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Beitrag vom 29.06.2009
Veronika Peters - An Paris hat niemand gedacht. Verlosung
Claire Horst
Einen Familienroman im klassischen Sinn hat Veronika Peters nicht geschrieben, obwohl die Familie im Mittelpunkt des Buches steht. Marta, ...AVIVA verlost 3 Bücher
... die Protagonistin, hat seit 17 Jahren keinen Kontakt mehr zu ihrer Familie.
Stück für Stück, wie ein langsam zusammengesetztes Puzzle, baut sich das Bild einer von Brutalität und Angst bestimmten Kindheit auf, von der Martas Leben bis heute geprägt ist. Der einzige helle Fleck dieser Zeit sind die afrikanischen Märchen von dem Leoparden und der Spinne, die Marta seit ihrer Kindheit liebt.
Mit ihren beiden Schwestern ist sie in der Elfenbeinküste aufgewachsen, wo der Vater als Architekt an einem großen Bauprojekt beteiligt war. Ihre Erinnerungen an das Land sind durchsetzt von Märchen und Liedern, von der Zuneigung zu Mamadou, der für ihre Eltern den Haushalt führte und mit Marta spielte. Am liebsten wäre sie ihm in sein Dorf gefolgt, weit weg von ihren Eltern.
Der Vater, den Marta im Rückblick nur beim Vornamen nennt, war ein Schläger und Alkoholiker, die Mutter eine eingeschüchterte und unterwürfige Frau, die nie den Mut aufbrachte, sich schützend vor ihre Töchter zu stellen – geschweige denn mit ihnen den Vater zu verlassen. Im Rückblick hat Marta für beide nur Hass, Enttäuschung und Unverständnis übrig.
Bei der Entschlüsselung von Martas Familiengeschichte verflechtet Veronika Peters gekonnt mehrere Erzählebenen. In der Jetztzeit lebt Marta mit Paul zusammen, dem ersten Mann, den sie an ihrer Seite erträgt, weil er keine Fragen stellt. Er akzeptiert ihr Schweigen über ihre Familie und liebt sie bedingungslos. Deshalb kann sie bei ihm bleiben. In ihren Gedanken verbringt sie jedoch jeden Tag in ihrer Kindheit, singt die alten Lieder, sagt sich die geliebten Märchen auf. Wenn aber jemand nachts auf der Straße steht, ein Unbekannter sie anspricht oder es an der Tür klingelt, kommen die immer gleichen Gedanken hoch: panische Angst vor dem Vater, der ihr auflauern könnte. "Keine Angst. Ich will keine Angst mehr haben. Richard kann ihr nichts mehr tun.", mit dieser Suggestion versucht sie sich zu beruhigen.
Doch das ist nicht so einfach, wenn die Erinnerung an die brutale Gewalt des Vaters immer wieder aufkommt: "Richards hochrotes Gesicht taucht vor ihr auf, glasige, vom Alkohol verwischte Augen, schwer rasselnder Atem roch nach kaltem Rauch und teurem Whiskey. Wenn der mich diesmal kriegt, dachte sie, ist es aus." Oft prügelt der Vater sie, weil sie einen Auftrag nicht schnell genug ausführt: "Er brüllte etwas, das Marta nicht verstand, dann hörte sie nichts mehr, weil ihre Ohren geschlossen waren. Sie konnte sie zuklappen, wie andere Menschen ihre Augen, jedes Geräusch prallte dann ab, keines seiner Worte drang zu ihr durch. Doch selbst wenn sie sich zu einem Knäuel zusammenrollte, trafen sie die Tritte. Eine Lehrerin hatte gesagt, Marta sei für ihre zehn Jahre zu klein, aber das stimmte nicht, viel zu groß war sie, viel zu viel Oberfläche, in die sich das Profil seiner Arbeitsschuhe prägen konnte."
Fast ein Wunder ist es, dass Marta den Absprung geschafft hat. Mit 16 von zu Hause weggelaufen und bei einer älteren Freundin untergekommen, hatte sie die Familie komplett aus ihrem Leben gestrichen. Die Verletzungen sind jedoch noch da, ebenso wie die Sehnsucht nach Sophia, ihrer vertrauten älteren Schwester, und den gemeinsamen Märchen und Liedern.
Im zweiten Teil des Romans rückt die Mutter ins Zentrum, Greta, für die Marta nur noch Hass übrig hat, seit sie der Schlägerei des Vaters tatenlos zusah. Greta hat ebenfalls ein neues Leben angefangen, hat sich beruflichen Erfolg erarbeitet und ein Selbstwertgefühl, das ihr Mann fast komplett zerstört hatte. Wie ihre Tochter wurde auch Greta von der Gewalt und Verachtung ihres Mannes beinahe vernichtet. Fast widerwillig, so unangenehm war Gretas Verhalten aus Martas Sicht geschildert worden, gewinnt die Leserin ein erstes Verständnis für sie, für ihre eigenen Ängste und das Zwangssystem, in dem sie den ersten Teil ihres Lebens verbracht hat. Sogar Bewunderung für ihren Kampf um ein neues Leben gesteht man dieser Frau nun zu, Mitleid und Sympathie.
Als der Vater gestorben ist, ist es die jüngste Schwester, die einzige, die noch Kontakt zum Vater hatte, die die Familie wieder zusammenholt. Sehr langsam und vorsichtig nähern die Frauen sich einander wieder an. "Der Krug, der mit Lehm gekittet ist, hält kein Wasser mehr", mit diesem afrikanischen Sprichwort hatte Marta sich bisher die Vergeblichkeit eingeredet, den Kontakt wieder aufzunehmen, zu groß sind ihre Verletzungen. Jetzt jedoch, nach der Beerdigung des Vaters, finden Mutter und Tochter, Schwester und Schwester behutsam heraus, was von dem Bild, das sie sich von den anderen gemacht haben, überhaupt zutrifft.
AVIVA-Tipp: Veronika Peters gelingt ein intensives Portrait von zwei Frauen, die durch ihre tiefen Verletzungen und das Gefühl, einander verpasst zu haben, aneinander gebunden sind. Sehr berührend ist es, ihnen bei ihrer Annäherung zuzusehen, bei der Neuordnung ihrer lang gehüteten Erinnerungen und Einschätzungen der anderen. Sorgsam errichtete Verteidigungslinien werden vorsichtig übertreten, jeder direkte Blick und jede leichte Berührung werden zu einem komplizierten Manöver, denn noch will keine zu viel Nähe zulassen. Ein berührendes und nachdenkliches Buch in poetischer Sprache.
Zur Autorin: Veronika Peters, geboren 1966 in Gießen, verbrachte ihre Kindheit in Deutschland und Afrika, wo ihr Vater als Lehrer tätig war. Im Alter von fünfzehn Jahren verließ sie ihr Elternhaus, absolvierte eine Ausbildung zur Erzieherin und arbeitete in einem psychiatrischen Jugendheim, bis sie 1987 ins Kloster eintrat. Nach beinahe zwölf Jahren verließ sie den Orden und zog nach Berlin, wo sie sich mit Fotografie und Schreiben beschäftigte. Veronika Peters lebt mit ihrer Familie und zwei Katzen im Stadtteil Prenzlauer Berg.
AVIVA-Berlin verlost 3 Bücher. Bitte nennen Sie uns die Hauptstadt der Elfenbeinküste und senden bis zum 15.07.2009 eine Email an folgende Adresse: gewinnspiele@aviva-berlin.de
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Veronika Peters
An Paris hat niemand gedacht. Roman Goldmann Verlag, erschienen Juni 2009
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 272 Seiten, 13,5 x 21,5 cm
ISBN: 978-3-442-31167-5
19,95 Euro
Das Buch ist auch als Audio-CD erschienen, gelesen von der Autorin.