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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 09.03.2015


Ilse-Margret Vogel - Über Mut im Untergrund. Eine Erzählung von Freundschaft, Anstand und Widerstand im Berlin der Jahre 1943-1945. Verlosung
Magdalena Herzog

Wie konnten Verfolgte im Berliner Untergrund während des NS überleben? Und wie haben die wenigen, die ihnen halfen, den Mut dazu... AVIVA verlost 1 Buch




... aufgebracht? Die Erinnerungen von Ilse-Margret Vogel entfalten die Perspektive einer nichtjüdisch-deutschen, selbstbestimmten und moralisch autonomen Frau, die mit Verfolgten des NS-Regimes trotz der Propaganda befreundet bleibt, ihnen Unterschlupft bietet und sich bis Kriegsende erfolgreich verweigert den Hitler-Gruß auszuführen.

Ilse-Magret Vogel hat ihre Erinnerungen an die letzten beiden Kriegsjahre in Berlin bereits 1992 auf Englisch unter dem Titel "Bad Times, Good Friends, A Personal Memoire" verfasst. Doch der 1950 in die USA Emigrierten war es ein großer Wunsch, das Buch dem deutschsprachigen Publikum zugänglich zu machen. Die Gedenkstätte Deutscher Widerstand hat dies nun innerhalb der Reihe "Quellen und Zeugnisse" durch die Herausgeberinnen und Übersetzerin Jutta Hercher und Barbara Schieb ermöglicht und die Erzählung der Zeitzeugin in einen historisch-kritischen Kontext gesetzt.

Die Memoiren von Ilse-Magret Vogel sind in 13 Kapiteln gegliedert, die, nachdem sie sich selbst als Ilse vorgestellt hat, sieben engen Freund/Innen und den fünf Themen Hoffnung, Angst, Liebe, Hunger und Verlust gewidmet sind. Ilse beschreibt, wie sie als 24jährige nach Berlin floh (so sagt sie wörtlich), um der Enge von Görlitz zu entkommen. In Berlin lebt sie allein und unabhängig, arbeitet als Sekretärin in einer Anwaltskanzlei, studiert Malerei und wird Teil der kunstschaffenden Szene der Stadt, in der sie mit ihrer scharfen und eindeutigen Abneigung gegen die Politik der NSDAP auf positiven Widerhall stößt. Auf dem Buchcover sehen wir sie auf der rechten Seite mit einer leider unbekannten Freundin nach Kriegsende. Die Freund/Innen sind titelgebend für die Kapitel und im Zentrum steht, wie diese mit Ilse den Kriegsalltag zu bestehen suchten und auf welche Art und Weise sie dem Regime entgegentraten, ohne dabei zu schaden zu kommen. So versucht der sogenannte Kleine König, der als Wehrdienstverweigerer im Berliner Untergrund lebt, seine Bibliothek zu retten, indem er diese auf einem kleinen Handwagen in das Haus seiner Mutter bringt, das am Rande Berlins liegt.

Fred arbeitet in der Filmbranche und entzieht sich dieser, als er an einem NS-Propagandafilm arbeiten soll. Darauf folgt die Einberufung als Soldat, der er entkommt, indem er die Vorstellungen der Nazis von sogenannten Geisteskranken mimt. Zusätzlich ist er gefährdet, da er sich in der Schwulenszene Berlins bewegt. Es gelingt ihm, in ein Sanatorium im Schwarzwald eingeliefert zu werden. Ilse unterstützt ihn vor allem durch Briefe, die ihm helfen, den Schwindel aufrecht zu erhalten. Was charakteristisch ist für das ganze Buch, kristallisiert sich in diesen beiden Kapiteln: Die unendlich große Wut über die NS-Ideologie und deren grotesken Auswirkungen im Alltag, wie der permanenten Huldigung Hitlers. So wird zumindest in Ansätzen nachvollziehbar, wie es die ProtagonistInnen fertigbrachten, sich von der eigenen Angst nicht lähmen zu lassen und sich gegen das Regime zu stellen.

Wie grundsätzlich die Haltung Ilse gegenüber dem Regime und wie weit ihre Bereitschaft zum Widerstand ging, verdeutlicht sich in den Abschnitten zu <Vera< und Hajo. Die fast vergessene Schuldfreundin Vera kontaktiert Ilse und fragt höflich, ob sie sich treffen könnten. Erst nach und nach realisiert Ilse, dass Vera Jüdin sein muss und bietet ihr Unterstützung an. Auf dem Schwarzmarkt besorgt sie eine Uniform der Hitlerjugend und Vera kann in Richtung Spanien fliehen. Ob Vera die Shoah überlebt hat, konnte leider trotz eingehender Recherchen der Herausgeberinnen nicht eruiert werden.

Als Hajo Unterschlupf sucht und nur Ilse in Frage kommt, wird die Situation schwierig. Beide müssen auf engem Raum zusammenleben, Hajo verliebt sich in Ilse und dieser wird die Anwesenheit des verfolgten Gasts unerträglich. Die tragische Asymmetrie der gegenseitigen Zuneigung bringt den FreundInnenkreis der politisch Verbündeten an ihre Grenzen. Was hin und wieder als Romantisierung der zwischenmenschlichen Verhältnisse im politischen Widerstand verstanden werden kann, wird in dieser Episode gebrochen und vielmehr verdeutlicht, welch banale und melodramatische Dimensionen dieser Widerstand mit sich bringen konnte und in welchem Maße das eigene alltägliche Leben und Wohlbefinden davon betroffen war.

Was dieses Buch zu einem hervorragenden seiner Art macht, ist die wissenschaftliche Aufarbeitung durch Jutta Hercher und Barbara Schieb. Personen, historische Fachtermini und von der Autorin genannte Ereignisse sind mit Fußnoten versehen. Wir Leser/Innen erfahren genaues über die genannten Personen und deren Umfeld, über die erwähnten Gesetzgebungen und politischen Umstände, in denen Ilse und ihre Freund/Innen agieren. Ebenfalls wird auf zeitliche Ungereimtheiten hingewiesen, ohne dadurch die Autorität der Erzählerin als Zeitzeugin in Frage zu stellen. Durch diesen wissenschaftlichen Subtext werden die Erinnerungen auch zu einem Lehrbuch, denn die Ergänzungen und Anmerkungen tragen dazu bei, den NS als politisches System zu verstehen und somit auch zu verstehen, wie Widerstand geleistet werden konnte. Im Nachwort nennt Hercher es eine Form des lautlosen Widerstands, den Ilse-Margret Vogel und ihre FreundInnen ausübten und das ist eines der auffallenden Aspekte an den beschriebenen Persönlichkeiten: Ihre entschiedene Ablehnung des Regimes ist auffallend, doch es ist die Selbstverständlichkeit, ja, fast eine Art Leichtigkeit, mit der dieser Widerstand ausgeübt wird, die bemerkenswert ist. Er speist sich vornehmlich aus dem Bewusstsein der intellektuellen Überlegenheit über die Nazis, der Ablehnung und dem tiefen Unverständnis ihrer Ideologie und weniger aus der Perspektive einer anderen radikalen Weltsicht.

Das Nachwort widmet sich noch einmal der wissenschaftlichen Aufarbeitung. In Abgleich mit den historischen Ereignissen wird die Erzählung und werden die aufwendig recherchierten Lebenswege der Protagonist/Innen reflektiert.
Auch dokumentiert ist der mit zahlreichen Fotografien ausgestattete Lebensverlauf der Autorin für die Jahre nach Kriegsende. Dies trägt entscheidend dazu bei, die Erzählerin nicht als Heldin gefrieren zu lassen, sondern die Möglichkeit des Widerstands als eine realistische darzustellen. Und damit wird endlich das nachvollziehbar, womit das Buch schließt – mit Hannah Arendt und dem Satz, daß unter den Bedingungen des Terrors die meisten Leute sich fügen, "einige aber nicht".

AVIVA-Tipp: "Mut im Untergrund" ist ein ausgezeichnetes Buch, dem das Unterfangen gelingt, literarisch verarbeitete persönliche Erinnerung wissenschaftlich fundiert aufzuarbeiten und damit weder die Memoiren anzugreifen, noch deren literarischen und historischen Gehalt zu schmälern.

Zur Autorin: Ilse-Margret Vogel wurde 1914 im heute polnischen Ort Szcezodre geboren, siedelte 1938 über nach Berlin und erlebte dort den Krieg. Nach Kriegsende arbeitete sie in der Galerie Rosen am Kurfürstendamm und emigrierte 1950 in die USA. Auch in New York war sie weiterhin als Galeristin tätig, wurde Illustratorin und begann schließlich, selbst Kinderbücher zu schreiben. Ab den 1980er Jahren besuchte sie regelmäßig Berlin und traf dort auch einige ProtagonistInnen aus ihrem Buch wieder. Sie starb 2001 in den USA.
(Quelle: Ilse-Margret Vogel. Ãœber Mut im Untergrund. Nachwort, S. 198-219.)

Ilse-Margret Vogel
Über Mut im Untergrund. Eine Erzählung von Freundschaft, Anstand und Widerstand im Berlin der Jahre 1943-1945

Originaltitel: Bad Times, Good Friends, A Personal Memoire
Aus dem Englischen übersetzt von Jutta Hercher
Lukas Verlag für Kunst- und Geistesgeschichte, erschienen November 2014
220 Seiten, Festeinband mit Schutzumschlag
978-3-86732-157-0
19,80 Euro, Print-Ausgabe
16,00 Euro, e-book-Ausgabe
www.lukasverlag.com


AVIVA-Berlin verlost 1 Buch. Bitte senden Sie uns den AVIVA-Tipp aus unserer Rezension zu Simone Trieder und Lars Skowronski - Zelle Nr. 18. Eine Geschichte von Mut und Freundschaft mit Angabe Ihrer Postadresse bis zum 31.05.2015 per Email an folgende Adresse: info@aviva-berlin.de


Mehr Informationen zum Ãœberleben im Untergrund finden Sie unter:

Inge Deutschkron: www.inge-deutschkron-stiftung.de

Gedenkstätte Stille Helden: www.gedenkstaette-stille-helden.de


Weitere Literatur:
Ilse-Margret Vogel: Bad Times, Good Friends - A personal Memoir. Ilse-Margret Vogel, Harcourt Brace Jovanovich, Sand Diego, 1992 ISBN 0-15-205528-2

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Magdalena Herzog