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Beitrag vom 17.08.2016
Rabih Alameddine - Eine überflüssige Frau. Verlosung
Béla Noßmann
Die Romane des drusischen Jordaniers Rabih Alameddines drehen sich um das Leben im Libanon und den dortigen Bürgerkrieg, um das Zufluchtsland USA, um sexuelle Orientierung und HIV/Aids. Der Verlag ... AVIVA verlost 2 Bücher
... Louisoder hat als Erster sein Werk der deutschsprachigen Leser_innenschaft zugänglich gemacht. In "Eine Überflüssige Frau" beschreibt eine 72-jährige Beiruterin ihr Leben als Buchhändlerin und Übersetzerin, und weiht uns in diese Künste und in die Tiefen der europäischen Literatur ein.
"Ich kann auch nicht sagen, dass ich keinem Lebewesen etwas zuleide getann hätte. Ich habe ja schließlich Bücher verkauft"
Aaliya lebt allein in der Innenstadt Beiruts – dem Paris des Nahen Ostens. Ihre Wohnung konnte sie nach dem Ende einer kurzen Ehe behalten – zum Leidwesen ihrer Brüder, die es lieber sähen, wenn sie die große Wohnung den Familien mit Kindern überließe. Doch Aaliya sorgt dafür, das Leben, das sie führen will, beibehalten zu können. Es besteht aus ihrer Tätigkeit als Buchhändlerin. Sie verkauft wenig, liest viel, kennt jedes ihrer Bücher, in der Stadt ist ihr Wissen bekannt.
Zu Hause übersetzt Aaliya Romane hauptsächlich europäischer und US-amerikanischer Autor_innen. Vom Englischen ins Französische und umgekeht. Jedes Jahr eins. Sie übersetzt die Übersetzung der Übersetzung.
"Ein Leben von Beckett´scher Langeweile"?
Zu erzählen beginnt Aaliya am Neujahrstag, als sie sich wie jedes Jahr für ein Buch entscheidet, das sie in den folgenden zwölf Monaten in eine andere Sprache übertragen wird. ´Bücher in Kisten, Kisten von Papier, lose, übersetzte Seiten. Das ist mein Leben." Die Kisten stellt sie am Jahresende in ein dafür vorgesehenes Zimmer. Mittlerweile gehen die Stapel bis an die Decke. Von jedem gesparten Pfennig ihres schmalen Gehalts gönnt sie sich eine Schallplatte klassischer Musik, die dann den Klangteppich ihrer Übersetzungen webt. Musik und Literatur – sie bilden die Säulen ihres Lebens und bringen ihr ein ´paar Augenblicke der Ekstase in einem Leben von Beckett´scher Langeweile". Alles, was Aaliya erzählt von der Welt, vom Leben, ist gespickt von literarischen und historischen Referenzen. Literatur und Musik sind die Filter, durch die sie das Leben betrachtet und aushält: ´Jedes Mal, wenn ich an den Wasserhähnen drehe, bricht eine Schönberg-Symphonie aus Glockenspielen los. Die Rohre und ich, wir sind zusammen alt geworden." An diese doch poetische Sichtweise alltäglicher Lästigkeiten wie zu laute Geräusche schließt sich ein scharfsichtiger feiner Sarkasmus an: "Überall in der ganzen Stadt dröhnt geistlose Musik aus allen Ecken, um die Gehirnströme der Beiruter durchzurühren und abzutöten – eine Katastrophe, die es fast mit dem Bürgerkrieg aufnehmen kann, wenn Sie mich fragen." Dieser Sarkasmus ist an sich schon erfrischend, das Selbstbewusstsein mit dem dieser vorgetragen wird, ist geradezu eine Wohltat. Er trifft sonst noch ihre Nachbarin und deren Freundinnen, die sie seit Jahrzehnten täglich hört – sie nennt sie Hexen. Diese versorgen Aaliya ab und zu mit himmlisch gutem Essen, doch ihre Ratschläge bezüglich verbesserter Körperpflege lassen die Freude darüber rasch sauer werden.
Vertraut ist ihr in ihrem obszessiven introvertiertem Lebensstil eine Person – Hannah, mit der sie ohne viele Worte das Leben vor sich hin gleiten lässt, mit der sie Älter wird und das Alter aushält.
Libanesische Geschichte durch Aaliyas Sicht der Literatur
Eingebettet ist Alameddines Figur in die Geschichte Beiruts und des Libanons und damit in das Leben in einem dysfunktionalen Staat. Aaliya ist in der ausgehenden Phase des französischen Kolonialismus geboren, als die arabischen Länder um ihre Unabhängigkeit kämpften und säkulare und nationalistische Staaten wurden. Sie gehört der prosperierenden Mittelklasse an, die es zu einem gewissen Wohlstand im urbanen Kontext geschafft hatte und Bildung für eine breite Schicht zugänglich wurde. Der Bürgerkrieg zwischen christlichen und muslimischen Gruppierungen, der ab 1958 immer wieder das Land erschütterte und sich auf den Krieg mit Israel ab 1978 ausweitete, fließt in Aaliyas Bericht durch die Figur Ahmad ein, Kind palästinensischer Flüchtlinge, der ihr im Laden aushilft und später zum Militär geht. Obgleich sie in der Rückbesinnung häufig auf den Alltag im Krieg referiert, scheint sie ihn emotional wie in einem Kokon durchlebt zu haben und lässt sich zu keinem Zeitpunkt zu einer Tirade über eine der beteiligten Parteien hinreißen – diese sind für ihren Ehemann reserviert.
Wie ihre Alltags- und Stimmungsbeschreibungen erzählt uns die Protagonistin von der Geschichte des Landes, die sie mit Literaturzitaten gewissermaßen belegt und zugleich illustriert. Wie weit sie dabei ausholt gleicht einem literarischen Lexikon: neben der französischen Literatur bezieht sie italienische Klassiker, jüdische Philosophie und deutsche Literatur ein und lässt diese noch einmal im Spiegel der Musikgeschichte widerhallen. So ist es auffällig und doch kein Zufall, dass die arabische Literaturgeschichte keine Erwähnung findet: Aaliya wird in der Zeit ausgebildet, als der sogenannte Westen als Vorbild oder zumindest als nachahmenswert erschien, vor dem Islamic Revival in den 70er Jahren, der eine Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln und als Abgrenzung gegenüber den USA und Europa vorangetrieben wurde. Die Schönheit des Korans und der Arabischen Sprache wurde ihr bereits durch die gestrenge Schule ausgetrieben.
Ein seltener Blick auf eine Frau, die keine Mutter ist
Alameddines Entwurf einer weiblichen Protagonistin ist besonders dahingehend bemerkenswert, als er Aaliya tatsächlich als denkende Person in den Vordergrund stellt, die ihr Leben lebt und nicht – wie viel zu oft bei Protagonistinnen – ihr Verhältnis zu ihrem Körper, ihrem Aussehen und zu ihrem Sexleben zum vordergründigen Gegenstand des Daseins einer Frau macht. Kurz erzählt Aaliya von der libanesischen Frauenbewegung, die es ´noch nicht bis zu Espadrilles oder Joggingschuhen geschafft hat. Vernünftige Absätze – so weit sind wir gerade." Als Mädchen war es ein Akt des Widerstands, zu lesen. Aaliya übt diesen Widerstand kontinuierlich aus und verweigert sich einer weiteren Heirat und dem Muttersein. Die Sinnfrage des Lebens kann sie nicht darüber beantworten. Sie sucht und findet täglich – ein Ringen bleibt es. Die titelgebende Formulierung ´eine überflüssige Frau" schneidet immer wieder dissonant in diesen Prozess ein.
AVIVA-Tipp: Alameddine hat ein herausragendes Portrait eines weiblichen Solitärs geschaffen, die weder die Welt als schönen Ort, noch das Leben als ein Geschenk empfindet. Aaliyas Dasein ist eine Ode an die Kunst, an die klassische Musik und an die Literatur, die Ausweg und Möglichkeit sind, das Leben auszuhalten, es nicht zu ernst zu nehmen und es hier und da sogar mit Glück zu füllen. Die Sprache zieht die Lesende wie in einen Strudel in den Alltag Beiruts und in das Leben dieser Frau ein, die einen auch nach der Lektüre nicht verlassen wird.
Der Titel steht auf der Hotlist 2016 der unabhängigen Verlage. Bist zum 21. August kann jede drei Stimmen abgegeben. Der Verlag Louisorder und Rabih Alameddine haben es in jedem Fall verdient!
www.hotlist-online.com
Zum Autor: Rabih Alameddine, geboren 1959 in Jordanien, ist eine der berühmtesten Stimmen des Nahen Ostens. Er ist der Sohn libanesischer Drusen und wuchs in Kuwait, im Libanon und in England auf. Nach seinem Studium war er zunächst als Ingenieur tätig, bevor er Maler und Schriftsteller wurde. Nach Koolaids. The Art of War (1998), I, the Divine. A Novel in First Chapters (2001) und dem internationalen Bestseller The Hakawati (2008) ist Eine überflüssige Frau sein vierter Roman und der erste, der auf Deutsch erschienen ist. Er wurde mit dem California Book Award ausgezeichnet.
Quelle: Verlagsinfo
Mehr Informationen: www.rabihalameddine.com
Zur Übersetzerin: Marion Hertle , ist 1977 geboren und hat in Erlangen und Nordirland Deutsche und Englische Literaturwissenschaft studiert. Zu den von ihr übersetzten Autor_innen zählen u. a. Ray Bradbury, Evelyn Waugh und Edgar Rice Burroughs. Sie lebt in München und nirgendwo sonst.
Quelle: Verlag
Mehr Informationen: www.sprechwerk.net
Rabih Alameddine
Eine überflüssige Frau
Originaltitel: An Unnecessary Woman
Aus dem Englischen übersetzt von Marion Hertle
Louisoder, erschienen Februar 2016
Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen, 448 Seiten
Preis: 24,90 Euro
ISBN: 978-3-944153-30-8
www.louisoder-verlag.de
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