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Beitrag vom 01.02.2016
Angelique Kerber triumphiert bei den Australian Open
Sylvia Rochow
Die 28-jährige Kielerin wehrt in Runde 1 einen Matchball ab und ringt im Finale schließlich auch Serena Williams nieder. Kerber ist die erste deutsche Grand Slam-Siegerin seit Steffi Graf im Jahr 1999.
Angelique Kerber hat sich bei den Australian Open einen Kindheitstraum erfüllt und ihren ersten Grand Slam-Titel gewonnen. In einem über weite Phasen hochklassigen Endspiel rang die in Kiel aufgewachsene gebürtige Bremerin mit polnischen Wurzeln Titelverteidigerin Serena Williams aus den USA in gut zwei Stunden mit 6:4, 3:6, 6:4 nieder. Sie begeisterte dabei ein ums andere Mal nicht nur mit ihrer enormen Kampf- und Laufstärke, sondern behielt in den entscheidenden Phasen des Matches die Nerven und ging selbst in die Offensive. Kerber ist damit seit Steffi Grafs letztem Erfolg bei den French Open 1999 die erste Deutsche, die wieder ein Grand Slam-Turnier gewinnen konnte. 2013 unterlag die Berlinerin Sabine Lisicki im Wimbledon-Finale der Französin Marion Bartoli. Die Weltranglisten-1. Williams wartet nun weiterhin darauf, mit Grafs 22 Titeln bei einem der vier wichtigsten Turniere gleichzuziehen.
So nervenaufreibend und emotional wie das Turnier endete, hatte es für Angelique "Angie" Kerber einen Tag nach ihrem 28. Geburtstag in Melbourne auch begonnen. Gegen die Weltranglisten-64. Misaki Doi aus Japan musste die Kielerin einen Matchball abwehren, ehe sie mit 6:7, 7:6, 6:3 als Gewinnerin vom Platz ging. Offenbar ein gutes Omen für spätere Australian Open-Siegerinnen, denn Na Li (China) war 2014 das gleiche Kunststück gelungen, als sie auf dem Weg zum Titel Down Under in der dritten Runde einen Matchball gegen die Tschechin Lucie Safaraova abwehrte. Im Viertelfinale traf Kerber dann ausgerechnet auf ihre "Angstgegnerin" Victoria Azarenka. Von den vorangegangenen sechs Aufeinandertreffen konnte die Deutsche keines für sich entscheiden, die Weißrussin war bis dato die einzige Top-Spielerin, gegen die sie noch nie gewonnen hatte. Im Endspiel des Vorbereitungsturniers in Brisbane unterlag Kerber Anfang Januar glatt mit 3:6, 1:6. Doch in Melbourne wendete sich das Blatt und die Kielerin bezwang Azarenka mit 6:3, 7:5.
Obwohl sie bereits seit Jahren fast durchgängig die höchstplatzierte und konstanteste der deutschen Tennis-Profis ist, fehlte der 28-Jährigen, die mittlerweile im polnischen Puszczykowo wohnt, wo ihre Großeltern eine Tennisakademie betreiben, oft die Anerkennung in der breiten Öffentlichkeit. Kerber sehnte sich nie nach dem Glamour einer Sabine Lisicki oder dem Medienrummel einer Andrea Petkovic, für sie stand immer die harte Trainingsarbeit im Vordergrund. Lange eilte ihr der Ruf voraus, in den entscheidenden Momenten der großen Matches die Nerven zu verlieren. Ein Blick auf die Ergebnisse vergangener Jahre mag dies belegen, beispielsweise kam sie 2015 bei keinem der vier Grand Slam-Turniere über die dritte Runde hinaus. In Roland Garros, Wimbledon und bei den US Open unterlag sie jedoch mit Garbiñe Muguruza (Spanien) und Azarenka jeweils zu diesem Zeitpunkt sehr formstarken Spielerinnen in hartumkämpften Dreisatz-Matches, die allesamt auch zu Kerbers Gunsten hätten ausgehen können.
Einen positiven Wendepunkt gab es dennoch schon im vergangenen Jahr. 2014 hatte die Kielerin noch alle vier Endspiele verloren. Teilweise gegen schwächer einzuschätzende Gegnerinnen, häufiger tatsächlich eine Frage der Nerven. Anfang 2015 trennte sie sich von ihrem damaligen Coach Benjamin Ebrahimzadeh und kehrte zu Torben Beltz zurück, mit dem sie bereits seit ihrer Jugend zusammengearbeitet hatte. Nur wenige Wochen später konnte die Norddeutsche den Schalter erstmals umlegen und triumphierte Mitte April in Charleston (South Carolina). Es folgten der Sieg beim Heimturnier in Stuttgart sowie die Titel in Birmingham und Stanford. Die Leistung ist umso höher einzustufen, als es Kerber damit gelang, innerhalb eines Jahres vier Turniersiege auf vier unterschiedlichen Bodenbelägen zu erringen, fast ein kleiner Grand Slam (Gewinn der Australian Open, French Open, Wimbledon und US Open in einem Kalenderjahr).
Seit Januar 2016 kann die Kielerin nun tatsächlich einen Grand Slam-Titel ihr Eigen nennen. "Das hört sich verrückt an", konstatierte sie bei der Siegerinnenehrung in Melbourne. "Mein Traum ist wahr geworden. Ich habe mein ganzes Leben hart gearbeitet, und jetzt stehe ich hier und bin ein Grand Slam-Champion." Für ihre Verhältnisse ungewöhnlich forsch hatte Kerber zu Beginn des Jahres noch ihre Ziele für die neue Saison formuliert: "Ich will 2016 voll angreifen, es soll bei den wichtigen Turnieren endlich krachen. Mein Ziel ist es, etwas Großes zu holen." Dass sie dies so schnell in die Tat umsetzen kann hätte sich die 28-Jährige wohl selbst kaum träumen lassen und gab dann auch zu: "Weihnachten saß ich noch zu Hause und wusste nicht, wie die Saison wird. Wie haben sich die anderen vorbereitet, wie ist meine eigene Vorbereitung zu bewerten?"
Es waren nicht die ersten Zweifel, die sie in ihrer 2003 begonnenen Profi-Karriere überwinden musste. 2011 stand Kerber sogar schon einmal kurz davor, den Tennisschläger an den Nagel zu hängen. Nach stagnierenden Leistungen und vielen schmerzhaften Niederlagen bei kleineren Turnieren nahm die damals 23-Jährige den Rat ihrer guten Freundin Andrea Petkovic an und ließ sich auf ein gemeinsames Sommer-Trainingscamp in Offenbach ein. Was folgte, waren der Halbfinal-Einzug bei den US Open im September – als Weltranglisten-92. – sowie die Titel bei den Hallenturnieren in Paris (Februar 2012) und Kopenhagen (April 2012). In Roland Garros erreichte die Kielerin das Viertel- und in Wimbledon sogar das Halbfinale. Gekrönt wurde die "Comeback"-Saison mit dem erstmaligen Erreichen der Year End Championships, dem Turnier der acht besten Spielerinnen des Jahres.
Der schwächere Start in die Vorsaison hat jetzt übrigens sogar noch einen weiteren positiven Nebeneffekt: Mit nur wenigen aus dem Frühjahr 2015 zu verteidigenden Punkten wird Kerber in dieser Woche erstmals als Nr. 2 der Weltrangliste geführt – auch das die beste Platzierung einer deutschen Spielerin, seit Steffi Graf das Ranking insgesamt 377 Wochen anführte. Viel Zeit zum Durchatmen bleibt der frischgebackenen Grand Slam-Siegerin jedoch nicht. Am Wochenende wartet in Leipzig bereits die schwere Erstrunden-Partie gegen die Schweiz auf Kerber und ihre Fed Cup-Teamkolleginnen Petkovic, Annika Beck und Doppelspezialistin Anna-Lena Groenefeld.
Weitere Infos zu Angelique Kerber unter: www.angelique-kerber.de
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