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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 07.03.2005


8. März - Grund zum Feiern? - Antworten von Klaus Wowereit
Ilka Fleischer

Im E-Interview stellte sich - als einziger Mann - auch der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit unseren 8 Fragen zum 8. März.





Ilka Fleischer: Seit dem ersten Internationalen Frauentag 1911 gab es im vergangenen Jahrhundert für deutsche Frauen nicht nur Anlass zu Kritik, sondern auch gute Gründe zum Feiern, allen voran die Durchsetzung des Frauenwahlrechts 1918. Was waren aus Ihrer Sicht bislang die größten Erfolge oder Fortschritte für Frauen im dritten Jahrtausend - nicht nur, aber auch in Berlin?
Klaus Wowereit: Das neue Jahrtausend ist ja erst 5 Jahre alt. Ein grundlegender Fortschritt, der mit dem Frauenwahlrecht vergleichbar wäre, ist da nicht unbedingt zu erwarten. Ich denke, dass für die Gleichstellung der Frauen gilt, dass die rechtliche, formale Seite weitgehend erledigt ist, dass aber die Umsetzung der Gleichstellung in gesellschaftliche Realität das große Thema mindestens der nächsten Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte sein wird. Weiter wage ich da nicht zu prognostizieren.

Ilka Fleischer: "Brot und Rosen!" - Brot zum Leben und Rosen, damit sich das Leben lohnt - forderten Textilarbeiterinnen 1912 im Streik gegen Hungerlöhne in den USA noch recht bescheiden. Inzwischen wollen viele Frauen wesentlich mehr: Nach Gittes Song "Ich will alles" Anfang der 80er Jahre titelte die Bestsellerautorin Maeve Haran kürzlich "Alles ist nicht genug". Werden Frauen allmählich maßlos in ihren Forderungen?
Klaus Wowereit: Keineswegs. Es ist mehr als legitim, sich nachdrücklich und mit Verve für seine Ziele einzusetzen. In der politischen Auseinandersetzung zeigt sich dann, wie viel durchzusetzen ist.

Ilka Fleischer: Valerie Solanas behauptete 1968 in ihrem Manifest "Society for Cutting up Men", Männer wären aufgrund der Chromosomstruktur unvollständige Frauen und versuchten daher ihr Leben lang, sich zu vervollkommnen. Gibt es zwischen Mann und Frau Unterschiede, die Sie für "naturbedingt" halten?
Klaus Wowereit: Die physische Unterscheidung der Geschlechter ist selbstverständlich von der Natur vorgegeben. Aber Männer nun zu unvollständigen Frauen umzudefinieren, ist genauso wenig hilfreich wie das Umgekehrte. Ich denke, wir sollten uns gesellschaftlich und damit auch politisch darauf einigen, dass wir allen Individuen, gleich welchen Geschlechts und gleich welcher Selbstdefinition, grundsätzlich das gleiche Recht einräumen, sich zu verwirklichen, solange keine anderen Menschen dadurch Schaden erleiden.

Ilka Fleischer: Norbert Blüm hat sich einmal neidisch auf "die Firma Mutter und Kind, die sich in den neun Monaten der Schwangerschaft bildet" geäußert und bedauerte, dass Männer dagegen nie "ankommen". Worauf sind Sie bei Frauen "neidisch"? Was würde Ihnen bei einem Rollentausch besonders gut gefallen?

Klaus Wowereit: Ob man das, was da während der Schwangerschaft an Beziehung entsteht, nun unbedingt Firma nennen muss, weiß ich nicht. Aber vermutlich hat Blüm das auch nicht ganz so ernst gemeint. Die Entwicklungspsychologie hat dafür ja Begriffe gefunden. Ich glaube auch, dass die Mutter-Kind-Beziehung dann, wenn sie funktioniert und die Bedingungen ihr Funktionieren zulassen, von einzigartiger Nähe ist.

Ilka Fleischer: "Frau allein ist noch kein Argument, es muss auch noch was zwischen den Ohren sitzen", behauptet Heide Simonis. Aber auch: "Politik ist der Sieg des Hinterns über das Gehirn". Welche Voraussetzungen müssen Frauen in der Politik also mitbringen?
Klaus Wowereit: Den Satz können Sie genauso gut umdrehen. Auch bei einem Mann sollte etwas "zwischen den Ohren" sein. Aber natürlich ist noch immer zu oft das Mann-sein ein Argument für oder gegen einen Kandidaten oder eine Kandidatin für ein politisches Amt. Aber auch an dem Satz mit dem Hintern ist etwas dran: Der politische Erfolg hat sehr oft etwas mit Hartnäckigkeit zu tun. Sie müssen immer wieder Leute davon überzeugen, dass die eigene Position gut und richtig ist, und das ist in der Tat geschlechtsneutral.

Ilka Fleischer: Während Gerhard Schröder laut Infratest bei Frauen populärer ist als bei Männern, schneiden Sie bei Männern besser ab. Wie erklären Sie sich das?
Klaus Wowereit: Was für mich den Ausschlag gibt, ist die Tatsache, dass ich auch bei Frauen gute Werte habe. Richtig ist auch, dass das alles noch ausbaufähig ist.

Ilka Fleischer: Nach einer Studie zum Verhalten der BundesbürgerInnen im Haushalt werden 80 % der Hausarbeit immer noch von Frauen bewältigt. Nur 1,2 % der Männer putzen das Klo selbst. 73,3 % der Männer sind allerdings der Meinung, dass die Arbeit im Haushalt gerecht verteilt sei. Was bleibt - neben Gendermainstreaming - auf der politischen Ebene zu tun, und worin bestehen Ihres Erachtens die größten Fallstricke?
Klaus Wowereit: Die Fallstricke liegen in den Mühen der Ebene. Wir müssen die Konsequenzen der Gleichstellung in der Gesellschaft umsetzen. Das ist eine Frage u.a. der Erziehung, und das ist nichts, was in kurzer Zeit zu erreichen ist und was allein eine politische Aufgabe ist. Aber wie immer ist die Geduld eine wichtige Voraussetzung beim Bohren dicker Bretter. Und Gendermainstreaming ist ein dickes Brett.

Ilka Fleischer: Die Frau der Zukunft stellte sich August Bebel als "Herrin ihrer Geschicke" vor, die "sozial und ökonomisch vollkommen unabhängig" sei. Wer verkörpert für Sie warum heutzutage die "Frau der Zukunft"? Natürlich können Sie uns auch gerne verraten, wen sie für altmodisch halten...
Klaus Wowereit: Ich will da keine Namen nennen, aber vor allem unter meinen Genossinnen in der SPD gibt es sehr viele Frauen, die diesem Leitbild schon sehr nahe kommen und die außerdem auch ziemlich streitbar sind, wenn sie einem Mann auf die politischen Finger klopfen.


Neben Klaus Wowereit nahmen 11 weitere Politikerinnen an der elektronischen Befragung teil. Mit kleineren Abweichungen erhielten alle Interview-PartnerInnen den gleichen Fragenkatalog - und beantworteten unsere 8 Fragen zum 8. März in großer Vielfalt. Um die kompletten Beiträge zu lesen, klicken Sie bitte auf die Namen der einzelnen Interview-PartnerInnen:


  • Evrim Baba, MdA, frauenpolitische Sprecherin der PDS-Fraktion im AGH von Berlin

  • Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung und Forschung

  • Maria Eichhorn, MdB, Vorsitzende der Arbeitsgruppe Familie, Senioren, Frauen und Jugend der CDU/CSU-Fraktion

  • Dagmar Enkelmann, stellvertretende Vorsitzende der PDS

  • Ingrid Hofmann, Präsidiums-Mitglied in der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA)

  • Christel Humme, MdB, Familien-, senioren-, frauen- und jugendpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion

  • Ina Lenke, MdB, Familien-, frauen- und zivildienstpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Bundesvorsitzende der Liberalen Frauen

  • Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, MdB, Bundesministerin a.D., Europapolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion

  • Irmingard Schewe-Gerigk, MdB, Frauen- und familienpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90 / DIE GRÃœNEN

  • Renate Schmidt, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

  • Brigitte Zypries, Bundesministerin der Justiz



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Beitrag vom 07.03.2005

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