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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 23.06.2018


Linn Ullmann - Die Unruhigen. Verlosung
Bärbel Gerdes

In ihrem sechsten Roman erkundet die mehrfach ausgezeichnete norwegische Schriftstellerin Linn Ullmann das Erinnern. Wie fragil und fließend sind die Übergänge zwischen Dichtung und Wahrheit, Geträumtem und Geschehenem? Ihr literarischer und poetischer Text entführt die Leserin in eine fiktive und wahre Familiengeschichte. AVIVA verlost 2 Bücher




Linn Ullmann spricht nicht gern über ihre Eltern. Zu schnell würde ihre eigene Leistung als Schriftstellerin im Schatten dieser zwei Persönlichkeiten in den Hintergrund treten. Dabei wurden ihre Romane in über 30 Sprachen übersetzt und mit Preisen überhäuft. Sie gilt als eine der wichtigsten Autorinnen Norwegens.

In ihrem sechsten Roman jedoch – und das Wort "Roman" sei hier ausdrücklich hervorgehoben – stellt sie sich ihrer Vergangenheit und der ihrer Eltern. "Um über wirkliche Personen zu schreiben wie Eltern, Kinder, Geliebte, Freunde, Feinde, Onkel, Brüder oder zufällige Passanten, ist es notwendig, sie zu fiktionalisieren. Ich glaube, dies ist der einzige Weg, ihnen Leben einzuhauchen. Sich erinnern heißt, sich umzuschauen, immer wieder, jedes Mal von Neuem erstaunt. Und so nähert sie sich ihrer Lebensgeschichte schrittweise: zunächst haben die Personen keine Namen, es gibt einen Vater, eine Mutter, ein Kind. Fünf Jahre waren die Eltern ein Paar, danach trennten sie sich, das Mädchen lebte fortan bei der Mutter.
Erst später werden die Personen benannt und das Mädchen wird zum Ich. Einmal fällt auch der richtige Name des Vater: Ingmar.

Linn Ullmann, Tochter der norwegischen Schauspielerin und Regisseurin Liv Ullmann und des schwedischen Drehbuchautors und Regisseurs Ingmar Bergman, plant gemeinsam mit ihrem sechsundachtzig jährigen Vater ein Buch über das Älterwerden. Immer wieder verschiebt sich dieses Projekt. Als es jedoch endlich dazu kommt, fällt dem Vater das Erinnern schwer. Erste Anzeichen gibt es schon vorher: "Papa war so pünktlich, dass seine Pünktlichkeit in mir lebte." Als Vater und Tochter sich zu einem Film verabreden, "kam [mein Vater] siebzehn Minuten zu spät, und alles war wie immer und nichts mehr wie zuvor. … Er lieferte keine Erklärung. Es war ihm nicht bewusst, dass er zu spät kam."
Zwar finden sich die beiden zu sechs Gesprächen zusammen, die Linn Ullmann auf einem Gerät aufnimmt, doch die Qualität ist schlecht, der Vater stirbt bald nach den Gesprächen und die Aufnahmen gehen scheinbar verloren.

So wird die Autorin auf ihre eigenen Erinnerungen zurückgeworfen und auf die großen Unsicherheiten darin. "Ich erinnere mich an das, was geschah, ich glaube, ich erinnere mich an das, was geschah, aber manches habe ich mit Sicherheit auch erfunden, mir fallen ein paar Geschichten ein, die immer wieder erzählt wurden, und Geschichten, die nur einmal erzählt wurden, manchmal höre ich zu und manchmal höre ich nur mit halbem Ohr zu, ich lege das alles nebeneinander, lege es aufeinander, lasse es gegeneinander stoßen, versuche, eine Richtung zu finden."

Das macht Linn Ullmann großartig: Das Haus ihres Vaters in Hammars, die Insel Fårö, auf der dieses Haus steht, werden so lebendig als befänden wir selbst uns in den Kiefernwäldern und an dem kargen Sandstrand, die Atmosphäre in der Videobibliothek, in der es nicht gestattet war, ein Glas Wasser mit hineinzunehmen und wo jede entliehene Kassette akribisch notiert werden musste, die zunehmend schwerer werdenden Gespräche mit dem Vater, von dem die Tochter die "Wahrheit" wissen will, auch die, über ihr Verhältnis. Denn Bergman hatte neun Kinder von sechs Frauen, hinzu kam Ingrid, seine letzte Frau, die so praktisch veranlagt war und "wusch, staubsaugte und bügelte, Löcher stopfte und Manuskripte ins Reine schrieb."

Natürlich waren es die Frauen, die sich nach den gescheiterten Beziehungen um die Kinder kümmerten. Bergman galt als "dämonischer Regisseur (was immer das bedeuten soll) und als Schürzenjäger … (ziemlich eindeutig, was das bedeutete." Im Interview mit dem Stern beantwortet Linn Ullmann die Frage, ob ihr Vater in Zeiten der #metoo-Debatte Schwierigkeiten bekommen hätte: "Das gilt wohl für eine ganze Generation von Regisseuren. Mein Vater hat sich mit extrem begabten Frauen umgeben, und ohne sie wäre er nie zu dem großen Ingmar Bergman geworden, der er war. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er seine Macht nicht missbraucht hat. Ich habe ja viele der Frauen gekannt, mit denen er gearbeitet hat. Er war in jede Menge Liebesgeschichten verwickelt, aber soweit ich weiß, war da rein gar nichts, was in die Kategorie von MeToo gehört hätte."

Das Mädchen, das 13 Schulen an den unterschiedlichsten Orten besuchte und das sich wünschte, dass die zahlreichen Kindermädchen sterben, damit "Mama heimkehrt und mich in den Arm nimmt und nicht mehr verreist", das Panikanfälle bekam, wenn die Mutter nicht pünktlich anrief, rettete sich mit dem Führen von Listen und Tabellen, die ihrem Leben Ordnung verschafften. Sie trug die Reisepläne der Mutter stets bei sich mit allen Datums- und Ortsangaben.
Und einmal im Jahr ging es im Sommer auf die Insel des Vaters, dessen Regeln streng waren und unerbittlich in dem Versuch, dem Chaos einen Rahmen zu geben.

Wie verlorene Kinder seien sie gewesen, so Linn Ullmann, die kaum erwarten konnte, erwachsen zu werden.
Und ihr Platz neben ihren Eltern? "Der Vater hatte neun Kinder, aber keines dieser Kinder … wurde als Muse bezeichnet, die Kinder standen der schöpferischen Arbeit im Weg, das fanden wohl sowohl die Mütter der Kinder als auch der Vater der Kinder." In ihren Nachforschungen erkennt Ullmann, dass die Eltern nicht sonderlich viel über das Mädchen sprachen. "Jeder der beiden hat eine große Rolle in ihrem Leben gespielt, aber eben nicht in ihrem gemeinsamen Leben. Es gab niemals sie drei. … Ihr Kind – ich, sie – war kein Teil davon. Sie waren selbst Kinder, die sich wie Kinder hinsetzen und mit großem Ernst Regeln für die Spiele aufstellen, die sie gemeinsam spielen wollen."

AVIVA-Tipp: Linn Ullmann hat einen sehr berührenden, ruhigen und poetischen Roman geschrieben, der von Paul Berf mit großem Einfühlungsvermögen übersetzt wurde. Die Vielschichtigkeit und Komplexität machen ihn zu einem großen Lesevergnügen, bei dem die Tatsache, dass es sich bei den Eltern um Liv Ullmann und Ingmar Bergman handelt, angenehm in den Hintergrund tritt.

Zur Autorin: Linn Ullmann, eigentlich Karin Beate Ullmann, wurde 1966 in Oslo geboren. Sie machte eine Ballettausbildung und studierte in New York Englische Literatur. Bereits vor ihrem 1998 erschienenen ersten Roman Før du sovner war sie als Literaturkritikerin bekannt. Ihre folgenden beiden Romane Når jeg er hos deg (2001) und Nåde (2002) kamen jeweils auf die Top Ten Liste der Romane der dänischen Weekendavisen. Auch ihre folgenden Romane wurden international u.a. mit dem Amalie-Skram-Preis, dem Gold Pen und dem Norwegischen LeserInnenpreis ausgezeichnet. Ullmann ist Mitbegründerin der internationalen Artist residency Foundation The Bergman Estate auf Fårö. Linn Ullmann lebt mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Niels Fredrik Dahl, und ihren vier Kindern in Oslo.

Zum Übersetzer: Paul Berf, 1963 in Frechen geboren, studierte Skandinavistik, Germanistik und Anglistik. Nach einer Tätigkeit als Verlagslektor, lebt er heute als freier literarischer Übersetzer in Köln. Er übersetzt Prosa und Lyrik aus dem Schwedischen, Norwegischen und Deutschen, u.a. von Karl Ove Knausgård, Henning Mankell, Liza Marklund und Maj Sjöwall. Er wurde 2005 mit dem ÜbersetzerInnenpreis der Schwedischen Akademie ausgezeichnet, 2014 mit dem Jane-Scatcherd-Preis für Übersetzer "für seine kongeniale Übersetzung des Romanprojekts des norwegischen Autors Karl Ove Knausgård". (Wikipedia)

Linn Ullmann: Die Unruhigen
Originaltitel: De urolige (2015)
Aus dem Norwegischen von Paul Berf
Luchterhand Verlag, erschienen Juni 2018
Gebunden, 412 Seiten
ISBN 978-3-630-87421-0
22,00 Euro
Mehr zum Buch unter: www.randomhouse.de


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Beitrag vom 23.06.2018

Bärbel Gerdes