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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 22.09.2010


Katharina Döbler - Die Stille nach dem Gesang
Britta Meyer

Alex ist nach dem plötzlichen Tod ihres Langzeitgeliebten Falk allein geblieben, und das jetzt bereits seit sieben Jahren. Rückblickend... AVIVA verlost 3 Bücher




... muss sie feststellen, dass sie es nicht geschafft hat, ein Leben zu führen, das einen anderen Mittelpunkt hat als die Beziehung zu ihm und die Erinnerung daran.

Katharina Döbler gelingt es in ihrem Debütroman "Die Stille nach dem Gesang", die Geschichte eines KünstlerInnenlebens zu erzählen, das sich in Fügsamkeit und Anpassung verlor, noch bevor es richtig losgehen konnte.

Falk Margraf war berühmt dafür, der rebellische Spross einer alten, sich sehr elitär gebenden Bayreuther Großbürgerfamilie zu sein, der die Rockmusik dem familienintern verherrlichten Wagner vorzog. In seiner Jugend war er mit seiner Band das prägende Idol einer aufsässigen Generation. Wen wundert es, dass sich die junge Sängerin Alex Anfang der 1980er für auserwählt hielt, als er vom Sockel seiner Größe herab Gefallen an ihr fand. Alex löste sich von ihren alternativen FreundInnen in der West-Berliner KünstlerInnenszene, gab ihr Studium und ihre eigenen Performances auf und wurde ganz zu der Frau, die gelegentlich an Falks Seite zu sehen war. Seine stets Falks Leben dominierende Familie hat Alex nie als ernsthafte Partnerin wahrgenommen, seine herrische Schwester Isolde verachtet sie sogar als unbegabtes und nutzloses Püppchen, das es nur auf sein Geld abgesehen hat.

Döbler beschreibt die einzelnen ProtagonistInnen durch die Blicke der jeweils Anderen auf sie und schafft so von jeder Figur ihres Romans ein facettenreiches und dabei gnadenloses Portrait. Die Motivationen und die Konflikte der Handelnden teilen sich den Lesenden unaufdringlich und glaubwürdig mit, wobei nicht einer dieser Menschen jemals als sympathisch erscheint. Sie leben desinteressiert nebeneinander her und nutzen sich auf der Basis lauwarmer Gefühle gegenseitig aus. Neben Falks selbstverständlicher Nonchalance hat sich Alex immer klein und dumm gefühlt. Falk, der ihr die eigene Karriere ausgeredet und sie gut versorgt in der komfortablen Wohnung untergebracht hat, in der sie immer auf ihn wartete. Falk, der ironisch lächelnd über allen Dingen stand und jede echte Emotion für Kitsch hielt. Der gesagt hat, Sängerinnen seien alle von Grund auf dumm und dann nicht verstand, warum Alex verärgert war. Falk, der sie nie als eine Person mit einer Berufung gesehen hat, die über ihn und die Liebe zu ihm hinausging. Der damit vielleicht Recht gehabt hat.

"Aber Liebe war so ein Etikett, das man aus Eigennutz und Begierde jemandem aufdrückte, den man haben wollte. Es war soviel komplizierter. Es war eher so, dass sie zu Falk gehörte, weil man ja zu irgendjemandem wohl gehören muss, und sie wollte gern zu den Margrafs gehören, zu dieser Familie mit ihrer Geschichte und ihrem Haus, einer Familie, die einen gewissen Teil der Welt für sich beanspruchen konnte, ohne dass jemand etwas dagegen hatte. Jemand wie Isolde."

Die Autorin lässt Alex` Perspektive auf die Menschen um sie herum als eine überaus reflektierte erscheinen - etwas, das ihr ihre Umgebung nie zutrauen würde. Umso mehr bringt einen die Bereitwilligkeit, mit der sie ihr Leben aus der Hand gibt, gegen sie auf. Ehrgeiz und Wut haben bei Alex nie weit gereicht, nicht für die harte Arbeit einer Sängerinnenlaufbahn und zu nicht mehr als nur zaghafter Rebellion gegen den heimatlichen Kleinstadtmief oder Falks Dominanz über ihr Leben. Seit jetzt bereits siebzehn Jahren arbeitet sie nicht und führt kein Sozialleben, sondern verharrt seit Falks Tod, gnadenhalber vom Margrafschen Geld versorgt, in der festgefrorenen Pose einer Witwe ohne Trauschein. Wo früher Falk ihr Lebensinhalt gewesen ist, da ist dies nun dessen Tochter Wanda, für die sie – immer noch halbherzig – um das Margrafsche Erbteil kämpft. Ihrem jüngeren, von einem anderen Mann stammenden Kind gegenüber bleibt sie distanziert und unbeteiligt. Döbler bringt es fertig, dass die Lesenden vieles der Geschichte durch Alex` Augen sehen und doch ebenso wenig wie diese selbst wissen, ob ihr Leben wirklich hätte anders verlaufen können - und dass man Alex dadurch tatsächlich versteht.

Zur Autorin: Katharina Döbler, geboren 1957 in Gunzenhausen, wuchs in München auf und lebt seit Ende der 1970er Jahre in Berlin. 2004 erhielt sie ein Arbeitsstipendium des Deutschen Literaturfonds und ist Autorin eines Theaterstücks, sowie mehrerer Radiofeatures und Hörspiele, wie "Das Flappen" und "Krantz sagt nichts mehr". Sie arbeitet als Redakteurin bei "Le Monde diplomatique" und als Literaturkritikerin für die ZEIT. "Die Stille nach dem Gesang" ist ihr erster Roman.

AVIVA-Tipp: Die fortgeführte Passivität der Protagonistin teilt sich den Lesenden eindrücklich mit, wenn sie diese auf halbem Weg stehengebliebene Frau beim Leben beobachten. Ihre geistige und seelische Stagnation ist ebenso unnötig wie frustrierend, das Bedürfnis, Alex zu packen und sie aus ihrer Apathie heraus wach zu rütteln, wächst mit jeder Seite. Katharina Döbler erzählt in ihrem sich auf verschiedenen Zeitebenen entfaltenden Roman das Leben einer Frau, die sich ohne nennenswerten Widerstand um ihre Träume hat bringen lassen. Dies ist schwer erträglich und in seiner literarischen Kunstfertigkeit umso beeindruckender.


AVIVA-Berlin verlost 3 Bücher. Bitte nennen Sie uns den Namen der gemeinnützigen Stiftung, die die Arbeit an "Die Stille nach dem Gesang" gefördert hat und senden bis zum 31.10.2010 eine Email an folgende Adresse: info@aviva-berlin.de



Katharina Döbler
Die Stille nach dem Gesang

Galiani Berlin Verlag, erschienen September 2010
Gebunden mit Schutzumschlag, 272 Seiten
ISBN 978-3-86971-021-1
18,95 Euro



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Beitrag vom 22.09.2010

Britta Meyer