Barbara Yelin, David Polonsky - Vor allem eins: Dir selbst sei treu. Die Schauspielerin Channa Maron. Verlosung - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Gewinnspiele



AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 06.03.2017


Barbara Yelin, David Polonsky - Vor allem eins: Dir selbst sei treu. Die Schauspielerin Channa Maron. Verlosung
Romina Wiegemann

In Deutschland ein vergessener Kinderstar, in Israel eine Bühnenlegende (HaBimah. Cameri). Die 1923 als Kind einer jüdischen Familie in Berlin geborene Channa Maron stand bereits als 5-jährige auf den Brettern, die ...AVIVA verlost 1 Buch




... die Welt bedeuten. In Titelrollen, z. B. in "Rotkäppchen", "Peterchens Mondfahrt" oder "Pünktchen und Anton", begeisterte sie das Publikum verschiedener Berliner Bühnen. Durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten und die darauf folgende Flucht der Familie schien dieser Erfolg ein frühes Ende zu nehmen.


Doch es war Channa Marons eisernem Willen und ihrer großen Begabung geschuldet, dass sie auch in ihrer neuen Heimat Israel nicht nur den Weg zurück auf die Bühne fand, sondern zu einem Theaterstar, zur "Königin des Theaters" avancierte. Basierend auf der Ausstellung "Dir selbst sei treu – Graphic Art zu Channa Maron" des Goethe-Instituts Israel erschienen zwei Jahre nach ihrem Tod 2014 die (bio)graphischen Arbeiten von Barbara Yelin und David Polonsky zu Channa Maron nun auch als Buch.

Das erste der zehn von Barbara Yelin gezeichneten Panele zeigt Channa Maron im Jahr 1931 als Kind in Berlin. Das widerwillige achtjährige Mädchen wird von ihrer ehrgeizigen Mutter zu einem Vorsprechen für "Pünktchen und Anton" am Deutschen Theater gezerrt. Ihren Gemütszustand lässt Channa gekonnt in ihre Darbietung einfließen und begeistert den anwesenden Autor Erich Kästner. Zu dieser Zeit, die politisch bereits vom Aufstieg der Nationalsozialisten überschattet ist, steht Channa fast täglich auf verschiedenen Bühnen. Zwei Jahre später ist die Familie bereits auf der Flucht. Channa und ihre Mutter emigrieren nach Paris, wo die beiden zwei Jahre voll Hunger und Angst verleben. Channa setzt ihre Schauspielkünste nun für das Betteln um Brot ein. Schließlich erreicht die Mutter die Nachricht, dass Channas Vater eine Anstellung im britischen Mandatsgebiet Palästina gefunden hat. Er emigriert von Berlin aus nach Palästina; Channa und ihre Mutter folgen ihm 1935 dorthin. "In Berlin bin ich geboren, Israel ist meine Heimat." wird Channa Maron später sagen.

In Tel Aviv blüht die 12jährige auf. Die in der neuen Heimat gewonnene Freiheit erlaubt es ihr, endlich Kind zu sein. In Windeseile lernt sie Hebräisch. Ihre Mutter ist wieder eifrig dabei, ihr Engagements zu verschaffen und klopft an viele Türen, bis Channa schließlich wieder auf der Bühne steht. Es ist das Theater "HaBimah", damals das wichtigste und bis heute ein sehr bedeutsames Haus, in dem Channa erneut ihr Können unter Beweis stellen kann.
"Manchmal ist es wichtiger, ein Mensch zu sein, als ein Schauspieler." Ein Satz, der auf Channa entscheidenden Einfluss hat. Er stammt von Fanny Lubitsch, ihrer Schauspiellehrerin, die damit ihre Meinung zur weltweit wachsenden Bedrohung durch die Nationalsozialisten 1942 kundtut. Channa lässt sich daraufhin von der britischen Armee rekrutieren. Die Frage, wie sich Schauspieler_Innen zu den bestimmenden Themen der Zeit verhalten sollen, was sie beitragen können, wird ab diesem Zeitpunkt ein wiederkehrendes Motiv für Channas politisches Engagement sein. Nach zwei Jahren in der britischen Armee wird Channa Mitglied des Unterhaltungskorps der jüdischen Brigaden und reist mit der Truppe durch Europa. Ab 1945 besteht das Publikum auch häufiger aus Zivilist_Innen, unter ihnen auch Überlebende der Konzentrationslager. Diese Begegnungen berühren Channa zutiefst und lassen sie begreifen, welchem Schicksal sie entronnen ist.

1946 tritt Channa Maron in das neu gegründete Cameri-Theater ein. 35 Jahre lang bleibt sie Mitglied des legendären Theaters, dessen Ensemble sich auch politisch sehr engagiert, und feiert dort ihre größten Erfolge. Am 10. Februar 1970 ist Channa auf dem Weg zu einem Vorsprechen in London, als ein palästinensisches Terrorkommando im Transitbereich des Münchner Flughafens einen Sprengsatz zündet, während Passagier_Innen der gerade gelandeten EL AL Maschine sich dort aufhalten. Es gibt einen Toten und Schwerverletzte, unter ihnen Channa, der im Zuge einer Notoperation ein Bein amputiert werden muss. Der Weg zurück ins Leben fällt ihr nach diesem traumatischen Ereignis naturgemäß schwer. Nach einer Phase des Rückzugs kehrt Channa schließlich doch ans Theater zurück und zwar direkt zu den Proben von "Medea". Gegen diese Titelrolle hatte sie sich vor dem Terroranschlag gesträubt, sie wusste nicht, wie sie sie anlegen könne, denn "Fanatismus, Gewalt, Blutvergießen sind nicht Teil meines Lebens", hatte sie immer wieder betont. Nach dem existenziell bedrohlichen Ereignis findet sie Zugang zu der Rolle. Jetzt nutzt sie sie, um ihren Hass auf alle Formen von Gewalt auszudrücken und spielt mit so großer Leidenschaft, dass die Aufführung ein Riesenerfolg wird. 1973 erhält Channa die wichtigste aller israelischen Auszeichnungen, den Israel-Preis, für ihre Verdienste um die israelische Kultur. Im gleichen Jahr wird Israel an Yom Kippur von arabischen Nachbarländern angegriffen. Wieder beschäftigt Channa und ihre Kolleg_Innen die Frage, wie in Zeiten des Krieges Theater gemacht werden kann. Unermüdlich nimmt Channa auch in den kommenden Jahren direkt am politischen Leben teil. Sie agiert als Wahlhelferin für die Arbeiterpartei und bezieht scharf Stellung gegen den Libanonkrieg. Während der ersten Intifada organisiert sie Dialoggruppen zwischen israelischen und palästinensischen Frauen. Den Schlüssel für den Frieden erkennt sie im Kennenlernen der anderen Seite.

Am 8. Mai 1995 feiert Channa Maron als Hekuba in "Die Troerinnen" Premiere – am Schauspielhaus Wuppertal. Zuvor hatte Channa immer wieder Angebote aus Deutschland abgelehnt, sie wollte weder auf Deutsch spielen, noch dem deutschen Publikum begegnen. Für diese Aufführung am 50. Jahrestag der deutschen Kapitulation macht sie eine Ausnahme. Am selben Tag wird auf die Synagoge in Lübeck ein Brandanschlag verübt. Channa kann es nicht erwarten, nach Israel zurückzukehren. Im gleichen Jahr wird sie nach Washington eingeladen, als Ehrengast bei Unterzeichnung des Friedensvertrages zwischen Jitzhak Rabin und Jassir Arafat.
Sie nimmt an der großen Friedenskundgebung am 4. November 1995 teil, auf der Jitzhak Rabin von einem jüdischen Rechtsextremisten erschossen wird. Sie ist, wie so viele in Israel, fassungslos über diese Tat. Doch statt in Ohnmacht zu verharren, wird ihr Kampf für den Frieden noch kompromissloser. Gleichzeitig steht sie bis zum Alter von 87 noch immer auf der Bühne. Channa Maron stirbt am 30. Mai 2014, im Alter von 93 Jahren, an den Folgen eines Schlaganfalls.

AVIVA-Tipp: Die von Barbara Yelin gewählte Erzählform, in der auf zehn Panelen bedeutsame Begebenheiten, meist Wendepunkte, in Channas Leben aus ihrer Sicht und der Sicht unterschiedlicher Wegbegleiter geschildert werden, ist ein Bilderbogen, welcher die wichtigsten Lebensrollen Channa Marons als Schauspielerin, als Friedensaktivistin und als Familienmensch inszeniert. Dramatische Höhepunkte des Comics gestaltet Yelin eindringlich durch die Wahl expressiver Mittel wie an Emotionen gebundene Variationen der Farbgebung und der Schriftgröße oder das Aufbrechen der Bildanordnung. David Polonskys Bilder sind porträthafte Zeichnungen von Channas wichtigsten Bühnen- und Filmrollen, in deren Hintergrund wie in einer Theaterkulisse konkrete Zeitbezüge illustriert werden. Diese Einordnung verdeutlicht, wie sehr Channas künstlerische Arbeit mit ihrem Leben und den politischen Ereignissen abseits der Bühne in Verbindung stand. Die Arbeiten der Künstler_Innen Yelin und Polonsky harmonieren inhaltlich wie ästhetisch, zeichnen sich bei der Darstellung Channa Marons durch Prägnanz und Schärfe aus und verzichten auf Nebensächliches. So können auch Leser_Innen, denen Channa Maron bislang unbekannt geblieben ist, eine klare Vorstellung davon entwickeln, wer die "Königin des Theaters" tatsächlich war.

Zur Autorin: Barbara Yelin , geboren 1977 in München, studierte Illustration an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg. Als Comiczeichnerin ist sie vor allem in Frankreich durch die Bände "Le visiteur" und "Le retard" bekannt geworden (beide erschienen bei Editions de l´an 2 – Actes Sud). In deutscher Sprache sind verschiedene Kurzgeschichten von Barbara Yelin in der Anthologien "Spring" und "Pomme d´amour" erschienen, die von einem Kollektiv von Zeichnerinnen herausgegeben wird. "Gift", die Geschichte eines historischen Kriminalfalls nach einem Szenario von Peer Meter, war der erste umfangreiche Comic von Barbara Yelin, der in deutscher Sprache bei REPRODUKT erschienen ist. 2014 legte Barbara Yelin dann ihren vielfach ausgezeichneten Comicroman "Irmina" vor: Basierend auf einer wahren Geschichte, erzählt Yelin in atmosphärisch dichten Bildern einen Werdegang voller Brüche und thematisiert darin das Mitläufer_Innentum und Wegsehen im Nationalsozialismus. Gemeinsam mit dem Autor Thomas von Steinaecker gestaltete Barbara Yelin 2015 den mehrteiligen Webcomic "Der Sommer ihres Lebens". Yelin zeichnete Comicstrips für die FRANKFURTER RUNDSSCHAU (2012) und aktuell für den TAGESSPIEGEL (2016). 2015 erhielt Barbara Yelin den Bayerischen Kunstförderpreis für Literatur und 2016 den renommierten Max-und-Moritz-Preis als beste deutschsprachige Comic-Künstlerin.
Barbara Yelin lebt und arbeitet – nach knapp 20 Jahren in Hamburg und Berlin – heute wieder in München. (Quelle: Verlagsinformationen und Website der Autorin).
Website der Autorin: www.barbarayelin.com

Zum Autor: David Polonsky, geboren 1973 in Kiew, ist als Illustrator für die führenden israelischen Zeitungen sowie die New York Times tätig. Er hat zahlreiche preisgekrönte Kinderbücher illustriert, die in mehrere Sprachen übertragen wurden. Weltbekannt wurde David Polonsky durch den dokumentarischen Spielfilm "Waltz with Bashir" (2008), in dem der Regisseur Ari Folman seine Erfahrungen während des Libanonkriegs 1982 verarbeitet. Der Film, der 2009 einen Golden Globe gewann und für einen Oscar nominiert war, wurde von David Polonsky als künstlerischem Leiter visuell geprägt. In der Folge wirkte er an mehreren internationalen Animationsproduktionen mit, u.a. als Artdirector an "The Congress" (Regie: Ari Folman, 2013). David Polonsky unterrichtet Illustration an der Bezalel Academy of Art and Design in Jerusalem und der Shenkar School of Design in Tel Aviv. (Quelle: Verlagsinformationen)
Website des Autors: www.dpolonsky.com

Barbara Yelin, David Polonsky
Vor allem eins: Dir selbst sei treu. Die Schauspielerin Channa Maron

Reprodukt, erschienen am 25.09.2016
80 Seiten, farbig, Hardcover
ISBN 978-3-95640-102-2
24 Euro
www.reprodukt.com

Mehr Infos zu Channa Maron: www.imdb.com

Mehr Infos zum Cameri Theater: cameri.co.il


AVIVA-Berlin verlost 1 Buch. Bitte senden Sie uns dazu den AVIVA-Tipp aus unserer Rezension zu Barbara Yelin – Irmina mit Angabe Ihrer Postadresse bis zum 31.05.2017 per Email an folgende Adresse: info@aviva-berlin.de


Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

Barbara Yelin – Irmina
Irmina ist die sperrige Protagonistin in Barbara Yelins gleichnamigem Comic. Eine junge Deutsche, die sich in England verliebt, aber zurück nach Nazi-Deutschland muss und sich hier gut arrangiert. (2015)

Peer Meter, Barbara Yelin – Gift
Die 1831 öffentlich vollzogene Hinrichtung der Giftmörderin Gesche Gottfried bildet die historische Grundlage für diese düstere Graphic Novel. Protagonistin ist eine junge Schriftstellerin, die durch einen Zufall Zeugin der Ereignisse wird und die daraufhin die Fragen um Schuld, Verbrechen und die Verantwortung der Gemeinschaft nicht mehr loslassen. (2011)

Ari Folman, David Polonsky – Waltz with Bashir
Die Geschichte des aufrüttelnden Animationsfilms von Ari Folman ist jetzt in Buchform erschienen. "Waltz with Bashir" erzählt von der Suche des Regisseurs nach seiner eigenen Erinnerung an den 1. Libanonkrieg. (2009)


Gewinnspiele

Beitrag vom 06.03.2017

Romina Wiegemann