Quote Film und einem Grußwort von Juliane Seifert, Staatssekretärin im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Nach der Keynote der Filmemacherin und Associate Professor für Cinema und Digital Media an der University of California, Branwen Okpako, beginnt die Diskussionsrunde "Weiß, hetero, jung - wie divers sind die Frauen*bilder des deutschen Films - eine Bestandsaufnahme". Es folgt um 12.30 Uhr ein Gespräch zu "Privilegiencheck - ein Ausblick auf die Filmbranche der Zukunft".
Für beide Veranstaltungen wird um Anmeldung gebeten unter: kontakt@proquote-film.de

WIFT - Women in Film and Television Germany

WIFT Germany lädt auch dieses Jahr während der Berlinale zu einem international besetzten Fachpanel in den Meistersaal ein. Es beginnt am Samstag, den 22. Februar ab 9 Uhr und steht unter dem Motto: "How Much Feminine Intelligence Is In AI?" Dabei geht es um die Möglichkeiten und Risiken von neuen Technologien für die Entwicklung, Produktion und den Vertrieb von Film, TV und Streaming. Die Veranstaltung ist für alle WIFT-Mitglieder frei, andere Besucherinnen zahlen 15 Euro, Tickets können über die Webseite erworben werden.

Berlinale - Die neue Doppelspitze und weitere Veränderungen

Der ehemalige Leiter der Berlinale, Dieter Kosslick, unterschrieb 2019 eine Erklärung mit dem Namen "5050 x 2020", und hat damit für die Berlinale zugesagt, die Gleichberechtigung in den eigenen Gremien voranzutreiben. So gibt es dieses Jahr zum ersten Mal eine Doppelspitze mit Mariette Rissenbeek als Geschäftsführerin und Carlo Chatrian als künstlerischem Leiter. Rissenbeek, Filmproduzentin und Marketingmanagerin, war vorher bei German Films, Chatrian beim Filmfestival von Locarno für diesen Bereich zuständig.

Mit "Encounters" wird es eine neue Wettbewerbssektion geben, bei der 15 Filme um drei Medaillen in Konkurrenz gehen. Als Ziel definiert die Berlinale-Leitung dazu, neue Stimmen des Kinos zu unterstützen und verschiedenen narrativen und dokumentarischen Formen mehr Raum im offiziellen Programm zugeben. Dafür wurden die Sonderreihen "NATive", die indigenen Filmen und ihrem Spannungsverhältnis zur Mehrheitsgesellschaft eine Plattform boten, und "Kulinarisches Kino", bei der ökologische Aspekte aufgegriffen wurden, abgeschafft.

Wie durch die Recherchen der Zeit bekannt wurden, hatte Alfred Bauer, der erste Leiter des Festivals, eine bedeutende Position während der NS-Zeit inne. Deshalb haben sich die Berlinale-Veranstalter*innen entschlossen, den seit 1987 vergebenen Alfred-Bauer-Preis auszusetzen.

Die Parität fehlt leider bei der Moderation der Eröffnungsgala, so wird die mit Witz und Coolness moderierende Anke Engelke von Samuel Finzi ersetzt. Auch hier wäre eine Doppelspitze eine wichtige und spannende Erneuerung gewesen.

Berlinale Kamera für Ulrike Ottinger

Persönlichkeiten und Institutionen, die sich um das Filmschaffen besonders verdient gemacht haben, ehrt die Berlinale seit 1986 mit der Berlinale Kamera. AVIVA freut sich besonders, dass dieses Jahr die international renommierte Künstlerin, Malerin, Fotografin und Regisseurin Ulrike Ottinger mit dieser Auszeichnung geehrt wird. Im Zusammenhang mit ihrem bemerkenswerten Dokumentarfilm "Chamissos Schatten" gab Ulrike Ottinger für AVIVA Anfang 2016 ein exklusives Interview und gewährte uns einen weiten Blick auf ihre Arbeit und ihr Leben.

Die Verleihung der Berlinale Kamera findet am Samstag, den 22. Februar im Haus der Berliner Festspiele statt. Danach wird die Weltpremiere von Ottingers neuem Dokumentarfilm "Paris Calligrammes" gezeigt. Sie verknüpft in diesem autobiografischen Dokumentarfilm - bei dem sie Regie führte, das Buch schrieb und die Kamera bediente - ihre künstlerischen und filmischen Arbeiten mit historischem Archivmaterial zu einem Soziogramm über ihre Zeit als Künstlerin in Paris in den 1960er Jahren.

Femmage für Helen Mirren

Der Goldene Ehrenbär für ihr Lebenswerk geht in diesem Jahr an die britische Schauspielerin und Oscar-Preisträgerin Helen Mirren. In über 100 Film- und TV-Produktionen unterschiedlicher Genres hat sie ihre darstellerische Bandbreite gezeigt und komplexe Frauenfiguren mit starken Persönlichkeiten ins Kino gebracht. Am 26. Februar gibt es ein Gespräch mit der Schauspielerin über die Meilensteine ihrer Karriere, anschließend beantwortet Helen Mirren Fragen aus dem Publikum.

Zur Verleihung wird am 27. Februar im Berlinale Palast "The Queen" von Stephen Frears gezeigt. Darin spielt Helen Mirren Königin Elizabeth II., die mit der Ernennung von Tony Blair und dem Unfalltod von Lady Di das Jahr 1997 als verunsicherte, aber verantwortungsbewusste Regentin erlebt. Im Rahmen der Femmage werden noch vier weitere Filme mit Helen Mirren gezeigt.

Frauen in der Jury und im Wettbewerb

In die diesjährige, siebenköpfige Jury des Wettbewerbs sind, neben Jeremy Irons ("Nachtzug nach Lissabon") als Jurypräsident, drei Frauen und drei Männer von der Festivalleitung eingeladen: Die französisch-argentinische Schauspielerin Bérénice Bejo ("The Artist"), die deutsche Produzentin Bettina Brokemper ("Hannah Arendt") und die palästinensisch-amerikanische Regisseurin Annemarie Jacir ("Das Salz des Meeres", "When I Saw You"-Berlinale 2013). Sowie der US-Regisseur Kenneth Lonergan ("Manchester by the Sea"), der italienische Schauspieler Luca Marinelli ("Die Einsamkeit der Primzahlen") und der brasilianische Filmkritiker und Regisseur Kleber Mendonca Filho ("Aquarius").

Am Donnerstag, den 20. Februar, läuft zur Eröffnung der Berlinale die Weltpremiere von "My Salinger Year" mit Sigourney Weaver. Der Coming-of-Age-Film, Regie und Drehbuch Philippe Falardeau, basiert auf dem gleichnamigen Roman von Joanna Rakoff. Er erzählt von der Literaturstudentin und angehenden Schriftstellerin Joanna (Margaret Qualley), die als Assistentin der Literaturagentin Margret (Sigourney Weaver) tätig ist, um die an den Schriftsteller J. D. Salinger gerichtete Fanpost zu beantworten.

AVIVA-Auswahl der Wettbewerbsfilme

Die 17-jährigen Autumn lebt im ländlichen Pennsylvania und wird ungewollt schwanger. Da das Gesetz eine Abtreibung ohne Einwilligung der Eltern verhindert, reist sie zusammen mit ihrer Cousine Skylar nach New York, nur mit der Adresse einer Klinik in der Hand. Drehbuch und Regie für "Never Rarely Sometimes Always" kommen von Eliza Hittman, Kamerafrau ist Hélène Louvart, die Filmmusik steuerte die Singer-Songwriterin Julia Holter bei.

Der Thriller "El prófugo" der Regisseurin Natalia Meta orientiert sich frei an dem Kult-Horrorroman "El mal menor" von C. E. Feiling aus dem Jahr 1996. Im Synchronstudio zeichnen die Mikrofone sonderbare Töne auf, die scheinbar direkt von den Stimmbändern der jungen Schauspielerin und Synchronsprecherin Inés kommen. Die Töne stören die Synchronisation und gefährden auch ihre Stellung im Chor. Nach und nach gerät Inés in einen paranoiden Zustand, in dem Realität und Wahn und starre Grenzen immer mehr verschwimmen und die Frage aufkommt, ob Wirklichkeit mehr ist als die sichtbare Welt.

"The Roads Not Taken" ist der neue Film der renommierten Regisseurin Sally Potter, die früher Mitglied der wegweisenden Jazz-Formation "Feminist Improvising Group" war und 2017 den Film "The Party" auf der Berlinale zeigte. In ihrem diesjährigen Berlinale-Film folgt sie 24 Stunden Mollys Leben in New York. Obwohl ihr Job auf der Kippe steht und sie für ihr eigenes Leben Entscheidungen zu treffen hat, hilft sie ihrem geistig zerrütteten Vater durch sein realitätsfernes Leben.

Die seit längerem zusammen arbeitenden Regisseurinnen Stéphanie Chuat und Véronique Reymond zeigen den Spielfilm "Schwesterlein", zu dem sie auch das Drehbuch verfassten. Sie erzählen damit die Geschichte eines Zwillingspaars (Nina Hoss, Lars Eidinger), die Erfolge am Theater feiern und dann mit einem gesundheitlichen Schicksalsschlag konfrontiert werden. Als Lisa für die Unterstützung ihres Zwillings ihr bisheriges Leben vernachlässigt, droht dieses zu zerbrechen.

Das Filmdrama "First Cow" der amerikanischen Independent-Regisseurin Kelly Reichardt konzentriert sich auf mehrere Outlaws in einer in den 1820er Jahren spielenden Geschichte in Oregon. Es begegnen sich zwei Männer, ein wortkarger Koch und ein chinesischer Einwanderer, die von der einzigen Kuh im Ort Milch stehlen, um daraus Kekse zum Verkauf zu backen. Die Kekse werden ein Verkaufsschlager und das bringt sie in Bedrängnis.

"DAU. Natascha" von Regisseur Ilya Khrzhanovskiy und Regisseurin Jekaterina Oertel ist Teil eines großen Kunst- und Filmprojekts um das Leben des sowjetischen Physiker-Nobelpreisträgers Lev Landau in einer stalinistischen Gesellschaft, gedreht nach Motiven aus den Memoiren seiner Witwe. Natasha arbeitet in der Kantine einer geheimen sowjetischen Forschungseinrichtung. Sie trinkt zu viel, redet freizügig von der Liebe und hat eine Affäre, eines Tages schreitet die Staatssicherheit ein. In Russland wurde dem Film die Freigabe für den Verleih verweigert, was einem Aufführungsverbot gleichkommt.

Encounters - AVIVA-Auswahl in dieser neuen Sektion

Mit ihrem fiktiven Dokumentarfilm "A Metamorfose dos Pássaros" ist Catarina Vasconcelos auch gleichzeitig mit ihrem Debütfilm vertreten. Inspiriert von der Erzählung ihrer Großmutter, zeigt er das Leben von Beatriz, die an ihrem 21. Geburtstag einen Marineoffizier heiratet. Viel allein, kümmert sie sich um ihre sechs Kinder und stirbt eines Tages unerwartet. Ihr ältester Sohn ist Jacinto, der Vater der Regisseurin, deren Mutter ebenfalls stirbt, als sie 17 Jahre alt ist. Gemeinsam lassen Vater und Tochter in dem Film ihre Familiengeschichte lebendig werden.

"Nackte Tiere" von Melanie Waelde, ist ebenfalls ein Debütfilm, für den die Regisseurin auch das Drehbuch als Studienabschlussarbeit an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin schrieb. Fünf befreundete Jugendliche wachsen in der Provinz auf, ihnen bleibt noch ein gemeinsamer Winter bis zum Schulabschluss und dann stehen sie vor der Wahl, zu bleiben oder zu gehen. Sie wollen leben, die Welt erobern und auch zurück zu sich selbst.

Der Film "Shirley" von Josephine Decker, basierend auf dem Roman "Shirley: A Novel" von Susan Scarf Merrell, stellt zwei Persönlichkeiten in den Mittelpunkt, die berühmte Horror-Autorin Shirley Jackson und ihren Ehemann, den Literaturkritiker und Collegeprofessor Stanley Hyman. Die Schriftstellerin findet Inspiration für ihr nächstes Buch in dem jungen Paar Rose und Fred, das die Eheleute in ihr Haus aufgenommen haben, doch sie bedroht damit die Beziehung des jungen Paares.

Sandra Wollner setzt sich in "The Trouble with Being Born" mit dem Thema des künstlichen Menschen auseinander. Elli ist eine Androide, eine Maschine im Körper einer jungen Frau, die bei Georg lebt, den sie Papa nennt. Er hat sie nach einer Erinnerung geschaffen und liebt sie über alles. Doch eines Tages wird sie von Fremden aufgegabelt und bekommt eine neue geisterhafte Identität.

Berlinale Special - die AVIVA-Auswahl

Als die facettenreichste Sektion des Festivals wird das Berlinale Special bezeichnet, die von dem neuen künstlerischen Leiter, Carlo Chatrian, kuratiert wird. In dieser Sektion laufen jetzt auch die Filme, die bisher im Wettbewerb außer Konkurrenz gezeigt wurden. Nach den statistischen Angaben der Berlinale sind 26,3 % unter weiblicher Regie und 68,4 % unter männlicher Regie entstanden. Filme aus dieser Sektion können für den mit 40.000 Euro dotierten Berlinale Dokumentarfilmpreis nominiert werden.

Das historische Filmdrama "Charlatan" von Agnieszka Holland erzählt die Biografie von des tschechischen Heilers Jan Mikolásek (1889 - 1973). Durch die ihm nachgesagten Fähigkeiten wurde er von Tausenden von Menschen, darunter auch wichtigen Persönlichkeiten, in seiner Praxis aufgesucht. Die Regime des Nationalsozialismus und des Kommunismus beschützten und benutzten ihn. Sein Sonderstatus geriet in den totalitären 1950er Jahren in Gefahr und es erfolgt nach dem Tod des Präsidenten Antonin Zápotocky ein Schauprozess gegen ihn.

Als Dokumentarische Serie angekündigt ist "Hillary", Regie Nanette Burstein. Sie verknüpft darin unbekannte Bilder aus der 2016er Präsidentschaftskampagne von Hillary Clinton mit privaten Einblicken in ihr Leben und ihre Karriere. Dazu kommen exklusive Interviews mit ihr, ihrem Mann Bill, ihrer Tochter Chelsea und weiteren bekannten Persönlichkeiten.

Im Filmdrama "Police" zeigt Anne Fontaine ("Coco Chanel - Der Beginn einer Leidenschaft") einen Querschnitt durch die französische Gesellschaft anhand dreier bei der Polizei arbeitenden Menschen. Virginie und ihre zwei Kollegen Aristide und Erik müssen sich mit ihren Wünschen und Ängsten auseinander setzen, besonders als sie einen illegalen Einwanderer zum Flughafen transportieren, von dem Virginie erfährt, dass ihm in seiner Heimat die Todesstrafe droht.

Von der israelischen Filmemacherin Vanessa Lapa wird ihr neuester Dokumentarfilm "Speer Goes to Hollywood" gezeigt. 2014 hatte sie mit "Der Anständige" Premiere auf der Berlinale, für den sie Aufzeichnungen von dem privaten Heinrich Himmler als Material nutzte. In diesem Film geht sie in das Jahr 1971, in dem Paramount Pictures plant, Albert Speers Bestseller "Erinnerungen" zu verfilmen. Die mit Drehbuchautor Andrew Birkin geführten Gespräche zeigen, wie skrupellos Speer versucht, mit dem geplanten Film seine Vergangenheit reinzuwaschen.

Der Dokumentarfilm "The American Sector" von Courtney Stephens und Pacho Velez zeigt die quer über die USA verstreuten Wandplatten der Berliner Mauer. Dazu befassen sich die zwei Dokumentarfilmer*innen mit der Bedeutung von Denkmälern, und fragen sich, ob diese Wahrzeichen aus der Vergangenheit in der Gegenwart ihr historisches Potential sinnvoll entfalten.

Panorama - die Sektion mit dem Publikumspreis

Neuer Sektionsleiter des Panorama ist Michael Stütz, der Paz Lázaro ablöst, die in das Auswahlkomitee für den Wettbewerb wechselte. Der Anteil von Filmen unter weiblicher Regie ist dieses Jahr bei 28,6 %, sowie bei 68,6 % unter männlicher Regie. Letztes Jahr wurden unter der Regie von Frauen 13 Filme (29 %) gezeigt, eine Bestrebung, dieses Jahr mehr Geschlechtergleichheit zu erreichen, ist deshalb nicht zu erkennen.

Dennoch lautet die Selbst-Definition auf der Webseite der Berlinale: "Das Panorama ist ausdrücklich queer, ausdrücklich feministisch, ausdrücklich politisch - und hat gleichzeitig das Bedürfnis, über diese Kategorien hinauszudenken." Dazu wird auch auf den Teddy-Award verwiesen, für den sich das Panorama sektionsübergreifend verantwortlich zeichnet. Doch wie es scheint, bedeutet "über diese Kategorien hinauszudenken" auch, den Filmen unter männlicher Regie zwei Drittel mehr Platz zu geben - eine Politik, die sich eher an der konservativen Oscar-Verleihung orientiert als an den Diskussionen von Pro Quote Film.

In dieser Sektion sind die Zuschauer*innen gefragt, denn sie sind die größte Jury der Berlinale. Mit Abstimmungskarten, die zu den Filmen verteilt werden, wählen sie für den Panorama Publikumspreis "ihren" besten Spiel- und Dokumentarfilm. Dabei können für jeden gesehen Panoramafilm eine Note vergeben und auf der Abstimmungskarte ein paar Worte zum Film vermerkt werden.

Spielfilme im Panorama - die AVIVA-Auswahl

In ihrem Filmdrama "The Assistant" setzt sich die Regisseurin Kitty Green, die durch den Film "Ukraine Is Not a Brothel" über die Femen-Bewegung bekannt wurde, mit der Missbrauchskultur im Filmgeschäft auseinander. Frisch vom College bekommt Jane gleich einen Traumjob als Junior-Assistentin bei einem Unterhaltungsmogul. Je routinierter sie im Job wird, desto mehr fallen ihr die subtilen Beschimpfungen und Herabsetzungen auf. Mit dem Fokus auf den repressiven Vorgängen am Arbeitsplatz zeigt sie den Missbrauch aus der Perspektive derjenigen, die ihn willentlich oder unwillentlich ermöglichen.

In "Hap" ("Hope") erzählt die Regisseurin Maria Sodahl aus eigener Erfahrung. Es geht um die Krebsdiagnose von Anja, eine Frau in den Vierzigern, und den Umgang, den sie selbst und ihr langjähriger Partner damit finden. Es geht aber auch um das Gesundheitssystem in Norwegen, weshalb alle Ärzt*innen im Film von realen Ärzt*innen gespielt werden. Und es geht um eine erkaltete Liebesbeziehung, die mit der Endlichkeit des Lebens konfrontiert wird.

In dem dänischen Thriller "Kod & Blod" ("Wildland") von Jeanette Nordahl geht es um die siebzehnjährige Ida. Als ihre Mutter bei einem Autounfall stirbt, schickt sie das Jugendamt zu ihrer Tante Bodil und ihren drei Cousins. Doch sie kennt diesen Teil der Familie kaum, da ihr Mutter nichts mit ihnen zu tun haben wollte. Ihre unbekannte Familie entpuppt sich als streng geführter Familienclan, der kriminelle Geschäfte betreibt und seine eigene Definition von unethischem Verhalten hat.

Frauen spielen die Hauptrollen in dem Coming-of-Age-Film "Las Mil y Una" ("One in a Thousand") von Clarisa Navas. Die junge Iris lebt in einer heruntergekommenen Siedlung und hat eine harte Vergangenheit hinter sich. Als sie Renata trifft, fühlt sie sich zu ihr hingezogen und erlebt Freundschaft und die erste Liebe in einem feindseligen Umfeld.

"Mare", Regie Andrea Staka, dreht sich um das Leben von Mare, die in Konavle lebt, nicht weit entfernt vom Flughafen in Dubrovnik. Ihr Leben besteht aus Routinen als Mutter, Ehefrau und Hausfrau. Ihre lockere Einstellung lässt sie nach ihrer persönlichen Freiheit forschen, die ihr Leben verändern wird.

Nach ihrer letzten, auch sehr persönlichen Regiearbeit "Schau mich nicht so an", nähert sich Uisenma Borchu in "Schwarze Milch" ebenfalls ihren mongolischen Wurzeln. Zwei Schwestern treffen sich nach Jahren der Trennung wieder, eine kommt aus Westeuropa, die andere lebte in der Wüste Gobi. Als sie aufeinander treffen, stellt das ihre Welten auf den Kopf und sie müssen sich über Liebe, Anerkennung, Emanzipation und Tradition auseinander setzen.

Panorama, dokumentarische Form - die AVIVA-Auswahl

"Always Amber" ist der Debütfilm von Lia Hietala und Hannah Reinikainen, die beide auch an Buch und Montage beteiligt waren. Sie erzählen in dieser Dokumentation aus dem Leben von Amber, 17 Jahre, und Sebastian, die Teil einer queeren Generation sind, die sich ihre Identitätsfindung nicht diktieren lassen wollen. In dieser gemeinsamen Welt wird alles geteilt und alles erscheint möglich. Doch als unerwartete Gefühle ins Spiel kommen, verändert sich das vertraute Gefüge.

Die Wienerlied-Sänger Kurt Girk und Alois Schmutzer erzählen in "Aufzeichnungen aus der Unterwelt", Regie Tizza Covi und Rainer Frimmel, von ihrem Leben im Milieu der Wiener Unterwelt, für das sie lange Haftstrafen verbüßten. Daraus entsteht ein Sittenbild der österreichischen Nachkriegsgeschichte und eine Liebeserklärung an das Wien der 1960er Jahre.

Für "Jetzt oder morgen" war Regisseurin Lisa Weber über drei Jahre an der Seite von Claudia und deren Familie. Mit 15 Jahren bekam sie ihren Sohn und lebt mit ihm bei ihrer Mutter und ihrem Bruder. Sie haben alle keinen Job und keine Perspektive und so zeigt dieser Dokumentarfilm was passiert, wenn scheinbar nichts passiert.

"Schlingensief - In das Schweigen hineinschreien" ist das Regiedebüt der Filmeditorin Bettina Böhler, die darin den Ausnahmekünstler porträtiert, der sich selbst als "Familienmensch" beschrieb und in seinen Arbeiten das Verhältnis zu seinen Eltern genauso thematisierte wie das zu Deutschland. Der Film folgt der Entwicklung von Christoph Schlingensief vom jungen Filmemacher bis zu der Zeit, als er kurz vor seinem Tod die Einladung erhält, den Deutschen Pavillon in Venedig zu gestalten.

Susanne Regina Meures zeigt in "Saudi Runaway" wie eine Frau mit der Kamera ihres Smartphones ihre Welt filmt: eine Existenz hinter geschlossenen Türen, hinter Schleiern, hinter der Fassade einer anständigen Familie. Der Vater und ihr zukünftiger Ehemann bestimmen ihr Leben und so entschließt sie sich, ihre Flucht aus Saudi-Arabien zu planen.

Zum 50. Mal Forum - die AVIVA-Auswahl

Das Arsenal (Institut für Film und Videokunst e.V.) richtet seit der Gründung 1971 das Forum als unabhängige Sektion der Berlinale aus, das durch eine diskursive Kinokultur mit intensiven Publikumsgesprächen geprägt ist. Neue Leiterin des Forums bei der Berlinale 2020 ist die Kuratorin, Dozentin und Filmkritikerin Cristina Nord, die von 2002 bis 2015 Filmredakteurin bei der "taz" war.

In dieser Sektion liegt der Anteil der Regisseurinnen bei 40 %, 2,8 % sind ausgewogen und weitere 2,8 % beschreiben sich als "none of the above". So ist mit 54,3 % männlicher Regisseure eine weitere große Sektion nicht paritätisch belegt. Doch es ist immerhin weit besser als das Jahr zuvor, 2019 gab es nur einen Regie-Frauenanteil von 23 %.

Zum 50. Geburtstag des Forums zeigt die Berlinale das vollständige Programm des Gründungsjahres 1971, verbunden mit einem Rahmenprogramm. Von den 27 Filmen waren damals vier Filme (14,8 %) unter der Regie von Frauen ausgewählt, zwei Filme (7,4 %) als Regie-Duo und ein Film (3,7 %) von einem Frauen-Kollektiv, dazu gibt es drei Filme (11,1 %) von einer gemischten Gruppe und 17 Filme (62,9 %) unter der Regie von Männern. Damit war vor 50 Jahren der Anteil der Filme von Regisseuren um 8,6 % höher als im Berlinale-Jahr 2020 - was im Umkehrschluss bedeutet, dass sich die Berlinale in den letzten 50 Jahren wenig Mühe gab, den Frauenanteil zu erhöhen.

Die AVIVA-Auswahl für das Forum:

Der Eröffnungsfilm, "El tango del viudo y su espejo deformante" ("The Tango of the Widower and its Distorting Mirror") ist aus einem Spielfilm entstanden, der von Raúl Ruiz Zeit seines Lebens nicht fertig gestellt hatte. Als ihn der Militärputsch in Chile 1973 ins Exil zwang, verschwanden die Filmspulen und tauchten erst viel später wieder auf. Regisseurin und Ruiz´ Witwe Valeria Sarmiento verwandelte das Material in einem aufwendigen Verfahren in einen fertigen Film. Dieser experimentiert auf eigensinnige Weise mit der eigenen Zeitlichkeit, indem er Herrn Iriarte im Mittelpunkt hat, den der Tod seiner Frau aus der Bahn wirft.

In dem Dokumentarfilm "Entre perro y lobo" führt Irene Gutierrez in das Herz der Sierra Maestra zu den letzten treuen Fußsoldaten der kubanischen Revolution. Die fünf Veteranen leben isoliert von der Welt, untergetaucht im Dschungel, weit weg von den großen Veränderungen, die im Rest Kubas vor sich gehen.

"FREM" von Viera Cakanyová ist eine Reaktion auf die gegenwärtige Welle posthumanistischen Denkens, verursacht durch die Entwicklung der Technologie, der Artificial Intelligence und der Klimakrise. Die Menschen erkennen ihre Bedeutungslosigkeit und die menschliche Identität befindet sich in einer Krise - der Film versucht dies zu reflektieren.

Zwischen 2017 und 2019 filmte Lynne Siefert für "Generations" an ausgewählten Standorten in den USA. Sie komponiert darin Szenen von Kohlekraftwerken und der nahegelegenen Umwelt. Ihr Film besteht aus dreizehn statischen Einstellungen, die Menschen zeigen, die im Schatten von großen Kraftwerken ihrem täglichen Leben nachgehen.

"Gli appunti di Anna Azzori / Uno specchio che viaggia net temo" ("The Notes of Anna Azzori / A Mirror that Travels through Time") von der Videokünstlerin Constanze Ruhm handelt von einer weiblichen Filmfigur, die von der Realität zur Fiktion und dabei auch durch die Zeit reist.

"Gorod usnul" ("In Deep Sleep") der Regisseurin Marija Ignatenko zeigt in ruhigen Bildern ein Russland im frostigen, mit Schnee bedeckten Winter, in der alle Menschen in einen tiefen Schlaf gefallen sind. Fast ohne Worte und dennoch mit einem Spannungsbogen versehen, erzählt sie die Geschichte von einem des Mordes Angeklagten, der zwischen den überall schlafenden Menschen nach seiner Frau sucht.

Das Drama "Kama fissamaa´kathalika ala al-ard" ("As Above so Below") der libanesischen Regisseurin Sarah Francis ist ein stiller, reduzierter Essay mit einem dichten Geflecht von Bildern, Texten und Tönen. Mit seiner Schöpfungsgeschichte steht der Mensch dabei im Mittelpunkt und wirkt dennoch als Teil des Universums verschwindend klein.

Regisseurin Sabine Herpich besuchte für ihren durch Crowdfunding finanzierten Dokumentarfilm "Kunst kommt aus dem Schnabel wie er gewachsen ist" einen besonderen Ort mit kreativen Menschen. Dort, in der Kunstwerkstatt Mosaik in Berlin-Spandau, beobachtete sie Künstlerinnen und Künstler bei ihrer Arbeit. Was wie ein Beschäftigungsprojekt für Menschen mit Behinderung wirkt, ist die Herstellung von Kunst durch Künstler*innen, die sich mittlerweile einen Namen gemacht haben.

Der brasilianische Dokumentarfilm "Luz nos trópicos" ("Light in the Tropics") ist eine vierstündige Hommage von Paula Gaitán an die die grüne Fülle des Amazonasgebiets und die Wälder des winterlichen Neuenglands, wie auch an die indigenen Menschen, die dort leben.

Carmen Losmann ist es mit ihrem episodischen Dokumentarfilmprojekt "Oeconomia" ein Anliegen, den gegenwärtigen Kapitalismus und seine Spielregeln verständlich zu erklären. Dabei möchte sie aufzeigen, dass ein Wachsen der Weltwirtschaft durch eine zunehmende Verschuldung zwar möglich ist, dieses System jedoch auf wackeligen Beinen stehen würde.

Der Dokumentarfilm "Petit Samedi" von Paloma Sermon-Dai ist die Geschichte von Damien Samedi, der in einem kleinen wallonischen Dorf, bestimmt durch die Beziehung zu seiner Mutter, nach dem sucht, was für ihn übrig bleibt. Das könnte das Heroin sein, das er seit mehr als 20 Jahren nimmt und von dem nur die Familie weiß. Als er einen erneuten Versucht unternimmt, clean zu werden, ändert sich auch das Verhältnis zu seiner Mutter.

"Victoria", ein Dokumentarfilm von Sofie Benoot, Liesbeth De Ceulaer und Isabelle Tollenaere, führt in Kaliforniens Mojave Wüste, nach California City, einer riesigen, geisterhaften Planstadt, die durch eine Bergkette von Los Angeles abgeschnitten ist. Dort versucht der fünfundzwanzigjährige Lashay T. Warren sich ein neues Leben aufzubauen und seine turbulente Vergangenheit hinter sich zu lassen.

Dokumentarfilmerin Clarissa Thieme reist in "Was bleibt" zu Städten und Dörfern in Bosnien Herzegowina. Sie macht eine einzelne Aufnahme an den Plätzen, wo während des Bosnienkrieges zahllose Menschen vergewaltigt, gefoltert und ermordet wurden. Vor zehn Jahre war sie schon einmal dort und stellt ein lebensgroßes Transparent von dieser Zeit als Kontrast in das Heute. Ohne Worte stellt sich damit die Frage an die Bilder: Geben die Orte Zeugnis von dem Horror, oder bleiben sie still?

In "Zeus-Machine. L´invincibile" erzählen Nadia Ranocchi und David Zamagni die bisher nicht erzählte Geschichte des Helden Hercules. In zwölf Episoden zeigen sie die Bearbeitung seiner Aufgaben in neuen und zeitgemäßen Formen mit unterschiedlichen Menschen und spielen dabei mit den Grenzen der Realität und der Idee des Mythos.

Forum Expanded - mehr als Kino

Das Forum Expanded integriert in die Filme seines Programms, die am Veranstaltungsort silent green laufen, auch drei Ausstellungen. Wie auf der Pressekonferenz mitgeteilt wurde, widmen sich diese 39 Installationen und Filme aus 23 Produktionsländern "den Themen Migration, Rassismus, Sexismus Staatsgewalt, Kapitalismus, Kolonialismus, Extraktivismus, Klimakrise, Zukunftsangst, Geschichtsverlust und mehr".

In der Betonhalle des silent green eröffnet am 19. Februar um 19 Uhr eine Gruppenausstellung mit Arbeiten von verschiedenen Künstler*innen. Dabei vertreten sind mit Installationen und Filmen The Otolith Group, Filipa César, RIWAQ, und Forensic Architecure. In der Kuppelhalle, die zum Werkstattkino umgebaut wird, laufen die zwölf Filmprogramme des Forum Expanded, wie auch eine Auswahl von Filmen des Forums. Im Anschluss zu den Vorführungen gibt es die Möglichkeit zur Diskussion mit den Filmemacher*innen und geladenen Gästen.

Im Marshall McLuhan Salon der kanadischen Botschaft wird ab 20. Februar die "NDN Survival Trilogy" von Thirza Cuthand gezeigt. Sie befasst sich darin mit den Folgen der Rohstoffgewinnung für die indigene Bevölkerung Kanadas. In drei Videos wird das Thema dabei um queere Perspektiven erweitert.

Die Ausstellung bei SAVVY Contemporary "Letter from a Guarani Woman in Search of the Land Without Evil" durchforscht das Archiv der audiovisuellen Reise von Patricia Ferreira (Pará Yxapy), eine der aktivsten Vertreterin des brasilianischen indigenen Kinos. Die Eröffnung ist am 19. Februar um 19 Uhr, die Ausstellung wird täglich bis zum 15. März gezeigt. Am 22. Februar um 15 Uhr führt die Filmemacherin selbst durch die Ausstellung (auf spanisch und portugiesisch), es folgen noch weitere Führungen in anderen Sprachen.

AVIVA-Auswahl zum Jubiläum 50 Jahre Forum

Zum Jubiläum präsentiert die Berlinale die Erstaufführung der vom Filmmuseum München digitalisierten Fassung des deutsche Anti-Kriegsfilm "o.k.", der 1970 zum Abbruch der Berlinale führt und nachfolgend zur Gründung des Forums. Der Spielfilm von Michael Verhoeven beruht auf einer wahren Begebenheit, die sich im November 1966 während des Vietnamkriegs zutrug und die der Regisseur in Bayern nachspielen liess. Vor 50 Jahren lud das damalige Auswahlkomitee den Film zum Wettbewerb ein, deren Präsident George Stevens stellte diese Einladung jedoch in Frage. So kam es zu kontroversen Diskussionen bis zu Zensur-Vorwürfen und darauf folgend zu Protesten und dem Rückzug von Filmen. Daraufhin wurde die Berlinale abgebrochen und im Jahr darauf, 1971, nach neuen Gesichtspunkten umorganisiert.

In "Angela - Portrait of a Revolutionary" zeigt Yolande DuLuart mit ihrem Dokumentarfilm das Leben der Vorkämpferin gegen Rassismus, Angela Davis, vor ihrer Verhaftung Anfang der 1970er Jahre. Sie war in den späten 1960er Jahren Filmstudentin an der UCLA und sprach Davis an, ob die Filmklasse einen Dokumentarfilm über sie drehen dürfte. Davis war damals als ehemalige Studentin von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno in Frankfurt, an der UCLA als Expertin für europäische Philosophie, Existenzialismus und Marxismus angestellt und schrieb bei Herbert Marcuse ihre Doktorarbeit. Als ihre politische Überzeugung bekannt wurde, führt dies zur Entlassung durch den Verwaltungsrat der Uni, dem damals auch Ronald Reagan angehörte.

Die anti-frankistischen Filmemacherinnen Helena Lumbreras und Mariano Lisa fragen sich in "El cuarto poder" ("Fourth Estate"), wie die Medien sich in der spanischen Diktatur verhalten. Ihr Fazit ist erdrückend und klar: gleichgeschaltet und regimetreu. Dagegen hilft nur, skeptisch sein und Gegenöffentlichkeit herstellen.

Annie Tresgot zeichnet in dem Dokumentarfilm "El Ghorba" ("Les passagers") das Porträt von Rachid, aufgenommen zwischen 1968 und 1970. Wie jährlich 35-Tausend andere mit ihm, ist er als 18-Jähriger aus Algerien nach Frankreich emigriert.

Die französische Filmemacherin Sarah Maldoror gründete 1956 die erste Schwarze Theatercompanie in Frankreich. Seitdem hat sie über 30 Filme realisiert, die wichtige Themen der afrikanischen Geschichte und Gegenwart aus einer Schwarzen Perspektive verhandeln. "Monangambeee", so der Filmtitel, ist aber auch ein Schrei, der so viel wie "weißer Tod" bedeutete und in Angola die Ankunft portugiesischer Sklavenhändler begleitete. In den 1960er Jahren war er das Signal zum Sammeln für die Volksbefreiungsfront.

In "Eine Prämie für Irene" thematisiert Helke Sander den Zusammenhang zwischen öffentlichem und privatem Leben und der Ausbeutung weiblicher Fabrikangestellter. Irene arbeitet tagsüber in der Fabrik und kümmert sich die verbleibende Zeit als Alleinerziehende um ihre zwei Kinder.

"The Woman´s Film" ist eine kollektive Leistung von Frauen vor und hinter der Kamera der San Francisco Wochenschau. Das Skript entstand aus den vor dem Film geführten Gesprächen mit den Frauen, die im Film erscheinen. Die Newsreel Group, bestehend aus Judy Smith, Louise Alaimo und Ellen Sorrin, greift darin die Tätigkeiten von Frauen der Arbeiter*innenklasse in Küchen, auf den Straßen, in örtlichen Supermärkten, Fabriken und Wohnzimmern auf. Die Gruppe macht daraus ein optimistisches Statement über die Kampfkraft und den kollektiven Geist der Arbeiter*innen und die Erfahrungen, die die Frauen in den gemeinsamen Kampf einbringen.

"Les yeux ne veulent pas en tout temps se fermer ou Peut-être qu´un jour Rome se permettra de choisir à son tour (Othon)" ("Die Augen wollen sich nicht zu jeder Zeit schließen oder Vielleicht eines Tages wird Rom sich erlauben seinerseits zu wählen (Othon)") ist der erste Farbfilm des Ehepaars Danièle Huillet und Jean-Marie Straub. Sie erzählen darin die Geschichte von Othon, der römischer Kaiser werden will und dafür seiner Braut entsagen muss, um die Nichte des aktuellen Herrschers zu heiraten.

"Phela-ndaba" ("End of the Dialogue") entstand unter der Regie von Mitgliedern des Pan Africanist Congress (PAC) und Londoner Filmstudent*innen, die diesen Dokumentarfilm als Filmkollektiv (Antonia Caccia, Chris Curling, Simon Louvish, Nelson ´Nana´ Mahomo, Vus Make und Rakhetla Tsehlana) gemeinsam realisierten. Sie thematisieren darin die Anfänge und die Auswirkungen der Apartheid in Südafrika und mussten den Film wegen der restriktiven Gesetzeslage außer Land schmuggeln, um ihn dann in Großbritannien fertigzustellen.

Perspektive Deutsches Kino - die AVIVA-Auswahl

Linda Söffker, die seit 2011 diese Sektion leitet, beschreibt die Auswahl der Filme ihrer Sektion mit: "Jeder unserer Filme kann als ein Heimatfilm betrachtet werden, nicht als Verklärung im romantisch kitschigen Stil der 50er Jahre, sondern als Auseinandersetzung mit der Welt, in der wir leben - bis hin zum Heimathorror." Aus mehr als 200 Einreichungen wurden acht Filme ausgewählt, davon vier als Dokumentar- und vier als Spielfilme und 75 % unter weiblicher, sowie 25 % unter männlicher Regie.

Ein Liebesdreieck an der Grenze konventioneller Moralvorstellungen entwirft Eliza Petkova in " Ein Fisch, der auf dem Rücken schwimmt". Zwischen Andrea, ihrem neuen Freund, dem Witwer Philipp und dessen Sohn Martin entspannen sich Sehnsüchte und Besitzansprüche, die sich irgendwann in einer gemeinsamen Schuld bündeln.

Natalija Yefimkina zeigt den russischen Norden und damit eine unwirtliche Gegend, in der der Winter niemals zu enden scheint, in "Garagenvolk". Der Bergbaukonzern ist in der Stadt, an dessen Rand sich Garagen bis ins Unendliche erstrecken, der einzige Arbeitgeber. Kein Auto befindet sich dort, es ist ein Mikrokosmos für die Lebensträume der russischen Arbeiter, die der Dokumentarfilmerin Einblicke in ihre Sehnsüchte, Sorgen und Leidenschaften gewährten.

Rojda ist eine junge Bundeswehrsoldatin mit kurdisch-irakischen Wurzeln, die in einem griechischen Flüchtlingslager zufällig ihre Mutter findet. Es gelingt ihr, sie nach Deutschland zu holen, doch ihre Schwester ist noch im Irak. Daphne Charizani zeigt in "Im Feuer", wie sich Rojda in den Irak versetzen lässt, um ihre Schwester zu finden und dabei zwischen die Fronten gerät.

In die Welt der Mittellosen geht Barbara Ott mit "Kids Run" und der Geschichte um Andi, dessen Leben ein ewiger Kampf ist. Die Arbeit auf dem Bau ist hart und das Geld reicht nicht, ebenso ist es für schwer, die Verpflichtungen gegenüber seinen drei Kindern und deren jeweiligen Mütter zu erfüllen. Unter großem Druck entscheidet er sich, an einem Amateur-Boxturnier mit hohem Preisgeld teilzunehmen.

Mit der Kamera folgt Sandra Kaudelka für ihre Dokumentation "Wagenknecht" der Politikerin der Linken und gibt dadurch einen Blick in deren Alltag. Daraus wird ein Zeitdokument, das weniger die Person in den Mittelpunkt nimmt, sondern den Arbeitsalltag einer Spitzenpolitikerin hautnah porträtiert.

In "Walchensee Forever" erzählt die Regisseurin Janna Ji Wonders über ein Jahrhundert die Geschichte der Frauen ihrer Familie. Das verbindende Element ist der Walchensee, an dem die Familie 1920 ein Ausflugscafé eröffnete, das bis heute existiert. Der Film zwischen bayerischen Hippie-Träumen, dem Harem um Rainer Langhans und Frauen, die jeweils auf ihre Art den patriarchalen Strukturen trotzen, erhielt 2019 den Bayerischen Filmpreis.

Veranstaltung: Reden über Film - Fragen an die Nachwuchssektion des Produzent*innenverbandes
Sektionsleiterin Linda Söffker hat Vertreterinnen des Verbandes eingeladen, ihre Ziele vorzustellen und mit ihnen über Talentförderung zu sprechen. Dazu diskutieren Christiane Sommer (Razor Film), Alexandra Krampe (Julex Film), Saralisa Volm (Poison Film), und Frauke Kolbmüller (Oma Inge Film). Die Veranstaltung findet - Eintritt frei - am 24.02. um 11.30 Uhr in der Audi Berlinale Lounge statt.

Teddy-Filme und der queere Filmpreis

Der 34. Teddy Award ist der Sektionen übergreifende queere Filmpreis der Berlinale. Entscheidend für die Teilnahme ist die Beschäftigung mit einem queeren Thema. Die Filme werden in den Kategorien Spielfilm, Dokumentarfilm und Kurzfilm ausgezeichnet, außerdem werden der Jury Award und der Teddy Readers Award vergeben.

Dazu kommt dieses Jahr erstmalig der Teddy Activist Award, der mit einem Preisgeld von 5.000 Euro verbunden ist und künftig jährlich verliehen werden soll. Mit dem Preis werden Personen gewürdigt, die sich unter schwierigen Umständen und in einem nicht unterstützenden politischen und gesellschaftlichen Umfeld für Veränderungen einsetzen und so zu Toleranz, Akzeptanz, Gerechtigkeit und Gleichheit in der Welt beitragen. So geht der Teddy Activist Award 2020 "an eine Gruppe von Aktivist*innen, die unter Gefahr für das eigene Leben mit beispiellosem Einsatz mutig und entschlossen verfolgte Homo- und Transsexuelle in Tschetschenien vor Lagerhaft, Folter und Mord retten und in Sicherheit bringen.", so die Begründung.

Die Teddy-Award-Preisverleihung mit After-Show und Backstage-Party findet am 28. Februar in der Volksbühne statt. Alle, die kein Ticket für die Preisverleihung erwerben konnten, können sich ein Screening Lounge Ticket kaufen. Damit kann die Preisverleihung als Übertragung im Roten Salon mitverfolgt werden, der freie Eintritt zur After Show Party ist inbegriffen.

AVIVA-Auswahl einiger Kandidat*innen für den Teddy

Da wir zuvor die Filme bereits in den jeweiligen Sektionen ausführlicher vorgestellt haben, hier nur kurz unsere Auswahl der Filme von Frauen, die um den Teddy konkurrieren - die dazugehörigen Besprechungsrubriken stehen in Klammer dabei.

In Bereich Spielfilm gehören dazu: "Charlatan" von Agnieszka Holland (siehe Berlinale Special), "Kod & Blod" von Jeanette Nordahl (siehe Panorama), "Kokon" von Leonie Krippendorff (siehe Generation), "Las mil y una" von Clarisa Navas (siehe Panorama), "Schwesterlein" von Stéphanie Chuat (siehe Wettbewerb) und "Shirley" von Josephine Decker (siehe Encounters).

Bei den Dokumentarfilmen verweisen wir hier auf: "Always Amber" von Lia Hietala (siehe Panorama) und "Paris Calligramme" von Ulrike Ottinger (siehe Berlinale Special).
Im Bereich der Serien auf "Sex" von Amalie Naesby Fick und "Trigonometry" von Athina Rachel Tsangari (Ep.1-5) und Stella Corradi (Ep.6-8).

Bei den Kurzfilmen ist es: "Babylebbe" von Tone Ottilie, "El nombre del hijo" von Martina Matzkin, "Extractions" von Thirza Cuthand, "Panteres" von Èrika Sánchez, "Playback. Ensayo de una despedida" von Augustina Comedi, "Untitled Sequence of Gaps" von Vika Kirchenbauer und "Who Can Predict What Will Move You" von Livia Huang.

Jüdisches Leben und Filme aus Israel

In diesem Bereich zu jüdischem Leben und Filmen aus Israel, weist AVIVA auf die in der Berlinale gezeigte Auswahl hin. Im Jahr 2019 gewann unter der Regie von Nadav Lapid mit "Synonymes" ein Film den Goldenen Bären, in dem sich ein junger Israeli mit seiner Identität auseinander setzt. Dieses Jahr ist in den beiden Wettbewerbssektionen kein Film zu oder aus Israel eingeladen. Nachfolgend die ausgewählten Einreichungen:

Der Bereich Berlinale Classics zeigt die restaurierten Fassungen von "Daleká cesta" ("Der weite Weg"), 1949, von Alfréd Radok und "Ostatni etap" ("Die letzte Etappe"), 1948, von Wanda Jakubowska. Diese beiden osteuropäischen Filme aus der unmittelbaren Nachkriegszeit thematisieren erstmals das unvorstellbare Grauen der Shoa und sind wegweisend für die Auseinandersetzung mit dem Holocaust.

Im Berlinale Special wird der Dokumentarfilm "Speer Goes to Hollywood" von Vanessa Lapa gezeigt, der uns ins Jahr 1971 führt. Paramount Pictures plant Albert Speers Bestseller "Erinnerungen" zu verfilmen, und Speer will selbst am Drehbuch mitwirken. Lapas Film basiert auf Tonaufzeichnungen der monatelangen Gespräche, die Drehbuchautor Andrew Birkin mit Speer geführt hat, und zeigt Speers skrupellosen Versuch, seine Vergangenheit mit dem geplanten Film reinzuwaschen.

Im Forum zeigt Ra´anan Alexandrowicz in "The Viewing Booth", wie er in einer laborähnlichen Versuchsanordnung dem Erleben von Bildern und der Frage, was wir als Wahrheit begreifen, nachgeht. Er führte Studierenden einer US-amerikanischen Universität im Internet veröffentliche Bilder von der Präsenz des israelischen Militärs in der Westbank vor und filmte die Reaktionen. Die Studierende Maia Levy lud er sechs Monate später erneut ein, um sich von ihr ihre damaligen Aussagen erklären zu lassen.

Bei den Berlinale Shorts II, wie auch den Queer Short Films läuft "HaMa´azin" von Omer Sterenberg. Er zeigt darin einen jungen Mann, der in der Geheimdienstabteilung des israelischen Militärs Gespräche von Palästinenser*innen über Kopfhörer abhört. Besonders die Telefonate eines schwulen Paares faszinieren ihn und er lernt deren komplizierte Beziehung kennen.

"Paris Calligrammes" von Ulrike Ottinger, der im Berlinale Special anlässlich der Verleihung der Berlinale Kamera an die Filmemacherin läuft, lässt ihre Zeit im Paris der 1960er Jahre aufleben. "Ich folgte den Spuren meiner Heldinnen und Helden" schreibt Ottinger auf ihrer Webseite - viele von ihnen fand sie im deutschen Antiquariat "Librairie Calligrammes" des jüdischen Exilanten Fritz Picard, der rund 25 Jahre zuvor vor den Nazis nach Frankreich geflohen war. Ottinger begegnet dort weiteren Menschen des jüdischen Exils, die mit den französischen Intellektuellen dieser Zeit in der Buchhandlung, die zu ihrem zweiten Wohnzimmer wurde, aus und eingingen.

Die Berlinale wird 70 - die AVIVA-Auswahl

Zur Feier der 70. Berlinale wird in der Akademie der Künste das Sonderprogramm "On Transmission" präsentiert. Dafür wurden sieben Filmemacher*innen eingeladen, deren Filme das Festival geprägt haben und diese wurden dann gebeten, eine Filmemacher*in auszuwählen, der sie sich verbunden fühlen und mit der sie über Film und Kino sprechen wollen. Die so entstandenen Duos zeigen ihre Filme und treffen sich zum Austausch in Form eines öffentlichen Gesprächs.

Ildikó Enyedi, die mit "On Body and Soul" 2017 den Goldenen Bären gewann, hat sich für ein Gespräch Zsófia Szilágyi gewünscht. Dazu wird deren Spielfilmdebüt "Egy nap" ("One Day") gezeigt, dass die 40-jährige Anna in dem Mittelpunkt nimmt. Sie ist als Mutter von drei Kindern immer in Eile, hat einen Job als Italienischlehrerin, Geldsorgen und einen Mann, der als Schriftsteller in einer anderen Welt lebt. Als sie bemerkt, dass er sie betrügt, muss sie sich überlegen, was diese Beziehung für sie bedeutet.

Margarethe von Trotta ist mit ihrer fünften Regiearbeit "Heller Wahn", die 1982 auf der Berlinale uraufgeführt wurde, zum Jubiläum eingeladen. Zur Diskussion hat sie sich Ina Weise eingeladen, deren Langfilmdebüt "Der Architekt", über eine Familie, die fast an der Vergangenheit zerbricht, dazu gezeigt wird.

Generation 2019 - die AVIVA-Auswahl

Seit Mai 2008 ist Maryanne Redpath die Leiterin der Sektion Generation. Die in Neuseeland Geborene ist für die Berlinale auch die offizielle Delegierte für Australien und Neuseeland. Von 2013 bis 2019 war sie Chefkuratorin der Berlinale-Sonderreihe NATIVe - A Journey into Indigenous Cinema, die es seit diesem Jahr nicht mehr gibt. Im Jahr 2018 arbeitete sie als Mentorin eines Projekts zum feministischen Filmschaffen in der Asien-Pazifik Region. Und unter ihrer Leitung ist die Sektion Generation eine, die schon seit längerem für Geschlechterparität steht.

"In den Filmen von Generation sind es Kinder und Jugendliche, die sich mit Mut, Verantwortungsbewusstsein und einem hohen Maß an Resilienz den Herausforderungen des Lebens stellen, mal in kleinen Schritten, mal in großen Sprüngen.", sagt Maryanne Redpath zum Inhalt der Filmauswahl. In dessen zwei Wettbewerben Generation Kplus und 14plus konkurrieren 59 Lang- und Kurzfilme aus 34 Ländern um die Gläsernen Bären. Neu ist der Preis der unabhängigen Jury AG Kino Gilde 14plus, der einen Preis an einen Langfilm aus dem Programm der Generation 14plus vergibt, um innovatives Kino für junge Menschen über die Berlinale hinaus zu stärken.

Der Regisseurinnen-Anteil im Generation-Programm liegt bei erfreulichen 58 %. Deshalb stellen wir hier nur wenige Filme exemplarisch vor und wünschen viel Freude beim Durchforsten des Generation-Programms.

Als Teil von "Rock Against Racism" gingen 1978 zahlreiche britische Bands gemeinsam auf die Bühne. Sie reagierten damit auf das Erstarken der neofaschistischen Partei British National Front und die Zunahme rassistischer Gewalt. Der Film "White Riot" der Regisseurin Rubika Sha wirft mit bisher unveröffentlichten Archivaufnahmen der Konzerte und Interviews mit den damaligen Aktivist*innen einen Blick auf die Hintergründe in dieser Zeit und zieht Parallelen zur Gegenwart.

Die Regisseurin Caru Alves de Souza lässt in "Meu nome é Bagdá" ein cooles Mädchen auf ihrem Skateboard durch Sao Paulo rollen. Bagdá respektiert nur, wen sie will, ihr Zuhause ist ein feministischer Frauenhaushalt. Ihre andere Welt ist die der Suicide Ramps, an denen sie selbstbewusst mit den Jungs abhängt.

In "The Earth Is Blue as an Orange" beobachtet die Regisseurin Iryna Tsilyk den Alltag und die Arbeit einer Familie. Um gegen die Leere anzukämpfen dreht die Mutter einen Film über deren Leben. Sie leben im ukrainischen Donbas, wo seit fünf Jahren Krieg ist und so ist es ein Film über das Leben einer Familie im Krieg, mit ihren Ängsten und kleinen Freuden, in dem vier Geschwister gemeinsam mit ihrer Mutter versuchen, Frieden zu finden und einen normalen Alltag zu organisieren.

Berlinale Shorts - eine Auswahl

Für alle, die den Kurzfilm lieben, weil er ästhetisch und inhaltlich eine besondere Freiheit genießt, da er seine Magie jenseits der üblichen Sehgewohnheiten entfalten darf - hier eine Auswahl aus den 24 Filmen. Der Anteil der Regie-Frauen liegt bei 41,8 %.

In "Babylebbe" von Tone Ottilie begleitet Frede ihre große Schwester zu einer queeren Party, um dort ihre Exfreundin zurückzugewinnen. Von den Älteren als Babylesbe abgestempelt, bleibt ihr nur die Flucht nach vorn.

Lucho weiß, wer er ist. Es sind die anderen, die ihm prüfende Blicke zuwerfen, ihn als Mädchen ansprechen und Fragen stellen.In "El nombre del hijo" zeigt Martina Matzkin wie sich ein Kind mit der Entwicklung seines pubertierenden Körpers auseinander setzt.

"Extractions" von Thirza Cuthand stellt Rohstoffförderung in Beziehung zur boomenden Pflegekind-Industrie, die viele indigene Kinder von ihren leiblichen Eltern trennt.

Joana studiert die Eigenheiten der Frauenkörper in der Umkleide und später auch sich selbst im Spiegel. In "Panteres" von Èrika Sánchez fragt sich Joana, ob der eigene Körper verändert werden kann, sie möchte alles abschütteln, sie befreien.

"La Delpi" ist die einzige Überlebende einer Gruppe von Transgenderfrauen und Dragqueens im Argentinien der späten 1980er Jahre. "Playback. Ensayo de una despedida" von Augustina Comedi zeigt diese von der Militärdiktatur geprägte Zeit, indem sie von Shows in Kellertheatern erzählt, die Halt gaben und die Gemeinschaft stärkten.

Mit Hilfe des nicht sichtbaren Lichtspektrums - das, was gefühlt, aber nie gesehen wird - nähert sich in "Untitled Sequence of Gaps" Regisseurin Vika Kirchenbauer dem Traumabedingten Gedächtnisverlust.

Berlinale Series - Premiere im Zoo Palast - die AVIVA-Auswahl

"Die Berlinale Series bietet Einblicke in neue Formen des Erzählens" erklärt der künstlerische Leiter der Berlinale, Carlo Chatrian. Im Zoo Palast feiern acht Serien ihre Premiere. Julia Fidel, die neue Leiterin der Sektion, kennzeichnet ihre Gemeinsamkeit mit dem Begriff "Sichtbarkeit". Nach den statistischen Angaben der Berlinale sind 37,5 der Filme in der Regie von Frauen entstanden, 50 % von Regie-Männern und 12,5 % in einer ausgewogenen Regiegruppe.

"Sex" von der dänischen Regisseurin Amalie Naesby Fick und Creator und Autorin Clara Mendes erzählt von dem Gefühls- und Lebenschaos von Cathrine, das zwischen ihrer Kollegin und ihrem Freund entsteht. In kaum viertelstündigen Episoden mit intensiven Bildern und Musik erzählen die Filmemacherinnen eine Liebesgeschichte von heute, die in Dänemark als sechsteilige Short-Form-Serie unter dem Thema "Aufklärung" im Fernsehen läuft.

Die sechsteilige Serie "Stateless", bei der Cate Blanchett auch als Schauspielerin und Produzentin dabei ist, ist für sie inhaltlich von großer Bedeutung, so die Selbstbeschreibung der Filmemacher*innen. Die ABC-Serie möchte einen Beitrag zur Diskussion um Migration leisten und stellt dazu die Fragen: Wie viele Perspektiven gibt es auf ein Land? Wie viele Emotionen umfasst der Begriff Heimat? Es geht auch um die Erweiterung der politischen Dimension um den existenziellen Gedanken über die Verbundenheit der Menschen. Als Creators dabei sind neben Cate Blanchett, Elise McCredie und Tony Ayres, die Regie führten Emma Freeman (Ep.1-3) und Jocelyn Moorhouse (Ep.4-6).

"Trigonometry" geschrieben und konzipiert von Duncan Macmillan und Effie Woods, ist das erste Serienprojekt von Athina Rachel Tsangari (Ep.1-5), die ebenso Regie führte wie Stella Corradi (Ep.6-8). Weil Wohnraum in London teuer und knapp ist, nimmt das Paar Gemma und Kieran die nach einem Platz im Leben suchende Ray auf. So beginnt eine moderne Liebesgeschichte, die das Leben der drei verändert.

Berlinale Talents

Berlinale Talents wurde gegründet, um dem internationalen Filmnachwuchs eine Plattform zu schaffen und sich mit renommierten Expert*innen auseinander zu setzen. Jedes Jahr werden unter einem Themenschwerpunkt, der dieses Jahr "Kollektive" ist, auch einige öffentliche Veranstaltungen angeboten. Diese finden alle im Hebbel am Ufer (HAU) statt, hier eine kleine Auswahl:

Unter dem Titel "Future Intense: Queer Film Collectives" kommen die Mitglieder von Junglinge Film mit dem aus Singapur kommenden Filmemacher*innen-Kollektiv 13 Little Pictures zusammen, um über die Probleme zu sprechen, die entstehen, wenn die alten Hierarchien hinter sich gelassen werden wollen, und dennoch mit der gegenwärtigen Filmindustrie gearbeitet werden muss.

In der Veranstaltung "Protocols & Pathways: Indigenous Film Sets" diskutieren vier Filmemacherinnen (Zoe Leigh Hopkins, Tusi Tamasese, Anne Lajla Utsi, Marjorie Bendeck Regalado) über die Ethik des Eigentums, wenn doch die erzählte Geschichte eine kollektive aus einer indigenen Gemeinschaft ist. Sie berichten von der Bedeutung von Verantwortung, Sensibilität und gemeinschaftlichem Austausch für ihre Arbeiten.

In "Speaking the Youth: Writing Teenage Series" unterhalten sich Julia Penner und Sandra Stöckmann vom Autor*innen-Kollektiv Q3 mit Ronja Salmi und Meredith Burkholder über die Kunst, Dialoge von Teenagern zu schreiben. Sie zeigen mit Beispielen aus ihren letzten Entwürfen, wie sie die Aufmerksamkeit des jungen Publikums bekommen und halten.

Vier Künstler*innen und gleichwohl Aktivist*innen diskutieren über die Frage der Zugehörigkeit. "Home is where you belong" ist nicht eindeutig ins Deutsche übersetzbar: Zuhause ist, wo du herkommst, hingehörst, dich zuordnest? Cate Blanchett, auf der Berlinale auch vertreten mit der Serie "Stateless", Maryam Zaree, letztes Jahr auf der Berlinale mit Born in Evin, sprechen darüber mit Karim Ainouz und Nardjes Asli.

Und sonst noch

Für den Vorverkauf wie auch den Publikumstag beginnen am 17. Februar die Ticketausgaben. Publikumstag ist der letzten Berlinale-Sonntag, der 1. März, dafür gibt es ab Festivalbeginn Karten zum günstigen Preis. Ebenfalls günstiger sind die Preise der Generation-Vorstellungen. In fast allen Berlinale-Spielstätten gibt es eine begrenzte Anzahl von Rollstuhlplätzen. Tickets für die regulären Vorführungen können ab drei Tagen zuvor gekauft werden, die drei Vorverkaufskassen (Potsdamer Platz Arkaden, Kino International, Audi City Berlin) sind von 10 bis 20 Uhr geöffnet.

Die Berlinale präsentiert in den Potsdamer Platz Arkaden - zusammen mit "Engagement Global" - eine Ausstellung zu den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen und bekennt sich damit zur Agenda 2030. Weitere Veranstaltungen dazu gibt es im Berlinale Social Bus in der Alten Potsdamer Straße, es wird aber auch an weiteren Veranstaltungsorten das Thema Nachhaltigkeit aufgegriffen.

Bei "Books at Berlinale" werden im Bereich des Co-Production Market die Rechte für zukünftige Literaturverfilmungen verhandelt. Aus über 170 Einreichungen für dieses Jahr wurden zwölf Bücher ausgewählt, acht davon von Autorinnen. Die dazugehörige Veranstaltung am 21. Februar, ist nur für Filmproduzent*innen, Verlage und Literaturagent*innen geöffnet.

Bei Wikipedia hat sich seit September 2019 ein Projekt entwickelt, um aktive Frauen aus dem deutschen Sprachraum besser miteinander zu vernetzen und - im Zusammenhang mit der weltweiten Kampagne "Art+Feminism" - ein "Edit-a-Thon" zu starten, um Filmemacher*innen, Künstler*innen, Schauspieler*innen und weitere Kunstschaffende, online lesbar und damit sichtbar zu machen.
Das Projekt ist unter "Wikipedia:FilmFrauen/Berlinale-Art+Feminism-Edit-a-thon" nachzulesen. Es werden Termine auf der Berlinale zum gemeinsamen Veranstaltungsbesuch angeboten: bei Pro-Quote Film am 21.2., Einführung in das Arbeiten am 22.2., und gemeinsames Editieren und offener Austausch zur Frauennetzwerkarbeit im Wikiversum am 23.3. - mehr zu den Terminen findet sich auf der Webseite.

AVIVA-Tipp: Die Berlinale hat sich durch die neue, doppelte Leitung verändert, ebenso durch die neuen Sektionsleiter*innen. Wie sich dies über die Filmauswahl auswirken wird, wird sich erst nach den Premieren der Filme durch die Reaktionen von Publikum und Presse zeigen. Doch, wie bisher immer, verspricht das Filmfestival eine große Auswahl an emotionalen, informativen und spannenden Filmen, die es nicht oft ins reguläre Kinoprogramm schaffen werden. Versprochen hat der neue künstlerische Leiter, viele der Filmschaffenden einzuladen, damit die Diskussionen nach dem Film ein Highlight im Kino bleiben - für dieses sollte unbedingt Zeit eingeplant werden. Wir wünschen aufregende Erfahrungen und erweiternde Einblicke in unbekannte Welten, zusammen mit einem guten Durchhaltevermögen. Und wie jedes Jahr gilt, dass der gemeinsame Kinogenuss mit einem empathischen und kritischen Publikum durch nichts zu übertreffen ist.

Mehr Infos zur Berlinale, dem Teddy und den hier auf AVIVA-Berlin genannten Initiativen unter:

www.berlinale.de

www.teddyaward.tv

www.proquote-film.de

www.kulturrat.de Dossier "Frauen in der Kultur- und Kreativwirtschaft" - Wie weiblich ist die Kulturwirtschaft? (2017) mit pdf-Download

www.kulturrat.de Buch mit pdf-Download: "Frauen in Kultur und Medien. Ein Überblick über aktuelle Tendenzen, Entwicklungen und Lösungsvorschläge" (2016)

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

Die AVIVA-Filmauswahl zur 69. Berlinale

Das war die 69. Berlinale

Frauen im Filmbusiness - Interview mit Ulrike Ottinger - Filmemacherin, Künstlerin, Autorin und Fotografin, über weit mehr als ihren neuen Film Chamissos Schatten. (2016)




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Kultur > Kino

Beitrag vom 14.02.2020

AVIVA-Redaktion