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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 24.12.2008


Anya Ulinich – Petropolis. Verlosung
»Nana« Nicole Wenger

Feiertage und Bauchmuskeltraining - ein Widerspruch? Keineswegs! Das ausgezeichnete Romandebüt der jungen Autorin hat es richtig in sich. AVIVA-Berlin verlost 3 Bücher




Dieses Buch attackiert Zwerchfell und Magengrube, beschert irr-sinnig komische Stunden und verwöhnt auch den Geist mit feinster, mitunter bitter-böser geistiger Nahrung. Die Leserin benötigt nur starke Nerven und stahlharte Lachmuskeln!

"Petropolis. Die große Reise der Mailorder-Braut Sascha Goldberg" ist ein couragierter Roman, der sich wie seine Heldin nicht einer einzelnen Kategorie zuordnen lässt. Viele Beschreibungen lassen sich finden und stellen bereits hier den Sinn und Unsinn jeglicher Kategorie- und Hierarchiebestimmungen in Frage.
So weist der Roman alle wesentlichen Merkmale eines guten Entwicklungs-, Gesellschafts-, Reise-, Künstler- bzw. Anti-Künstlerromans, einer "Coming-of-Age" Geschichte oder eines Road-Movies auf ...
Und auch seine Heldin Sascha Goldberg lässt sich in keine der scheinbar so fest stehenden gesellschaftlichen Kasten einordnen, weder in ihrer post-sowjetischen Heimat, noch im Land der "unbegrenzten Möglichkeiten" – den USA.

"Papa ist zum Feind übergelaufen ..."
Bei den Versuchen, ihre Tochter in eine starre Form zu pressen, muss auch Saschas Mutter Ljuba Goldberg mehrfach kläglich scheitern, was sie aber dennoch nicht davon abbringt, sich immer wieder in das Leben der Tochter einzumischen.
Die junge Heldin wächst bei ihrer Mutter auf, die mit eisernem Regiment über die Tugend und die Zukunft der Tochter wacht. Das Zusammenleben ist geprägt von Streit und bissigem Schweigen, nicht aber von Wärme und Geborgenheit. Zu stark wird die Mutter von dem Wunsch getrieben, die eigenen Fehler ausmerzen zu wollen. Auch wenn sie es sich selbst und anderen niemals eingestehen würde, empfindet sie Sascha fast als sichtbaren Beweis eines Fehltrittes.

"Für`ne Jüdin siehst du echt negermäßig aus ..."
Sascha Goldberg ist erst zehn Jahre alt, als sich ihre Eltern trennen, und ihr Vater emigriert in die USA. Zurück bleiben nur ein Brief, ein verblasstes Bild des Vaters und eine verbitterte Mutter, die sich in der Folge standhaft weigert auch nur den Namen des Vaters in den Mund zu nehmen. Das lockige Haar und die dunkle Hautfarbe bleiben für lange Zeit die einzige Verbindung zum Vater. Doch auch den schwarzen Wurzeln des väterlichen Erbes scheint die Mutter zu Leibe rücken zu wollen, schließlich zählt sie sich und ihre Tochter zur "Intelligenzija" des Dorfes, einem kleinen sibirischen Gulag-Ableger ...

"Wer weiß, vielleicht hatten ihre Eltern ja den jüdischen Namen gegeben, um von ihrer Hautfarbe abzulenken, es gab schließlich graduelle Unterschiede bei den unerwünschten Nationalitäten."
Die kleine Goldberg muss schon früh die Auswirkungen sozialer Ausgrenzung trotz sozialistischen Einheitstheorien erfahren. Mit ihren jüdischen und ihren schwarzen Wurzeln lässt sie sich weder zu einer Gesellschaftsschicht noch zu einer Minderheit zuordnen und wird so zur Außenseiterin in mehrfacher Hinsicht. Sie muss sich schon früh zu einer selbständigen und eigenwilligen Persönlichkeit entwickeln, die sich in den absurdesten Situationen zurechtfinden muss.
Der erste Weg aus der bedrückenden Enge der Gemeinschaftswohnung und der Trostlosigkeit des zerfallenden Heimatdorfes von "Asbest 2" führt in die örtliche Kunstschule. Hier lernt Sascha zum ersten Mal eine Form von Freundschaft und Zugehörigkeit kennen. Doch als sie als 15-Jährige ungewollt schwanger wird, steht ihr Leben auf dem Kopf. Die Mutter übernimmt mit aller Dominanz die Aufzucht der kleinen Tochter und weist Sascha die Rolle der großen "Schwester" zu.
Nur wenige Monate später findet sich die junge Heldin in Moskau wieder, um nach dem Plan der Mutter den – erschwindelten - Studienplatz an der Kunstakademie anzunehmen. Die Tage ziehen an Sascha vorüber, die sie wie betäubt mit der Lektüre obskurer Frauenzeitschriften im Wohnheim verbringt ...

"Ein Ehemann ist kein Luxusschlitten, sondern ein Transportmittel!" Sascha Goldberg will weg – weit weg. Sie entschließt sich, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und bewirbt sich bei "Amors Bogen", einer Heiratsvermittlungsagentur für ost-europäische Damen. Da man dem Glück in Form eines USA-Visums und Ehemannes nachhelfen muss, wird aus der Siebzehnjährigen eine Zwanzigjährige. So findet sie sich auf einmal verheiratet in Arizona zwischen Dosen-Chili, Chicken-Nuggets in Sternchenform und Plastik-Rosen wieder. Doch ihre Reise ist noch nicht zu Ende, sie beginnt erst:

"Im Mikro-Meiler rotiert die Quesadilla ... und sie weiß mit jeder Drehung sicherer: Sie wird Neal diese Quesadilla nicht mehr essen sehen."
Die Reise der Sascha Goldberg beschreibt auch die Suche einer jungen Frau nach ihrer eigenen Identität und ihrer persönlichen Selbstbestimmung. Bei diesem brillanten Erstling handelt es sich um einen vielschichtigen und hintergründigen Roman, der nicht nur mit Plattitüden der Post-Pop-Literatur und flachen Kalauern aufwartet. Anya Ulinich versteht es mit ihrer scharfsinnigen Beobachtungsgabe und ihrem Talent der satirischen Beschreibung, die Realität unserer Zeit ungeschminkt wiederzugeben. Damit führt sie die Tradition des sozialen Realismus, wie er einst von den großen russischen Dichtern Tolstoi, Dostojewski und Raskolnikow begründet wurde, in das 21. Jahrhundert!

"Petropolis" wurde 2007 in den USA mit dem renommierten "5 under 35"- Award der "National Book Foundation" ausgezeichnet und erscheint u.a. in Italien, Frankreich, Serbien, Israel, Taiwan und Australien.

Weiterlesen/Weiterhören: "Scherbenpark" von Alina Bronsky und das Hörbuch "Petropolis. Die große Geschichte der Mailorder-Braut Sascha Goldberg", gelesen von Jasmin Tabatabei, erschienen im Audio Verlag.

Zur Autorin: Anya Ulinich, geboren 1973 in Moskau, war siebzehn, als ihre Familie in die USA emigrierte. Sie schrieb sich am Art Institute of Chicago ein und machte den Abschluss im Fach "Malerei" an der University of California. Als Einwanderin zunächst ans untere Ende der sozialen Hierarchie verbannt, beschäftigte sich Anya Ulinich zunehmend mit Sprache, Kultur und Gesellschaftsstrukturen. So nahm sie allabendlich den Laptop und verschwand in Coffee-Shops, um beim Schreiben die Flut ihrer Erfahrungen und Beobachtungen zu verarbeiten. (Verlagsinformationen)

AVIVA-Tipp: Es müssen nicht immer die überzüchteten intellektuellen Bücher sein, die zum Nachdenken über die Welt und Mitmenschen anregen. "Literatur muss unterhalten", und Anya Ulinich macht dies mit ihrem satirischem Roman und ihrer hinreißend komischen Heldin Sascha Goldberg. Ihre Bild-Sprache geht unter die Haut und attackiert nicht nur die Lachmuskeln, sondern auch die menschliche Neigung des Schubladendenkens. Dieses Buch macht richtig Spaß. It`s jewfro-licious!


AVIVA-Berlin verlost 3 Exemplare von "Petropolis". Bitte schreiben Sie uns, mit welchem Preis Petropolis in den USA ausgezeichnet wurde und senden Sie bis zum 24.01.2009 eine eMail an folgende Adresse: gewinnspiele@aviva-berlin.de

Anya Ulinich
Petropolis

Aus dem Englischen von Pieke Biermann
Deutscher Taschenbuch Verlag Premium, Oktober 2008
Broschiert 420 Seiten
ISBN: 978-3423246842
14,90 Euro


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Beitrag vom 24.12.2008

AVIVA-Redaktion