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Beitrag vom 23.03.2017
Interview mit Christiane Rösinger, Mitgründerin, Sängerin und Texterin der Berliner Bands Lassie Singers und Britta. Buch- und CD-Verlosung
Christina Mohr
Christiane Rösinger ist zurzeit enorm beschäftigt: Am 24.02.2017 veröffentlichte sie ihr zweites, Soloalbum "Lieder ohne Leiden", mit dem sie auf Tournee geht. Die Kreuzberger Singer-/Songwriterin ist aber auch Buchautorin: Beinah gleichzeitig mit der Platte erschien "Zukunft machen wir später", …AVIVA verlost 3 x das Buch und 2 x die CD
... Rösingers Bericht über ihre Tätigkeit als zunächst ehrenamtliche Deutschlehrerin in einem offenen Hilfsprojekt für Geflüchtete.
Als im Sommer 2015 die Warteschlangen vor dem berühmt-berüchtigten Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) immer länger wurden und die Zustände in den Berliner Notaufnahmelagern für Geflüchtete aus Syrien und anderen Krisengebieten immer unerträglicher, fasst Christiane Rösinger den Entschluss, ihr Germanistikstudium einem sinnvollen, konkreten Einsatz zuzuführen: Sie gibt Geflüchteten Unterricht in Deutsch – und quasi nebenbei praktische Überlebenshilfe für den Alltag in Berlin respektive Deutschland. Mülltrennung ist dabei ein ähnlich schwierig zu vermittelnder Sachverhalt wie Silbentrennung und Grammatik…
"Zukunft machen wir später" ist ein so warmherziges wie dringend nötiges Buch, das zeigt, dass vom Engagement für Menschen schließlich alle profitieren – und die Klärung des Futur II ist dabei nur ein untergeordnetes Thema.
Im AVIVA-Berlin-Interview gibt Rösinger Auskunft zum Buch:
AVIVA-Berlin: Wie ist dein Eindruck jetzt, Anfang 2017 - haben sich die (Lern-) Bedingungen für Geflüchtete und Lehrende in Berlin verändert, verbessert gar?
Christiane Rösinger: Für die Lehrenden hat sich verbessert, dass sie bis letztes Jahr so wenig Geld bekommen haben, dass sie im Krankheitsfall Hartz 4 beantragen mussten. Der Satz für Lehrkräfte in Integrationskursen wurde stark angehoben.
Für Geflüchtete ohne Bleibeperspektive gibt es seit 2016 erstmals überhaupt "offizielle Kurse". Die werden auch nicht vom BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) bezahlt, sondern von der Stadt Berlin. (Gut möglich, dass es dieses Angebot über die VHS auch in anderen Städten gibt)
AVIVA-Berlin: Gibt es noch die große Bereitschaft zu helfen?
Christiane Rösinger: Ich kenne viele Leute, die immer noch helfen. Andere haben aufgehört, weil ihre Hilfe zum Glück nicht mehr nötig ist. Es gibt keine langen Schlangen mehr vor dem LAGeso (Landesamt für Gesundheit und Soziales).
Durch die restriktive Asylpolitik von CDU und SPD kommen immer weniger Geflüchtete nach Deutschland. Vielen Initiativen gehen sogar die Leute, also die Geflüchteten aus!
Andere engagieren sich anders: Zum Beispiel durch Hilfe bei der Wohnungssuche. Also die Bereitschaft ist noch da, es wird nur nicht mehr so viel darüber berichtet.
AVIVA-Berlin:Das "typisch Deutsche" (Stichwort Mülltrennung), über das du in deinem Buch schreibst - (wie) kommen Geflüchtete damit klar? Vermitteln solche Formalia vielleicht sogar etwas wie Sicherheit?
Christiane Rösinger: Diese Themen kommen ja in den Lehrwerken vor, die für Arbeitsmigranten aus Europa gedacht sind. Meine TN (Teilnehmer) wohnen im Moment alle noch in Heimen und Sammelunterkünften, da fang ich gar nicht mit der Mülltrennung an, sie haben keine Gelegenheit ihren Müll zu trennen.
AVIVA-Berlin: Du schreibst ja, dass das Deutschlehren auch deine Integrationsgeschichte ist (in den Arbeitsmarkt) - brichst du damit eine Lanze für das Ehrenamt, oder haben die Schwierigkeiten überwogen?
Christiane Rösinger: Nicht nur für mich, auch einige andere aus meiner Initiative haben über das Ehrenamt wieder zu einer bezahlten Tätigkeit gefunden.
Vor der "Flüchtlingskrise" waren die Zugangsvoraussetzungen für DAF (Deutsch als Fremdsprache)-Dozenten zu hoch: ich zum Beispiel hätte trotz abgeschlossenen Germanistikstudiums nochmal zwei Jahre DAF studieren müssen, oder den teuren Goethe-Institut-Onlinekurs machen müssen. Weil 2015 plötzlich so viele Deutschlehrer gebraucht wurden, hat man die Zugangsvoraussetzungen erleichtert, das war für mich und viele andere eine große Chance.
AVIVA-Berlin: Triffst du deine ehemaligen SchülerInnen noch oder verschwinden sie?
Christiane Rösinger: Meistens verschwinden sie, zu manchen bleibt dank Facebook aber noch ein regelmäßiger Kontakt. Wir planen jetzt einen monatlichen Jour Fixe, an dem wir unsere alten TN zum Essen, Reden usw. einladen.
AVIVA-Berlin: Wenn im Fernsehen Dokus über das Leben Geflüchteter in Deutschland laufen - guckst du die?
Christiane Rösinger: Nein, ich kann es nicht mehr sehen, es ist immer Dasselbe und es ist ja auch so frustrierend.
AVIVA-Berlin: Zum Unterricht kommen/kamen aus verschiedenen Gründen hauptsächlich Männer - wie erreicht man an die geflüchteten Frauen?
Christiane Rösinger: Um Frauen zu erreichen müsste man direkt in die Heime gehen, müsste Kinderbetreuung und reine Frauenkurse anbieten.
Es gibt natürlich Frauen, die zum Unterricht kommen, und die fleißiger und begabter als alle Männer sind. Aber es gibt auch viele, die nach ein paar Wochen wegbleiben. Die Familie ist immer wichtiger. Ich bin da ein bisschen ratlos.
AVIVA-Berlin: Wie sehr wird frau/man mit ihren/seinen eigenen Vorurteilen konfrontiert - gibt es z.B. Situationen, in denen die LehrerInnen über "die Afrikaner" bzw. angebliche Eigenschaften der jeweiligen Personengruppen etc. sprechen/lästern? Wie kriegt frau da die Kurve?
Christiane Rösinger: Man lernt sehr viel über die eigenen Vorurteile. Ich hatte vor meinem Unterricht nie viel mit Leuten aus Afrika bzw. Menschen mit schwarzer Hautfarbe zu tun. Ich hätte mich immer dagegen verwahrt Vorbehalte zu haben. Inzwischen ist mir aber klar, dass wir alle einen kulturellen Rassismus eingeschrieben haben. Ich war am Anfang meinen TN aus Afrika gegenüber irgendwie befangen. Dachte, ich müsste besonders nett und freundlich zu ihnen sein, usw. Das hat sich aber schnell gegeben. Das ist das Wunderbare am menschlichen Kontakt: Alle Vorbehalte verschwinden.
Inzwischen sind mir die westafrikanischen TN fast die Liebsten. Aber das muss man auch kritisch betrachten. Warum? Weil sie durch den Kolonialismus "europäisiert" wurden, weil sie französisch oder englisch sprechen, weil die Verständigung leichter ist? Weil sie uns dadurch näher sind, einen ähnlichen Humor haben?
AVIVA-Berlin: Bist du durch die Arbeit ein politischerer Mensch geworden?
Christiane Rösinger: Auf jeden Fall. Vor allem in der ehrenamtlichen Initiative, in der doch viele gestandene Linke mitgemacht haben, hab ich von den Kollegen sehr viel gelernt über politisches Handeln und Solidarität.
AVIVA-Berlin: Wenn du aus deinem Leben berichtest, vom Musik- und Galamachen, vom Bohèmeleben – wie reagieren die TN?
Christiane Rösinger: Das erzähle ich natürlich überhaupt nicht.
AVIVA-Berlin: Warst du manchmal mehr "Mutti"/Betreuerin als Lehrerin? Kommst du damit klar?
Christiane Rösinger: Ja, manchmal ist es eher Sozialarbeit, Beschäftigungstherapie. Aber ich finde das ganz gut. Ich habe so lange allein in meiner Wohnung an einem Text, an einem Buch
oder grübelnd auf dem Sofa gesessen, da ist es toll unter Menschen zu sein, denen man vielleicht sogar ein bisschen helfen kann.
AVIVA-Berlin: Integration - ein schwieriger Begriff: was wäre dir lieber, wie würdest du es nennen? Inklusion? Miteinander?
Christiane Rösinger: Ich weiß nicht… Am besten wäre, die Leute könnten hier in Wohnungen leben und arbeiten, dann würde es automatisch ein Miteinander geben.
AVIVA-Berlin: Hat dein Einsatz andere Leute motiviert, ebenfalls zu unterrichten oder andere Arbeit mit Geflüchteten zu machen?
Christiane Rösinger: Ja, das ist ganz positiv. Eine Freundin, die mich nur mal besucht hat, hat darin ein neues Lebensziel gefunden und viele neue Freunde, also Geflüchtete.
Sie hilft ihnen Wohnungen zu finden, lädt alle paar Wochen alle zum Essen ein und ihr Leben ist dadurch auch viel besser geworden. Solche Beispiele gibt es zu Hauf.
AVIVA-Berlin: Denkst du, dass deine Erfahrungen auch auf andere Städte übertragbar sind oder berichtest du über "typisch Berliner" Situationen/Gegebenheiten?
Christiane Rösinger: Ich glaube, dass sie absolut übertragbar sind, und ich habe auch mit Leuten aus anderen Städten gesprochen - sie haben die gleichen Erfahrungen gemacht wie ich.
Wenn es nicht so kitschig klingen würde, könnte man sagen: Diese Erfahrungen sind "rein menschlicher Natur": Erlebnisse, die ganz unterschiedliche Menschen miteinander machen und die sie verändern, egal wo.
Christiane Rösinger: Zukunft machen wir später. Meine Deutschstunden mit Geflüchteten
Fischer Taschenbuch, erschienen 2017
ISBN: 978-3-596-29804-4
12,99 Euro
www.fischerverlage.de
Christiane Rösinger - Lieder ohne Leiden
Staatsakt/Caroline International, VÖ: 24.02.2017
staatsakt.hanseplatte.de
Über die Autorin/Musikerin: Christiane Rösinger war Mitgründerin, Sängerin und Texterin der Berliner Bands "Lassie Singers" und "Britta". In den 90er Jahren war sie eine der Betreiberinnen der legendären Flittchenbar am Berliner Ostbahnhof, die sie 2010 zu neuem Leben erweckte. Seitdem führt sie einmal im Monat durch eine musikalische Gala-Show im Kreuzberger Club Südblock. Neben ihrer Arbeit als Musikerin ("Songs Of L. And Hate", "Lieder ohne Leiden") schreibt sie für verschiedene Zeitungen und Magazine. Christiane Rösinger veröffentlichte 2008 ihr erstes Buch "Das schöne Leben", es folgten "Liebe wird oft überbewertet", ein humorvolles Plädoyer für das Alleinleben, und "Berlin-Baku", der Bericht ihrer Reise zum Eurovision Song Contest nach Baku.
Christiane Rösinger im Netz:
www.christiane-roesinger.de
Im April geht Christiane Rösinger auf Tour:
18.03.2017 Berlin, Prater (Lesung aus "Zukunft machen wir später", Fischer 2017)
01.04.2017 Berlin, HAU1
04.04.2017 Hamburg , Uebel & Gefährlich
05.04.2017 Köln, Gebäude 9
06.04.2017 Frankfurt, Brotfabrik
07.04.2017 Schorndorf, Manufaktur
08.04.2017 CH - Zürich, Stall 6
09.04.2017 CH - St. Gallen, Palace
11.04.2017 AT - Wien, Brut
12.04.2017 München, Strom
13.04.2017 Leipzig, Werk 2
21.07.2017 Varel Watt`en Schlick Fest
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:Christiane Rösinger – Das schöne Leben. (Roman, 2008) In kurzen Episoden erzählt die Autorin aus ihrem Leben, von der Jugend auf dem Bauernhof und dem Umzug nach Westberlin, um dort die Band-Karriere anzustoßen. Amüsante Lebensweisheiten inklusive.
Almut Klotz – FotzenfenderschweineMit der Band "Lassie Singers" feierte Almut Klotz das Anti-Pärchen-Ideal. Einige Jahre später bildete sie selbst eines, mit dem wetternden Musiker Reverend. Davon erzählt nun ihr letztes Romanfragment. (2016)
Britta - Lichtjahre voraus (2008). "Wir sind Britta und wir hören nicht damit auf", verspricht uns die Berliner Band um Christiane Rösinger auf ihrem neuen Album. Wir mögen Britta und hören auch nicht damit auf, versprechen wir zurück.
Copyright Fotos: Dorothea Tuch