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Beitrag vom 18.02.2014
Jelle Behnert - Liebe Steine Scherben. Verlosung
Lea Albring
In einer undefinierten Lebensphase, zu einer unvorhersehbaren Zeit, dreht sich alles um das Ungewisse: 1977 verliebt sich Johann in Tilda und.. AVIVA verlost 3 Bücher
... Tilda in Andreas Baader. In ihrem Erstling erzählt die Autorin mit sprachlicher Kraft und poetischer Wucht von Freundschaft, Pubertät, Terror und Gefühlsterror. Leider tappt sie dabei das ein oder andere Mal in ein selbst gelegtes Minenfeld und gerät mit exaltierten Formulierungen in eine erzählerische Schieflage.
Eine (alt)kluge "Gedankenstimme"
Opportun, berechnend und manipulativ: Tilda ist ein richtiges Miststück. Tatsächlich? Ist die14-jährige nicht einfach nur launig und pubertär? Nie weiß Frau es so richtig, denn auf Tildas besten Freund Johann, dessen "Gedankenstimme" durch die Geschichte führt, ist kein Verlass. Mit dem ambitionierten Versuch, einen Roman aus der Perspektive eines 13-Jährigen zu schreiben, gelingt der Autorin das Kunststück, zu fesseln, ohne dabei gänzlich zu überzeugen. Geschuldet ist das der paradox angelegten Erzählfigur.
Johann brennt darauf, den Absprung in die Pubertät endlich zu schaffen und plant deshalb, im gemeinsamen Baumhaus seine Unschuld zu verlieren: "Dafür hat Tilda das Baumhaus gekriegt. Damit ich Tilda da drin kriege. Aber vorher muss ich noch Schamhaare kriegen. Erst dann." So weit, so typisch für einen Teenager.
Johann denkt allerdings auch immer und immer wieder in großer analytischer Distanz und sperrig-eloquenter Manier über sein "einsturzgefährdetes" Leben nach: "Zeit ist eine kipplige Sache. Unsere Kindheit ist eine Pyramide. Die Spitze bedeutet: Jetzt! Auf dieser Spitze steht unsere ganze Zukunft wie eine Luftspiegelung der unteren Pyramide. Die Spitze der Vergangenheit trägt die Spitze der Zukunft: Zwischen Jetzt! und Und dann? sind wir da, und unser ganzes Leben steht immer auf dem Spiel." So weit, so untypisch für einen Teenager.
Die Ich-Perspektive wird unglaubwürdig.
Zwei Katastrophen-Universen prallen aufeinander
Unabhängig von der Erzählweise zeichnet sich auch der Inhalt durch eine Schieflage aus – diese ist allerdings ganz bewusst forciert. Die Kombination von pubertären Problemen und dem RAF-Terror scheint erst einmal abwegig, vielleicht sogar geschmacklos. Wenn Tilda allerdings Fotos von Andreas Baader – "Er hat ein total süüüßes Face" – in ihr BRAVO-Schnipsel-gespicktes Liebesalbum klebt, ist das nicht pietätlos, sondern, und das gilt übrigens auch für den Titel des Buches, ein bissig-kluger Kommentar zum Zeitgeist.
Einerseits karikiert Behnert die zunehmend schamloser werdende Popkultur der späten 70er Jahre. Andererseits – und in der Hauptsache – liefert sie mit der Kombination ein Sinnbild für die Verschmelzung zweier Problem-Universen: Die Schrecken des Erwachsenwerdens werden mit den Schrecken der RAF in Verbindung gesetzt. Ihr gemeinsamer Nenner ist, sogar im etymologischen Sinn, der Terror (lat. terror "Schrecken"). Die Verbindung von Pubertätsproblemen mit markerschütterndem Terror steht für Ungewissheit, steht für Angst, steht für Entgrenzung, steht für radikale Veränderung.
Für die Autorin ist dieser drastische, aber durchweg gut funktionierende Vergleich Anlass, ein anhaltendes Sprachfeuerwerk aus Metaphern, Allusionen und Symbolen zu zünden. Oft begeistert es durch Präzision und sprachliche Schönheit. Und ja, leider auch ein wenig zu oft, wirken einzelne Sätze und Phrasen wie fehlgeleitete Blindgänger, die brachial in das Textgefüge hineingesprengt wurden.
"Mach kaputt, was Dich kaputt macht"
Es ist nur konsequent, dass eine Geschichte, die erzählt, wie zwei Teenies und gleichzeitig ein ganzes Land seine Unschuld verlieren, auf einen finalen Schrecken zuläuft. So ist es am Ende nicht das Eintreten, sondern die Art des Schreckens, die bis zum letzten Moment fesselt und in einer kaum auszuhaltenden Ungewissheit gefangen hält. Dass sich zum Finale die Spannung noch einmal rasant steigert, verzeiht einige etwas zu langatmige Textpassagen.
AVIVA-Tipp: In ihrem Debüt-Roman entfaltet Jelle Behnert eine große Sprachkraft, deren Wucht allerdings an einigen Stellen erdrückend und unpassend ist. Schafft frau es, darüber hinweg zu sehen, kann sie sich an den vielen lebensklugen und konzis formulierten Beobachtungen sowie der philosophisch-poetischen Qualität des Buches freuen. Es kann spannend werden, die Entwicklung dieser Autorin zu beobachten.
Zur Autorin: Jelle Behnert, 1962 geboren, studierte in Berlin Publizistik und Literaturwissenschaften, schrieb danach unter anderem für das Zeit-Magazin sowie Features für den Hörfunk und Drehbücher. "Liebe Steine Scherben" ist ihr erster Roman. Im Rahmen des "Harbour Front Literaturfestivals Hamburg" wurde die Autorin mit dem Klaus-Michael Kühne Preis für das beste Romandebüt des Jahres 2013 ausgezeichnet. (Quelle: Verlagsinformationen, www.harbour-front.org)
Jelle Behnert
Liebe Steine Scherben
Blumenbar im Aufbau Verlag, erschienen September 2013
Gebunden, 251 Seiten
ISBN: 978-3-351-05006-1
18,99 Euro
www.aufbau-verlag.de
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