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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 21.07.2016


Valeria Luiselli - Die Geschichte meiner Zähne. Verlosung
Helga Egetenmeier

Die Geschichte der eigenen Zähne wird meist nur vertraulich erzählt. Einen phantastischen Weg geht damit Valeria Luiselli, die Autorin von "Die Schwerelosen", indem sie das Gebiss von Marilyn Monroe dem Auktionator Carretera... AVIVA verlost 3 Bücher




...einsetzt. Dafür kam sie, zusammen mit ihrer Übersetzerin Dagmar Ploetz, auf die Shortlist 2016 für den 8. Internationalen Literaturpreis für übersetzte Gegenwartsliteraturen.

Bei der Preisverleihung am 25.06.2016 im Haus der Kulturen der Welt wurde zwar Shumona Sinha für "Erschlagt die Armen!", übersetzt von Lena Müller, der erste Preis zugesprochen, eine besondere Auszeichnung für dieses ungewöhnliche Leseerlebnis ist es jedoch allemal.

Benannt als "Buch I. Anfang, Mitte, Ende", lässt die Autorin ihre Hauptfigur Gustavo Sanchez Sanchez, genannt Carretera (dt. "Autobahn") im ersten Kapitel kurz seinen Lebensweg bis zur Weiterbildung als Auktionator skizzieren. Jedoch verweist sie gleich durch ihren ersten Satz auf seine spätere Leidenschaft, "Ich bin der beste Auktionator der Welt. Das weiß aber keiner, denn ich bin ein zurückhaltender Mensch". Das Kapitel schließt mit der Entdeckung seiner Faszination für die Zähne von Marilyn Monroe, die er ersteigert und sich einsetzen lässt.

In den folgenden drei Büchern "Parabolisches", "Hyperbolisches" und "Elliptisches", verlangsamt Luiselli die erzählte Zeit. Ihre Beschreibungen der Auktionen und der versteigerten Zähne werden detaillierter. Kunstvoll verbindet sie dabei Reales und Fiktion durch bekannte Namen, wie Virginia Woolf und Jean-Jaques Rousseau, indem sie deren Gebisse durch den Auktionator mittels geheimnisvoller Geschichten anpreisen lässt.

Valeria Luiselli schrieb diesen Roman als literarische Auftragsarbeit für einen Ausstellungskatalog der Galerie Jumex. Gegründet vom Erben des gleichnamigen Saftherstellers, befindet sich diese auf dessen Fabrikgelände in Ecatepec, einem Randviertel von Mexiko-City. Auch der Großteil der Geschichte des Lebens ihrer Hauptfigur lässt sie in diesem Stadtteil abspielen. Im Nachwort nennt sie ihren Roman "ein Produkt der Zusammenarbeit", mit den ArbeiterInnen der Jumex-Fabrik. Nach dem Vorbild einstiger Tabak-Lesungen in kubanischen Zigarren- und Zigarettenfabriken, schrieb sie für die ArbeiterInnen in wöchentlichen Fortsetzungen und band deren Diskussionen in den weiteren Romanablauf mit ein.

Im fünften Buch "Allegorisches", dem letzten Kapitel zur Lebensgeschichte von Carretera, erscheint als weiterer Ich-Erzähler der erfolglose Schriftsteller Beto Balser. Der mittlerweile kurz vor seinem Tod stehende Auktionator, beauftragt diesen, seine Biografie zu schreiben. "Vor fast einem Jahr habe ich begonnen, die dentale Autobiografie des größten Helden unseres Viertels zu schreiben.", lässt die Autorin Balser beginnen. Durch diesen Perspektivenwechsel erhält die Fiktionalität der Hauptfigur eine weitere kreative Wendung hin zur Frage der Wahrhaftigkeit, die im letzten Buch "Rundgang" durch Fotografien der ArbeiterInnen aus der Umgebung der Saftfabrik in Ecatepec ergänzt werden.

Zur jungen Generation mexikanischer AutorInnen gehörend, bricht Valeria Luiselli mit der nationalen Bezogenheit, indem sie ihrer Hauptfigur eine lokale Verbundenheit gibt und ihn sonst rund um die Welt reisen lässt. Auch die geschlechtlichen Eindeutigkeiten verwischt sie mit der Leidenschaft des Mannes für die Zähne der Weiblichkeitsikone Marilyn Monroe und vermischt durch deren Einsetzen die Körper der Geschlechter. Dazu jongliert sie mühelos mit weltberühmten literarischen Referenzen, ein Kunststück, das ihr bereits in ihrem 2013 erschienen Roman "Die Schwerelosen" gelang.

AVIVA-Tipp: Erstaunlich leicht zu lesen geht die Lektüre dieses komplex kombinierten und dennoch wie spielerisch geschriebenen Romans zur Lebensgeschichte eines ungewöhnlichen Auktionators. Die junge Autorin übernimmt detailreich die Stimme des männlichen Ich-Erzählers, den sie im Laufe des Buches durch seine ersteigerten und eingesetzten Marilyn Monroe-Zähne erzählen lässt. Dezent-liebevoller Humor prägt diesen Text genauso wie die Frage nach dem Wert von Kunst und Leben.

Zur Autorin: Valeria Luiselli, geboren 1983 in Mexiko City, schreibt für Magazine und Zeitungen wie Letras Libres und die New York Times. Für ihr Romandebüt "Die Schwerelosen" erhielt sie den "LA Times Art Seidenbaum Award for First Fiction" und er wurde, ebenso wie ihre Essays, in mehrere Sprachen übersetzt. Als Lektorin, Journalistin und Dozentin arbeitend, lebt sie in Mexiko City und New York.
Die Autorin im Netz: twitter.com/valerialuiselli

Zur Übersetzerin: Dagmar Ploetz, geboren 1946 in Herrsching am Ammersee, lebte von 1948 bis 1965 in Argentinien und studierte später in München Germanistik und Romanistik. Tätig als Verlagslektorin und freie Journalistin, arbeitet sie seit 1984 hauptberuflich als freie Übersetzerin aus dem Spanischen. 2005 erhielt sie den "Jane Scatchered-Preis", 2012 den "ÜbersetzerInnenpreis der Landeshauptstadt München" und übersetzte u.a. Gabriel Garcia Marquez, über den sie auch zwei Biografien schrieb.

Valeria Luiselli
Die Geschichte meiner Zähne

Originaltitel: La historia de mis dientes, 2013
Ãœbersetzerin: Dagmar Ploetz
Verlag: Antje Kunstmann, erschienen März 2016
Hardcover, gebunden mit Schutzumschlag, 192 Seiten
ISBN-13: 978-3956140921
18,95 Euro
www.kunstmann.de


AVIVA-Berlin verlost 3 Bücher. Bitte senden Sie uns dazu den AVIVA-Tipp aus unserer Rezension zu Valeria Luiselli - Die Schwerelosen mit Angabe Ihrer Postadresse bis zum 30.09.2016 per Email an folgende Adresse: info@aviva-berlin.de


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Nichts als Gespenster: Mit Transzendenz und Magischem Realismus eroberten lateinamerikanische LiteratInnen schon einmal die Feuilletons und LeserInnen. Die neue Generation öffnet erneut die Pforten zum Geisterhaus, verabschiedet sich jedoch von der exotischen Opulenz ihrer namhaften VorgängerInnen. (2013)

Shumona Sinha - Erschlagt die Armen!
Die in Kalkutta geborene und seit 2001 in Frankreich lebende kontrovers diskutierte Autorin trifft mit ihrem lyrischen Roman direkt ins Herz der gegenwärtigen Asyldebatte, und verschafft uns einen persönlichen Einblick an die Front zwischen den verzweifelten AntragstellerInnen und den abgebrühten und oft inkompetenten Beamten, die quotenbasierte Bürokratie umsetzen. (2016)

Weitere Infos unter:

Haus der Kulturen der Welt, Shortlist 2016 für den Internationalen Literaturpreis mit dem Jurykommentar zur Nominierung von Valeria Luiselli.

Das Museum Jumex in Mexiko City, Stadtteil Nuevo Polanco, zeigt eine der größten privaten Kunstsammlungen Lateinamerikas und wurde im November 2013 eröffnet. Bereits davor gab es die Galeria Jumex in Ecatepec de Morelos auf dem Gelände der Fabrik Jumex, dessen Besitzer deren Geldgeber und Gründer ist.


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Beitrag vom 21.07.2016

Helga Egetenmeier