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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 01.04.2019


Friederike Manner - Die dunklen Jahre. Verlosung
Bärbel Gerdes

Ein österreichisches Ehepaar in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts – längst ist ihre Ehe gescheitert und die Scheidung nur noch eine Terminsache. Doch alle Pläne werden infrage gestellt, als Österreich sich dem nationalsozialistischen Deutschland "anschließt", denn Ernst ist ein jüdischer Arzt und Klara eine politisch denkende Frau. AVIVA verlost 1 Buch




Nach mehr als 70 Jahren sind Die dunklen Jahre der österreichischen Schriftstellerin und Lektorin Friederike Manner endlich wieder zugänglich. 1948 wurde der Roman erstmals unter dem Pseudonym Martha Flora veröffentlicht und hatte im Chor der großen Exilromane keine Stimme.
Dabei schildert Manner die Auswirkungen und Konsequenzen von Flucht und Emigration schonungslos, und dies nicht von außen, sondern hautnah, fühlbar und mit aller Härte aus der Sicht Klaras.

Das Ehepaar mit den beiden Kindern hat sich auseinandergelebt. Klara hat Geliebte und fühlt sich eingeengt. Sie plagt sich mit Schuldgefühlen gegenüber ihrer Familie, sieht aber keinen anderen Ausweg als die endgültige Trennung. Die Lektorin stürzt sich in Arbeit, auch wenn sie den Literaturbetrieb korrupt findet. Den Verlagen ginge es nur um Geld, klagt sie, nicht um das Werk. Klara beobachtet scharf die politische Entwicklung in ihrem eigenen Land und in Deutschland. Fünf Jahre Nationalsozialismus in Deutschland hatten längst erwiesen, welch giftige Früchte dort reiften. Reichstagsbrand und Dimitroff-Prozeß, Verfolgung der Sozialisten, Juden und des besten Teils der Christen, Konzentrationslager, Aufrüstung und Kriegsbereitschaft..

Auch in Österreich bahnte sich dies alles schon 1934 an. Und so ist Manners Buch auch eines des Vorwurfs an sich selbst, denn sie hätte nicht nur gegen etwas kämpfen sollen, sondern viel früher für etwas.
Als in Wien die Hakenkreuzfahnen hängen, das Horst-Wessel-Lied gegrölt wird und die Menschen den rechten Arm hochreißen - eine Fahne, ein Lied und ein Armband genügten, um ein ganzes Volk … in Rausch und Wahnsinn zu bringen -, ist Klara bewusst, dass sie Ernst in dieser Situation nicht verlassen kann. Schilder tauchen auf, mit denen Jüdinnen und Juden Zugang zu Parks, Cafés, Kinos verwehrt wird.
Die Verlogenheit der PatientInnen ihres Mannes widert sie an: zwar bemitleiden sie den Arzt, der schon bald nicht mehr praktizieren darf, dennoch wollen sie es mit dem Hitler versuchen, vielleicht wird es jetzt endlich besser in Österreich.
Grandios speit Friederike Manners Alter Ego Klara ihren Ekel und ihren Zorn über die Seiten. Sie ist entsetzt, dass die Mehrheit mitmacht oder gar begeistert ist. Dem Hass, mit dem sie konfrontiert wird, kontert sie mit ihrem eigenen: diesen Haß gebe ich mit ganzer Kraft zurück, und meine Kraft wächst daran.

Zunächst bringt sie nur ihre Kinder in die Schweiz, um sie zu schützen. Doch dann muss Ernst seine Praxis innerhalb von vierundzwanzig Stunden räumen und alles zurücklassen. Klara wird bedrängt, sich doch scheiden zu lassen. Dies ginge schnell und komplikationslos. Doch sie weigert sich. Im Gegenteil, eiskalt überliefe es sie, wenn sie daran denke, dass, wäre Hitler wenige Wochen später gekommen, Ernst und ich bereits geschieden gewesen wären Sie hätte ihm dann nicht einmal das bißchen fragwürdigen Schutz bieten können, den sie jetzt für ihn hat.

Über die Schweiz fliehen sie nach Belgrad. Klara ist fest entschlossen, sich über alle Verordnungen und Verbote hinwegzusetzen, um Essen aufzutreiben. Schließlich befiehlt die deutsche Regierung, alle EmigrantInnen müssten Belgrad verlassen. Während Ernst bei Verwandten unterkommt, wird Klara mit den Kindern in einen kleinen Ort gebracht. Zwei Drittel der Bevölkerung sind Volksdeutsche, Schwaben, Kulturbundleute, Fünfte Kolonne, die sich danach sehnen, dass der Führer sie heim ins Reich holt. Die Kinder werden auf der Straße antisemitisch beschimpft.

Die beiden Kinder und Klara erleben eine Odyssee, die durch die Erzählweise aus der ersten Person heraus sehr unmittelbar und dicht auf die Leserin wirkt. Klara nimmt uns mit in die Achterbahn ihrer Gefühle: der Machtlosigkeit und dem Hass, der totalen Erschöpfung und der Sorge um ihre Kinder, aber auch der schönen Augenblicke, die sie immer noch wahrnehmen kann, ja, die vielleicht eine Rettung in dieser furchtbar hartherzigen Zeit sind. Eine kleine Katze wird unter Aufbietung aller Kräfte und Reserven durchgefüttert. Klara kann trotz allem noch die Schönheit des Sonnenaufgangs wahrnehmen und die Regentropfen auf dem ersten Frühlingsgrün. Immer wieder scheinen Akte der Menschlichkeit und der Solidarität auf.

Doch gleichzeitig schildert sie, wie die Umstände auch sie korrumpierbar zu machen drohen, wie sie Schuld- und Schamgefühl gegen Frieren oder Hungern abwägt. Sie erhält zwei gute und dicke Decken und fragt sich, an welchem Diebesgut sie sich gerade bereichert. Sie kämpft mit anderen um das wenige Brot und bemerkt, wie Menschen plötzlich zu Hyänen werden.
In einem Dorf beginnt sie sich einzuleben. Sie erhält Arbeit in einer Mühle und lernt den wachsenden Widerstand auf serbischer Art kennen, kleine Sabotageakte, das Frisieren von Berichten unter der Glätte von Freundlichkeit.
Es widert sie an, wie die Deutschen die Länder ausrauben, wie Lebensmittel nach Deutschland verbracht werden, Frauen plötzlich teure Pelzmäntel tragen.
Oft hält sie den Mund nicht und wehrt sich, wird zu Verhören vorgeladen und bedroht.

Aufmerksam verfolgt sie schließlich die Frontberichte.

Um die Kinder zu schützen, kehrt sie nach Wien zurück. Von den Toten auferstanden, sind wir unerwünscht und unheimlich, auch hier die Fremdlinge, die eine Axt im Herzen tragen.

Natürlich will auch in Österreich keine/r ein Nazi gewesen sein. Je klarer es wird, dass der Krieg verloren ist, desto mehr Antifaschisten gibt es.

Seine Unmittelbarkeit erhält der Roman nicht nur durch die eindringliche, drängende Sprache, sondern auch durch Tagebuchnotizen und Briefe. Exilroman, Politthriller, Tagebuch einer Mutter, nennt der österreichische Schriftsteller Erich Hackl diesen Text.

Wie stark autobiographisch dieser fesselnde Roman ist, zeigt sich im kenntnisreichen Nachwort von Evelyne Polt-Heinzel. Die 1904 geborene Friederike Manner war mit dem Arzt Hans Brauchbar verheiratet. 1938 stand die Scheidung an. Doch der Einmarsch der NS-Truppen machte es ihr, der arischen Mutter seiner halbjüdischen Kinder, moralisch unmöglich, ihn zu verlassen.
1947 erhält sie auf Vermittlung des KZ-Verbandes ihre alte Wiener Wohnung zurück. Doch ihre finanzielle Situation bleibt prekär. Sie erhält eine Halbtagsstelle in der Dokumentationsstelle für neuere Österreichische Literatur und beginnt ab 1949 regelmäßig literaturkritische Essays zu schreiben, aus denen der Band Lesen – Aber was? entstand. Er ist eine Art Geschichte der Weltliteratur, aus dem sie überraschenderweise manches Mal die faschistische Vergangenheit von Autorinnen und Autoren – etwa Gerhart Hauptmann oder Ina Seidel – unerwähnt lässt.
Gleichzeitig weist sie emphatisch auf couragiertes Verhalten während der NS-Zeit hin.

Gelegentlich aber schlugen ihr Zorn und ihre Empörung durch. In einer Kritik über Bruno Brehms Am Rande des Abgrunds ist sie außer sich, dass einer, der auf Hitlers Gottbegnadeten-Liste stand nun seinen Mitmenschen Lehren erteilen will. Manner wurde daraufhin sehr angegriffen. Ein Leser schrieb ihr, auch er wolle offen seine Meinung sagen - für eine Klugscheißerin und obendrein noch für eine dumme Gans hielte er sie.

Friederike Manner hat das Schweigen und Verleugnen in der deutschen und österreichischen Gesellschaft nicht ertragen. Am 6. Februar 1956 nahm sie sich das Leben. Sie sei an der geistigen Verlogenheit, der sie sich nicht beugen konnte, noch wollte, zugrunde gegangen, schrieb der antifaschistische Widerstandskämpfer Oskar Wiesflecker aus Anlass ihres Todes.

AVIVA-Tipp: Es ist der edition atelier hoch anzurechnen, dass sie diesen wichtigen, spannenden und atemlosen Roman endlich wieder zugänglich macht. Er reiht sich ein in die großen Exilromane und sticht gleichzeitig hervor durch die Schilderung einer mutigen, kämpferischen und sich selbst treu bleibenden Frau.

Zur Autorin: Friederike Manner wurde am 19. Dezember 1904 in Wien geboren, wo sie auch studierte. Sie arbeitete als Verlagslektorin, Schriftstellerin und als freie Mitarbeiterin für verschiedene Zeitungen. Erste Gedichtveröffentlichung im Februar 1938, kurz vor der Flucht nach Jugoslawien. Ab 1945 Arbeit als Literaturkritikerin und Lektorin. 1948 erschien ihr Roman Die dunklen Jahre unter dem Pseudonym Martha Flora, 1955 ihre Weltgeschichte der Literatur Lesen – Aber was?.
Am 6. Februar 1956 nahm sich Friederike Manner das Leben.

Zur Herausgeberin: Evelyne Polt-Heinzl, 1960 in Braunau am Inn geboren, studierte Geschichte und Politikwissenschaft in Wien und Salzburg. 1986 bis 1988 Lehrtätigkeit an der Universität Bari, Italien.
Seit 1990 Mitarbeiterin der Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur im Literaturhaus Wien. Die Literaturkritikerin, Kuratorin und Literaturwissenschaftlerin veröffentlichte zahlreiche Bücher, darunter Die Chefin. Eine literarische Besichtigung (2003), Ich hör´ dich schreiben. Eine literarische Geschichte der Schreibgeräte (2007) und Einstürzende Finanzwelten. Markt, Gesellschaft und Literatur (2009). Als Herausgeberin gab sie Werke von Elfriede Jelinek und Arthur Schnitzler heraus. 2017 erhielt sie den Staatspreis für Literaturkritik. Mehr zur Herausgeberin: www.literaturhaus.at

Friederike Manner
Die dunklen Jahre

Herausgegeben und mit einem Nachwort von Evelyne Polt-Heinzl.
edition atelier, erschienen am 25.2.2019
424 Seiten
ISBN 978-3-99065-008-0
28,00 €
Mehr zum Buch: www.editionatelier.at


AVIVA-Berlin verlost 1 Buch. Bitte senden Sie uns dazu den AVIVA-Tipp aus unserer Rezension zu "Es gibt keinen Abschied" von Gerda Lerner bis zum 31.05.2019 per Email an folgende Adresse: info@aviva-berlin.de


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Beitrag vom 01.04.2019

Bärbel Gerdes