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Beitrag vom 16.12.2008
Gisèle Freund. Photographien und Erinnerungen
Karolin Korthase
Die Fotografin und Fotoreporterin beeindruckt nicht nur durch ihr Å’uvre, sondern auch durch ihre bewegte Lebensgeschichte. AVIVA-Berlin verlost 1 Bildband
Mehrere Buchveröffentlichungen und Ausstellungen widmen sich in diesem Jahr ihrem Leben und Schaffen. Im Schirmer/Mosel Verlag ist die großformatige autobiographische Monographie "Gisèle Freund. Photographien und Erinnerungen" in Neuauflage erschienen.
Biographisches zur Künstlerin Gisèle Freund
Sie wurde am 19. Dezember 1908 in Berlin geboren und wuchs in einer wohlhabenden jüdischen Familie im Stadtteil Berlin-Schöneberg auf. Ihr Vater war Kunstsammler, ein Liebhaber der Romantik, der zahlreiche Originale, beispielsweise die "Kreidefelsen von Rügen" von Caspar David Friedrich besaß. Ab 1930 studierte Gisèle Freund in Frankfurt am Main bei Horkheimer und Mannheim (Frankfurter Schule) Soziologie und pflegte intensive Beziehungen zu Norbert Elias. Dieser machte die Amateurfotografin auf das bisher unberührte Feld der theoretischen Erforschung der Fotografie aufmerksam. Ihre Dissertation über die Anfänge der Fotografie und die Entwicklung der Reproduktionstechniken in Bezug zu gesellschaftlichen Verhältnissen ("La photographie en France au XIXe siècle") ist zu einem Standardwerk in der Fotografieforschung avanciert.
Nach der Machtergreifung Hitlers emigrierete die Jüdin nach Frankreich. Dort fand sie schnell Anschluss an den Kreis um Adrienne Monnier, eine Buchhändlerin, mit der sie eine langjährige und intime Freundschaft verband und die sie mit vielen französischen Intellektuellen bekannt machte und ihre Doktorarbeit ins Französische übersetzte. Schon während ihres Studium hatte Gisèle begonnen fotojournalistisch zu arbeiten. Es entstanden Fotoreportagen über Arbeitslose in Nordengland und Aufnahmen vom 1. Internationalen Schriftsteller-Kongress zur Verteidigung der Kultur 1935 in Paris. Ihre Leidenschaft galt jedoch einem anderen Genre: der Porträtfotografie. Obwohl sie mit den Aufnahmen von SchriftstellerInnen und KünstlerInnen, die sie aus dem Kreis um Monnier kannte, zunächst kein Geld machen konnte, verfolgte sie die Verfeinerung und Verbesserung ihrer fotografischen Fähigkeiten auf diesem Gebiet mit äußerster Akribie. Dass Gisèle Freund besonders gerne LiteratInnen porträtierte ist kein Zufall: Schriftstellerin zu werden war ihr Lebenstraum, der allerdings nie in Erfüllung ging, da sich die Jüdin nach der Flucht aus Deutschland im Jahre 1933, eines Sprach-Potpourris aus Deutsch, Französisch, Spanisch und Englisch bediente, aber zu ihrem eigenen Bedauern keine der Sprachen perfekt beherrschte.
Nach Einmarsch deutscher Truppen 1940 in Paris, floh sie zunächst aufs Land und dann nach Südamerika. Dort lebte und reiste sie und dokumentierte das Leben und die Kultur der Einheimischen. In dieser Zeit entstanden unter Anderem auch die weltberühmten Aufnahmen von der argentinischen Präsidentengattin Evita Perón und von den mexikanischen Künstlern Diego Rivera und Frida Kahlo.
Gisèle Freund hatte im Gegensatz zu vielen ihrer künstlerisch begabten Zeitgenossen nie gravierende Probleme, von ihrer Leidenschaft zu leben und wurde Zeit ihres Lebens gefördert. Diese herausgehobene gesellschaftliche Stellung und der selbstverständliche Kontakt und Umgang mit den Berühmtheiten ihrer Zeit ließ sie dennoch nicht die Bodenhaftung verlieren. Ein soziologischer, ethnographischer Blick blieb ihr zeitlebens eigen und bewahrte sie vor Eitelkeiten und Selbstüberhöhung.
Im Prozess der Herstellung eines Fotos war es ihr oberstes Anliegen, den Porträtierten keine vorgefertigte Idee eines Bildes aufzuzwingen, sondern ihre Anwesenheit als Fotografin vergessen zu lassen. Wie gut ihr das gelungen ist, bezeugt der Umstand, dass viele ihrer Fotografien im öffentlichen Gedächtnis präsent sind, aber nur Wenige ihren Namen kennen. Ihre zahlreichen Portraits von SchriftstellerInnen und ihre fotojournalistischen Reportagen machten sie als ´Die Frau mit der Kamera´ bekannt. Sie starb am 31. März 2000 in Paris.
"Gisèle Freund. Photographien & Erinnerungen"
Ein Blick, der sich ins Leere verliert, der entrückt, verträumt nach Innen geht. Es scheint, als fühlte sich Virginia Woolf unbeobachtet, als Gisèle Freund jene Aufnahme im Jahre 1939 von ihr machte, die sich KennerInnen der amerikanischen Schriftstellerin ins Gedächtnis gebrannt hat. Gisèle beschrieb die englische Schriftstellerin als "zerbrechlich, leuchtend-transparent, ..., die Inkarnation ihrer eigenen Prosa". Uns BetrachterInnen erscheint das Gesicht der Woolf als Spiegel eines von Depression und Melancholie gezeichneten Menschen, der sich, die Außenwelt vergessend, für einen winzigen Moment der Schutzlosigkeit preisgibt.
In dem vom Schirmer und Mosel Verlag herausgegebenen Foto- und Erinnerungsband sind neben einigen ausgewählten Aufnahmen aus den Fotoreportagen, die die Künstlerin für die Zeitschriften "Life" und "Time" schoss, eine beachtliche Sammlung ihrer Porträts veröffentlicht. Im Jahre 1985 erschien die autobiographische Monographie erstmals, in der mehr als 200 Aufnahmen aus fünf Jahrzehnten von der Künstlerin selbst ausgewählt, versammelt sind.
Zu den von ihr Porträtierten gehörten James Joyce, Bernhard Shaw, Simone de Beauvoir und Andrè Breton, um nur einige Wenige zu nennen. Um einen Zugang zu der Gedankenwelt und Geisteshaltung der LiteratInnen zu erlangen, las sie akribisch und mit kritischem Blick deren Werke. Sie war geübt im Warten und Beobachten und nicht selten verwickelte sie die oft Unnahbaren und Öffentlichkeitsscheuen in anregende Gespräche und schon war er da, der besondere Moment: Wenn alle Masken fallen und ein Blick, ein Zug um den Mundwinkel herum, ein gekräuselter Nasenrücken das Wesentliche eines Menschen freigibt. Dass diese Aufnahmen den Porträtierten nicht immer gefielen, erklärt sich von selbst.
Besonders spannend ist die Lektüre des Foto- und Erinnerungsbandes aufgrund der autobiographischen Bemerkungen, die vielen der Fotos beigestellt sind. Erläuterungen zu dem Schaffensprozess eines Bildes finden dabei ebenso Erwähnung, wie subjektive Eindrücke und Anekdoten. Dieses Bildtagebuch zeigt somit nicht nur einen umfassenden Ausschnitt aus dem Schaffen der Fotografin, sondern dokumentiert auch ein Stück Zeitgeschichte.
AVIVA-Berlin verlost 1 Bildband. Bitte beantworten Sie folgende Frage: Wo befindet sich die Grabstätte von Gisèle Freund und Sie bis zum 16.01.2009 eine eMail an folgende Adresse: gewinnspiele@aviva-berlin.de
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Gisèle Freund. Photographien & ErinnerungenSchirmer/Mosel Verlag, erschienen November 2008
221 Seiten
ISBN 978-3829603997
49,80 Euro
www.schirmer-mosel.de