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Beitrag vom 19.09.2017
Renate Künast - Hass ist keine Meinung. Was die Wut in unserem Land anrichtet. Außerdem in der AVIVA-Rezension: Weitere Literaturempfehlungen zum Thema. Verlosung
Tina Schreck
Gewaltfantasien und Morddrohungen im Netz: Was kann mensch dagegen tun und woher kommt dieser unbändige Hass auf alles, was "anders" ist? Wer eigentlich sind die "Wutbürger" und können sie gestoppt werden? Mit diesen Fragen beschäftigt sich Renate Künast in ihrem neuen Buch, das sie am 08. September 2017 in der Clincker Lounge in Berlin der Öffentlichkeit vorstellte. AVIVA verlost 3 Bücher
Hatespeech - ein aktuelles Thema, das sich im Schutz der Anonymität des Internets mehr und mehr auszubreiten droht. Trotz der Allgegenwärtigkeit des Problems war der Saal nur mäßig gefüllt, als die Wirtschaftsjournalistin Ursula Weidenfeld und die Grünen-Politikerin die Bühne in der Backfabrik betraten, um über die Motive zu diskutieren, die Menschen zu Hassposts verleiten.
Um diesem Phänomen auf den Grund zu gehen, hatte sich Renate Künast im Sommer 2016 gemeinsam mit Spiegel-Autorin Britta Stuff aufgemacht, um Verfasser_innen aggressiver Kommentare auf ihrer Facebook-Seite einen persönlichen Besuch abzustatten. Doch anstelle der erhofften Antworten häuften sich die Fragen.
"Unbedachte" Äußerung oder purer Ernst?Durch das Internet bekommen Menschen eine Stimme. Alle. Immer. Doch hinter dieser "neuen Freiheit", birgt sich die große Gefahr der Bagatellisierung und der Verharmlosung.
"Nehmen Sie das doch nicht so ernst", spielt ein Nutzer seine Antwort auf den von Renate Künast verfassten Tweet bezüglich des Axt-Attentats von Würzburg herunter. Die Politikerin hatte einerseits den Opfern der Attacke ihr Mitgefühl ausgesprochen, andererseits aber die Vorgehensweise der Polizei kritisiert, die den 17-jährigen Täter töteten, anstatt ihn lediglich "angriffsunfähig" zu schießen.
"Mach dich ab Gesindel. Schade nächstes Mal hoffe ich trifft es jemand aus deiner Familie", schrieb der junge Mann daraufhin.
"Das war sicher im Affekt", lautet später sein halbherziger Erklärungsversuch. Und das macht es legitim, anderen Menschen den Tod an den Hals wünschen? Weil es eigentlich ja nicht so gemeint war? Eine Antwort darauf kann der Verfasser des Kommentars nicht geben.
Klare PositionierungEin anderer User gibt sich da schon entschiedener. Er ist Rentner und aktives AFD-Mitglied, der mit seinem Facebook-Post die Behauptung aufstellte, Renate Künast hätte wie die meisten Grünen weder einen Schul- noch Berufsabschluss.
"Das steht im Internet", erwidert er auf die Frage, woher er das denn habe. Der Mann gibt sich "informiert":
"Außerdem sind Sie für die Massenzuwanderung, für die Umvolkung Deutschlands", fährt er unbeirrt fort. Durch Algorithmen vorgefertigte Filterblasen – neben der Hatespeech ein weiteres Phänomen der digitalen Welt.
Was tun? Rechtliche NeuerungenBetreiber von Internet-Plattformen sind bereits durch das Telemediengesetz dazu verpflichtet, strafbare Inhalte zu löschen, sobald sie ihnen gemeldet werden. Mit dem Gesetzesentwurf des
"Netzwerkdurchsetzungsgesetzes" von Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz
Heiko Maas, welches am 30. Juni 2017 vom Bundestag verabschiedet wurde, sollen die Sozialen Netzwerke dieser Pflicht in Zukunft wirkungsvoller nachkommen. Demnach sind Plattform-Betreiber_innen dazu verpflichtet, offensichtlich rechtswidrige Inhalte binnen 24 Stunden zu löschen, für kompliziertere Fälle gilt eine Sieben-Tages-Frist. Geschieht dies nicht, droht eine Bußgeldstrafe von bis zu fünf Millionen Euro. Kritiker_innen befürchteten im Vorfeld der Gesetzeseinführung allerdings eine Einschränkung der Meinungsfreiheit durch private Unternehmen, wie etwa Facebook, Twitter und co, die anstelle der Justiz darüber entscheiden würden, was gesetzeswidrig sei und was nicht, wie die FAZ in einem
Beitrag vom 19.05.2017 berichtete. Der SPD-Politiker selbst verteidigt indes sein umstrittenes Internetgesetz, das im Oktober diesen Jahres in Kraft treten soll und verweist mit Nachdruck auf die Dringlichkeit, strafbaren Inhalten im Internet den Kampf anzusagen.
Ziviles EngagementEine andere Methode, um Trollen den Spiegel vorzuhalten, sind Hate-Poetry-Lesungen, bei denen Journalist_innen und Kolumnist_innen wie Mely Kiyak, Yassin Musharbash und vor seiner Inhaftierung auch Deniz Yücel, bösartige und rassistische Kommentare öffentlich vortragen. In den USA bittet Comedian Jimmy Kimmel Prominente vor die Kamera, um Hateposts vorzulesen. Renate Künast entwickelte gemeinsam mit ihrem Team ein sogenanntes
"Hate-Tool", eine Art
"Formatvorlage für den perfekten Hass-Kommentar". Doch ist Renate Künast nicht die Erste, die sich mit Hatespeech im Netz beschäftigt. Diverse Initiativen setzen dem schon lange etwas entgegen. So das
#NoHateSpeech Movement, das bereits am 22. Juli 2016 seine Webseite mit einem Online-Flashmob gegen Hass im Netz gelauncht hat. Oder
#NichtEgal - Initiative gegen Hass im Netz. Am 19. September 2016 startete Youtube eine bundesweite Kampagne, mit der sie die positiven und toleranten Stimmen im Netz verstärken und zeigen will, dass Hass im Netz #NichtEgal ist. Bereits 2010 hatten sich zudem 20 soziale Netzwerke des Web 2.0 unter dem Motto
"Kein Byte den Nazis. Online-Kampagne Soziale Netzwerke gegen Nazis" auf Anregung von Netz-gegen-Nazis zusammengeschlossen, um ihre User_innen gegen Rechtsextremismus im Internet stark zu machen. Und 2017 eröffnete die ZWST eine neue
Beratungsstelle für Betroffene antisemitischer Gewalt in Berlin, ein Angebot speziell für Ratsuchende nach Erfahrungen antisemitischer Gewalt, ob verbal oder körperlich, das sich durch einen niedrigschwelligen Ansatz auszeichnet.
Die Frage nach dem "Wir""Es kommt von meiner Wut", erklärt sich ein Facharbeiter mit Meistertitel, als er von der Grünen-Politikerin mit seinem herablassenden Post konfrontiert wird. Immerhin zeigt er sich gesprächsbereit und ist sogar erfreut, dass sich jemand "von da oben" die Zeit nimmt, ihm zuzuhören. Er hat Angst, fühlt sich unverstanden, dabei geht es ihm eigentlich gut. Seiner Meinung nach mangelt es aber in öffentlichen Einrichtungen an Geld. Mehrmals weist er darauf hin, dass er privat in Horte und Schulen investiert.
"Alle werden gerettet. Aber kümmert sich auch mal jemand um uns?" Eine Frage, die die Politik in der kommenden Zeit noch beschäftigen wird, denn laut einer
Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach sind 43 Prozent aller Befragten der Meinung, Politiker_innen vertreten in erster Linie ihre eigenen Interessen, die ihrer Partei, der Wirtschaft oder der Lobbygruppen.
Uns, wir, wer ist das eigentlich? Als Ursula Weidenfeld diese Frage an Renate Künast richtet, entgegnet diese, der Begriff müsse erst neu diskutiert werden. Eine konkrete Antwort liefert die Politikerin allerdings nicht. Dafür macht sie sich Gedanken über eine transparentere Mediengestaltung, damit Bürger_innen die Zusammenhänge politischer Entscheidungen besser nachvollziehen können. Denn eines wird im Buch deutlich: bei den Hater_innen handelt es sich nicht ausschließlich um die "Abgehängten", sondern eben auch um Menschen aus der gesellschaftlichen Mitte. Sie sehen Nachrichten aus aller Welt. Das Klima, Griechenland, die Flüchtlinge…aber nie, dass die Politik sich mit ihren Alltagsthemenhemen, wie Essensgeld in Schulen, auseinandersetzt. erklärt Renate Künast und räumt nachdenklich ein:
"Wir könnten tatsächlich etwas falsch machen".
Hatespeech gegen Frauen"Wenn Respekt und Anstand im Umgang miteinander verloren gehen, dann nehmen gerade die Diffamierungen und Gewalt gegenüber Frauen zu", heißt es im Buch. Besonders stark sind Userinnen von abfälligen Bemerkungen über ihr Äußeres sowie von sexuell diskriminierenden Kommentaren betroffen. Dieser Tatsache wird im öffentlichen Diskurs jedoch immer noch zu wenig Beachtung geschenkt. Am 14. März 2017 traf sich Renate Künast mit anderen Teilnehmerinnen im "Goldenen Saal" zu einer Diskussionsrunde, um den Blick auf diese Problematik zu lenken. Denn, die Verletzung von Frauen im Netz ist real und Provider sollten dazu verpflichtet sein für ein Umfeld zu sorgen, in dem Frauen nicht belästigt werden.
Christina Dinar von der Amadeu Antonio Stiftung und Betreiberin des antirassistischen Projekts "debate" wies auf den wichtigen Punkt hin,
"dass Medienkompetenz in der Bildung immer noch zu wenig präsent sei". Denn unsere Kommunikation findet heute größtenteils im Internet statt und es darf uns auf keinen Fall egal sein, was dort passiert.
AVIVA-Tipp: "Hass ist keine Meinung" ist ein aktuelles und wichtiges Buch über die Wutspirale, in der sich anscheinend viele Menschen befinden. Zwar bietet auch Renate Künast kein Patentrezept gegen den digitalen Hass, geht aber mit toughem Beispiel voran und setzt sich konstruktiv mit dem Thema auseinander.
Zur Autorin, Politikerin, Juristin, Sozialarbeiterin und Vorsitzende des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz: Renate Künast wurde am 15. Dezember 1955 in Recklinghausen/ NRW geboren. Sie studierte Sozialarbeit an der Fachhochschule in Düsseldorf und arbeitete von 1977 bis 1979 als Sozialarbeiterin in der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel, speziell mit Drogenabhängigen. 1985 schloss sie mit dem zweiten Staatsexamen ihr Jurastudium ab. Der Westberliner Alternativen Liste trat sie 1979 bei und arbeitete seitdem in verschiedenen Funktionen für die Partei. Während der rot/grünen Koalition in Berlin in den Jahren 1989/90 war sie Fraktionsvorsitzende und nach dem Ende des rot/grünen Senats arbeitete sie weiter als Abgeordnete in der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Bis 1993 und 1998 bis 2000 als deren Vorsitzende, dazwischen als rechtspolitische Sprecherin. Renate Künast war von Juni 2000 bis März 2001 Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen. Sie war von Januar 2001 bis zum Oktober 2005 Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. Vom 18. Oktober 2005 bis zum 8. Oktober 2013 war sie Fraktionsvorsitzende der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/ Die Grünen. Sie führte die Fraktion über den Zeitraum von zwei Legislaturperioden. Im Jahr 2011 kandidierte Renate Künast für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin von Berlin. 2013 war sie Spitzenkandidatin der Berliner Grünen für die Bundestagswahl. Außerdem ist sie Mitglied des am 22. September 2013 gewählten 18. Bundestages. Seit Januar 2014 ist Renate Künast Vorsitzende des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz.
(Quelle: Homepage Renate Künast)
Weitere Informationen zu Renate Künast unter: www.renate-kuenast.de oder
www.bundestag.deRenate KünastHass ist keine Meinung. Was die Wut in unserem Land anrichtetHeyne Verlag, erschienen am 28. August 2017
192 Seiten
Klappenbroschur
ISBN: 978-3-453-20161-3
14,99 Euro
www.randomhouse.deMehr Infos zum Thema:Das Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG, Stand: 7. September 2017) finden Sie unter:
www.bmjv.deMehr Literatur zum Thema:
Toxische Narrative. Monitoring rechts-alternativer AkteureDie Analyse kann bei der Amadeu Antonio Stiftung bestellt und unter dem folgenden Link heruntergeladen werden:
www.amadeu-antonio-stiftung.deJennifer Eickelmann"Hate Speech" und Verletzbarkeit im digitalen Zeitalter
Phänomene mediatisierter Missachtung aus Perspektive der Gender Media Studiestranscript-verlag, erschienen August 2017
332 Seiten, kart., farb. Abbildungen
Print: 32,99 €
ISBN: 978-3-8376-4053-3
www.transcript-verlag.dePositionieren. Konfrontieren. Streiten. Handlungsempfehlungen zum Umgang mit der AfDAmadeu Antonio Stiftung (Hrsg.), erschienen 2017
44 Seiten, bebildert
ISBN 978-3-940878-30-4
Kostenfrei bestellbar bei der Amadeu Antonio Stiftung und zum Download:
www.amadeu-antonio-stiftung.de AVIVA-Berlin verlost 3 Bücher. Bitte beantworten Sie dazu folgende Frage: Wie viele antisemitische Vorfälle erfasste die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (RIAS) in Berlin Im Jahr 2016? Senden Sie uns Ihre Antwort mit Angabe Ihrer Postadresse bis zum 30.11.2017 per Email an folgende Adresse: info@aviva-berlin.de
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Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:ZWST eröffnet neue Beratungsstelle für Betroffene antisemitischer Gewalt in BerlinMit der neuen Beratungsstelle soll ein Angebot speziell für Ratsuchende nach Erfahrungen antisemitischer Gewalt, ob verbal oder körperlich, geschaffen werden, das sich durch einen niedrigschwelligen Ansatz auszeichnet. (2017)
Hass ist keine Meinung. Nicht mal im InternetUnter diesem Motto launcht das #NoHateSpeech Movement seine Webseite mit einem Online-Flashmob gegen Hass im Netz am 22. Juli 2016. So will die Initiative langfristig Strukturen für aktives Engagement gegen Online-Hetze schaffen. (2016)
"#NichtEgal - Initiative gegen Hass im NetzHasskommentare nehmen in den sozialen Netzwerken zu. Am 19. September 2016 startete Youtube eine bundesweite Kampagne, mit der sie die positiven und toleranten Stimmen im Netz verstärken und zeigen will, dass Hass im Netz #NichtEgal ist. (2016)
Kein Byte den Nazis. Online-Kampagne Soziale Netzwerke gegen Nazis20 soziale Netzwerke des Web 2.0 haben sich auf Anregung von Netz-gegen-Nazis zusammengeschlossen, um ihre UserInnen gegen Rechtsextremismus im Internet stark zu machen. Es geht darum, nicht wegzusehen, Position zu beziehen und das Internet nicht zu einem Raum verkommen zu lassen, in dem Persönlichkeitsrechte und Menschenwürde keinen Wert mehr haben. Mit Linkliste zu weiteren Initiativen.
(2010)
Zum Interview mit Renate Künast auf AVIVA-Berlin:Interview mit Renate KünastDie Fraktionsvorsitzende Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen über die Einführung einer gesetzlichen Frauenquote bei Aufsichtsräten, Kristina Schröder, die Aktion "Heute ist ein guter Tag" und Gleichstellungspolitik. (2010)
Zum Buch "Die Dickmacher. Warum die Deutschen immer fetter werden und was wir dagegen tun müssen" von Renate Künast:Die DickmacherBundesministerin Renate Künast erläutert die Ursachen und Folgen der zunehmenden Fettleibigkeit bei vielen Deutschen. Ein Plädoyer für die gesündere Ernährung. (2004)