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Beitrag vom 08.04.2011
Der Name der Leute - Ein Film von Michel Leclerc und Baya Kasmi mit Sara Forestier. Kinostart: 14.04.2011. Verlosung
Evelyn Gaida
Diese originell-aberwitzige Komödie und Satire nimmt es mit nahezu allen gesellschaftlichen... AVIVA verlost 1 Paar Dr. Martens im Wert von 129 Euro und 3x2 Freikarten
... Reizthemen und Tabus auf. Nicht die Fronten und Parolen stehen dabei im Mittelpunkt – obwohl auch sie zahlreich vertreten sind – sondern die überaus widersprüchlichen Menschen und Lebensgeschichten dahinter.
Der Film schafft es größtenteils, sich mit Unverblümtheit und einer Art kindlicher Respektlosigkeit unbeschadet in diesem Minenfeld zu bewegen: Die Respektlosigkeit gilt nicht den umkreisten Themen, sondern dem gesellschaftlichen Umgang damit.
Regisseur Michel Leclerc schrieb das Drehbuch mit seiner Lebensgefährtin, der Drehbuchautorin und Filmemacherin Baya Kasmi. Höchst autobiografisch, so Leclerc, aber mit der nötigen Distanz durch Humor und Selbstironie. Kasmi hat wie ihre Filmfigur Bahia (Sara Forestier, Gainsbourg, Das Parfum) algerische Wurzeln: "Wir wollten auf diese ganze deterministische Diskussion über Identität und verschiedene Gemeinschaften reagieren, weil wir sie nicht gutheißen und uns darin nicht wiederfinden können", sagt die Co-Autorin. In "Der Name der Leute" verschwimmen Abgrenzungen derweil konsequent zur Überschneidung.
"Make Love, Not War" – die Hippie-Tochter und ausgeflippte Politaktivistin Bahia Benmahmoud hat es sich zum Lebensmotto gemacht – wörtlich. Sie geht also nicht kriegerisch gegen ihre Feinde vor, `Faschisten´ aller Couleurs, sondern setzt erfolgreich auf Geschlechtsverkehr als Mittel der Bekehrung. Der etwas gehemmte Ornithologe Arthur Martin (Jacques Gamblin, "C´est la vie", Kommissar Bellamy) gerät ebenfalls in ihr Visier, jedoch gänzlich zu unrecht(s), wie sich zeigt. Er ist Anhänger des Sozialisten Jospin und wird nur aufgrund seines peniblen Äußeren und leicht zwanghaften Gebarens dem rechtskonservativen Lager zugeordnet.
Sei´s drum, für ihn macht Bahia eine Ausnahme, denn zur Abwechslung gefällt er ihr. Wie ein Wirbelwind fegt die extrem freizügige, naiv-temperamentvolle junge Frau nun durch das Leben des unauffälligen, um einiges älteren Tierarztes, der ansonsten tote Vögel im Dienste des Französischen Amtes für Tierseuchen aus Teichen fischt. Eine zärtliche und wahnwitzige Liebesgeschichte nimmt ihren Lauf, die weniger auf dem naheliegenden "Gegensätze ziehen sich an"-Sprichwort fußt, als der gegenseitigen Ergänzung.
Das klingt wie eine politische Neuauflage der "Pretty Woman"-Konstellation, hier aber in einer vielschichtigeren Variante. In den Blick genommen wird auch, was an kultureller Historie und familiären Schicksalen die Lebensläufe der beiden nachhaltig beeinflusst hat. Ein Hintergrund, vor dem sie ihren eigenen Weg und ihre Identität im Getümmel der gesellschaftlichen und familiären Schubladen finden müssen. Der Regisseur setzt dies sehr lebendig und witzig um: Seine Hauptfiguren werden in der Gegenwart immer wieder von ihrem jugendlichen Alter Ego heimgesucht, ebenso von ihren Vorfahren. Berührend ist die Szene, in der Leclerc das kleine Mädchen Bahia und den Teenager Arthur im fiktiven Zwiegespräch nebeneinander auf der Bank sitzen lässt.
Die reale Begegnung ihrer denkbar ungleichen Elternpaare und Bahias aufrichtiges, aber zum Scheitern verurteiltes Bemühen, nichts Falsches zu sagen, sind Highlights des Films. Mohamed Benmahmoud (Zinedine Soualem) verlor während des Algerienkrieges die Hälfte seiner Angehörigen, die von der französischen Armee ermordet wurden. In Frankreich konnte er als illegaler Einwanderer erst durch die Heirat mit Bahias französischer Mutter (Carole Franck) offiziell seine Existenz als hart arbeitender Bürger führen. Seine Frau ist eine hippiebewegte Atomkraftgegnerin und ein protestierendes Kind der 70er Jahre.
Arthurs Eltern dagegen zurückgezogene RepräsentantInnen der 50er-Jahre-Mentalität. Aus den Erinnerungen an die Schrecken des Zweiten Weltkrieges flüchteten sie sich in die Fortschrittsgläubigkeit und Verdrängung. Der Vater (Jacques Boudet) nahm selbst am Algerienkrieg teil und war als Physiker in einem Atomkraftwerk(!) tätig. Arthurs Mutter (Michèle Moretti) verlor ihre griechisch-jüdischen Eltern als Kind durch den Holocaust. Ein Trauma, das sie mit aller Macht verschweigt und von sich weist. Als ihre ehemals zum Schutz gefälschte Geburtsurkunde gestohlen wird, gerät ihre (vermeintlich französische) Identität bedrohlich ins Wanken.
"Wir (wollen) den Widerspruch akzeptieren, dass wir es einerseits ablehnen, mit einer bestimmten Verhaltensweise, entsprechend unserer Herkunft, identifiziert zu werden und uns andererseits wünschen, unsere Wurzeln und die Geschichte unserer Familie nicht zu vergessen", so Baya Kasmi. Diese Ambivalenz wird in "Der Name der Leute" klug und komisch umgesetzt.
AVIVA-Tipp: "Der Name der Leute" bewältigt mit Einfallsreichtum, origineller Dramaturgie und mitreißend agierenden HauptdarstellerInnen die Gratwanderung zwischen Komik, Chaos und Nachdenklichkeit. Die Bezüge auf Bahias Kindheitserlebnis des Missbrauchs durch ihren Klavierlehrer schießen allerdings sehr unangemessen am Ziel vorbei und sind völlig fehl am Platz. Dennoch ist der preisgekrönte Film als Ganzes eine temperamentvolle und berührende Parodie nicht nur eines deterministischen Menschenbildes – auch politisch dominierte Weltanschauungen werden als üppige Fundgrube des Absurden gekonnt in Szene gesetzt.
Zum Regisseur: Michel Leclerc begann seine Karriere mit einer Reihe von Kurzfilmen. Nebenher arbeitete er als Redakteur für verschiedene französische Sendeanstalten. Seinen erster Langfilm "J´invente rien" wurde zum Publikumserfolg in Frankreich. Neben seiner Arbeit als Regisseur schreibt Leclerc auch Drehbücher, zum Beispiel für die Fernsehserie "Age sensible" oder den Spielfilm "La tête de Maman". Für das Drehbuch zu "Der Name der Leute" erhielt er zusammen mit Co-Autorin Baya Kasmi den französischen Drehbuchpreis "Grand Prix du meilleur scenariste" und den begehrten Filmpreis César in der Kategorie Bestes Drehbuch. (Quelle: X-Verleih)
Zur Hauptdarstellerin: Sara Forestier wurde 1986 in Frankreich geboren. Ihre erste Hauptrolle hatte sie in "Nicht Ja, nicht Nein". Damit gelang ihr 2005 der Durchbruch. Sie wurde im selben Jahr als "Beste Nachwuchsschauspielerin" mit dem César und dem Étoile d´Or geehrt. Dem internationalen Publikum wurde sie unter anderem durch die Rolle der Jeanne in Tom Tykwers Literaturverfilmung "Das Parfum" bekannt. Im letzten Jahr war sie als France Gall in "Gainsbourg – Der Mann, der die Frauen liebte" zu sehen. Für ihre Hauptrolle in "Der Name der Leute" wurde sie 2011 mit dem César als Beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet. (Quelle: X-Verleih)
Zur Drehbuchautorin: Baya Kasmi wurde 1978 in Toulouse geboren – und hat algerische Wurzeln. Im Jahr 2000 zog sie nach Paris, um Filmemacherin zu werden und verfasste schon ein Jahr später Drehbücher für die französische Fernsehserie "Age Sensible". Danach schrieb sie diverse Folgen für verschiedene TV-Serien und entwickelte mehrere Serienkonzepte, häufig auch in Zusammenarbeit mit ihrem Lebensgefährten Michel Leclerc. 2006 stand sie für dessen ersten Langfilm "J´invente rien" auch als Schauspielerin vor der Kamera. Zusammen mit ihm wurde sie für ihr Drehbuch zu "Der Name der Leute" mit diversen Preisen ausgezeichnet, darunter auch der "Grand Prix du meilleur scenariste". Baya Kasmi macht außerdem Kurzfilme und schreibt Chansons, die sie auch selbst in der Gruppe "Michel et Baya" singt.
Der Name der LeuteLe nom des gens
Frankreich 2010
Regie: Michel Leclerc
Buch: Baya Kasmi, Michel Leclerc
DarstellerInnen: Sara Forestier, Jacques Gamblin, Carole Franck, Zinedine Soualem, Michèle Moretti, Jacques Boudet und Lionel Jospin als er selbst
Verleih: X-Verleih
Lauflänge: 104 Minuten
Kinostart: 14.04.2011
Weitere Informationen finden Sie unter:www.dernamederleute.x-verleih.deWeiterlesen auf AVIVA-Berlin:"Gainsbourg. Der Mann, der die Frauen liebte"L´esquiveC´est La Vie - So sind wir, so ist das Leben