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Beitrag vom 14.07.2018
NICO, 1988. Der mehrfach preisgekrönte Film von Susanna Nicchiarelli mit Trine Dyrholm in der Hauptrolle. Kinostart: 18. Juli 2018 - Nicos 30. Todestag
Tina Schreck
Das düster-melancholische Biopic basiert auf dem Leben des deutschen Supermodels Christa Päffgen alias Nico, die später auch als Schauspielerin und Sängerin durchstartete und es ab den 1950er Jahren zu beachtlichem, internationalem Erfolg brachte. Interessanterweise wird hier allerdings nicht die schillernde Glanzzeit der Andy Warhol-Muse und Velvet Underground-Vokalistin beleuchtet, sondern ihr Leben nach dem großen Ruhm. Im Vordergrund stehen nicht Beliebtheit und Prominenz, sondern die Musik selbst und ihre wahre Liebe: ihr Sohn.
"Do you wanna tell us something about your experience with The Velvet Underground?"
—"No, I don´t," stellt Nico (Trine Dyrholm) trocken in einer der ersten Szenen gegenüber einem Radiomoderator klar, der sie zu Beginn seiner Show als Lou Reeds "femme fatale" vorstellt und somit direkt den Unmut der Sängerin zu spüren bekommt. Denn diese möchte als Individuum anerkannt und nicht nur als bloße Begleiterscheinung gefeierter Berühmtheiten wahrgenommen werden. Bereits ab Mitte der 60er Jahre arbeitete sie an ihrer von Jim Morrison motivierten Solokarriere. Insgesamt brachte die Künstlerin 11 Solo-LPs auf den Markt. Ihr Album "Marble Index" aus dem Jahr 1968 gilt mit seinen unkonventionellen, düsteren Klängen als Meilenstein der Musikgeschichte und wird von vielen als Vorreiter des Dark Wave, Goth und Punk angesehen. Trotzdem wurde die Sängerin immer wieder auf ihren früheren Erfolg reduziert.
Die letzten Jahre
Regisseurin und Drehbuchautorin des Films Susanna Nicchiarelli möchte genau wie die Sängerin selbst von deren Heydays nichts wissen, sondern konzentriert sich vor allem auf den Zeitraum von 1986 bis 1988, der die letzten Jahre der einstigen Ikone beschreibt. Damit schafft sie nicht nur das komplexe Portrait einer gebrochenen, dennoch starken Frau, sondern auch das einer liebenden Mutter, deren Welt sich um ihren einzigen Sohn dreht: Christian Aaron Päffgen, genannt Ari, den sie nach eigenen Angaben mit dem Schauspieler Alain Delon gezeugt hatte. Dieser erkannte seine Vaterschaft jedoch nie an. Aufgrund Nico Drogensucht wurde ihr der Sohn schon früh weggenommen, er nahm erst im jungen Erwachsenenalter wieder engeren Kontakt zu seiner noch immer heroinsüchtigen Mutter auf. Auch er greift unter ihrem Einfluss zur Nadel. Trotz dieser Widersprüchlichkeit bekundet Nico fortwährend, insbesondere durch ihre Musik, ihre (verhängnisvolle) Liebe zu ihm: "My heart is empty, but the songs are filled with love for you," singt sie etwa in einem ihrer elegischen Songs, die ihrem Sohn gewidmet sind.
1988 stirbt Nico auf Ibiza und wird unter ihrem bürgerlichen Namen Christa Päffgen in Berlin beerdigt.
Perfekte Besetzung
Die großartige Trine Dyrholm verschmilzt regelrecht mit ihrer Filmfigur Christa Päffgen. Ihre schwermütigen Bewegungen, ihr herausfordernder Blick, ihr unverkennbarer Akzent - trotz fehlender optischer Ähnlichkeit, legt die dänische Schauspielerin und Sängerin eine fantastische Performance hin. Authentisch spiegelt sie die innere Zerrissenheit Nico wider, die in einem Strudel aus Sucht, Rebellion, Reue und unendlicher Traurigkeit gefangen zu sein scheint. Doch nicht nur ihr überzeugendes Spiel, auch ihre tiefe, rauchige Stimme, mit der sie alle Songs selbst zum Besten gibt, gehen unter die Haut.
AVIVA-Tipp: "NICO, 1988" zeichnet die letzten beiden Jahre der einstigen Ikone Nico, die sich nach den glorreichen Zeiten des Ruhms endlich dem widmen kann, was ihr am Herzen liegt. Der intensive Roadmovie dreht sich also nicht um ihren Erfolg, sondern erzählt die Geschichte einer tragischen aber außergewöhnlichen Frau, deren Beziehung zu ihrem einzigen Sohn von beträchtlichen Schuldgefühlen belastet wird.
NICO, 1988
Italien / Belgien 2017
Regie und Drehbuch: Susanna Nicchiarelli
Darsteller_innen: Trine Dyrholm, John Gordon Sinclair, Anamaria Marinca, Sandor Funtek, Thomas Trabacchi, Karina Fernandez, Calvin Demba, Francesco Colella u.a.
Verleih: FilmKinoText
Lauflänge: 93 Min.
Kinostart: 18. Juli 2018
Mehr zum Film und der Trailer unter: www.filmkinotext.de
Zur Regisseurin: Susanna Nicchiarelli wurde am 6. März 1975 in Rom / Italien geboren. Sie studierte zunächst Philosophie an der Scuola Normale Superiore in Pisa, bevor sie 2004 ihr Regiestudium am Centro Sperimentale di Cinematografia in Rom abschloss. Ihre Karriere startete sie bei Regisseur Nanni Moretti, indem sie u.a. Regie bei der von ihm produzierten TV-Serie I diari della Sacher führte, welche 2001 auf den Filmfestspielen in Venedig präsentiert wurde. Bereits für ihren ersten Kurzfilm Sputnik 5 (2008) gewann Susanna Nicchiarelli das SILBERNE BAND, den Filmpreis der Vereinigung der italienischen Filmjournalist_innen für den besten Animations-Kurzfilm. Für ihren ersten Langspielfilm Cosmonaut (2009), der seine Weltpremiere auf den Internationalen Filmfestspielen in Venedig feierte, wurde sie mit dem Controcampo Award ausgezeichnet und für den italienischen Filmpreis David di Donatello als Beste Regie-Newcomerin nominiert. "NICO, 1988" ist nach "La scoperta dell´alba" ihr dritter Langfilm.
Seine Weltpremiere feierte NICO, 1988 auf den Internationen Filmfestspielen Venedig 2017 als Eröffnungsfilm der Sektion HORIZONTE und wurde mit dem ORIZZONTI Award für den besten Film ausgezeichnet. Beim italienischen Filmpreis David di Donatello konnte NICO, 1988 Preise für Bestes Drehbuch, Besten Sound, Bestes Make-up und Bestes Hair-Design abräumen.
Weitere Infos zu Susanna Nicchiarelli unter: www.imdb.com
Zur Hauptdarstellerin: Trine Dyrholm kam am 15. April 1972 in Odense / Dänemark zur Welt. Bereits im Alter von 13 Jahren schrieb sie ein Theaterstück über Anne Frank, in dem sie auch als Hauptdarstellerin fungierte. 1995 schloss sie erfolgreich die staatliche Theaterschule ab und trat danach sowohl in Film und Fernsehen als auch im Theater auf. Gleich für ihre erste Hauptrolle in Eddie Thomas Petersens "Springflut" (1990) erhielt die Schauspielerin den dänischen Kritiker_innenpreis Bodil. Neben Rollen in zahlreichen dänischen Filmen wie Thomas Vinterbergs "Das Fest" oder Lasse Spang Olsens "In China essen sie Hunde" (1999), spielte sie auch in deutschen Filmen wie "Bungalow" (2002) von Ulrich Köhler oder "Who Am I – Kein System ist sicher" von Hanne Lindberg mit. Für die dritte Staffel der Fernsehserie "Die Erbschaft" in der sie seit 2014 die Hauptrolle spielt, wird Trine Dyrholm zum ersten Mal Regie führen. Doch auch als Sängerin ist die Dänin äußerst erfolgreich. Bereits 1987 nahm sie als Vierzehnjährige mit der Band "The Moonlighters" und dem Song "Danse i måneskin" (Tanz im Mondschein) am Dansk Melodi Grand Prix teil, der dänischen Vorausscheidung zum Eurovision Song Contest, und erreichte den dritten Platz. In der dänischen Erfolgs-Comedy-Show "Mr. Nice Guy" der Brüder Anders und Peter Lund Madsen hatte sie einen Gastauftritt und sorgte dabei für den Gesang. Daraufhin erschien eine EP mit drei Liedern, die eine ungewöhnliche Hitparadengeschichte schrieb. Die Platte war ab 24. Juni 2005 über zwei Jahre lang ununterbrochen unter den Top 5 der dänischen Charts, davon 62 Wochen auf Platz 1.
Weitere Infos zu unter: www.imdb.com
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