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Beitrag vom 01.03.2023
Antisemitismus prägt den Alltag deutscher Jüdinnen_Juden. Bundesverband RIAS veröffentlicht Analyse zu jüdischen Perspektiven auf Antisemitismus in Deutschland
AVIVA-Redaktion
Berlin – Der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus e. V. (Bundesverband RIAS) hat über 150 Interviews mit jüdischen Gemeinden und Einzelpersonen in ganz Deutschland ausgewertet. Die Analyse der zwischen 2017 – 2020 durchgeführten Interviews liegt seit 28.02.2023 erstmals der Öffentlichkeit vor.
Antisemitismus ist alltagsprägend
Antisemitismus ist für Jüdinnen_Juden in Deutschland ein alltagsprägendes Phänomen, dies zeigt die Publikation Jüdische Perspektiven auf Antisemitismus in Deutschland 2017 – 2020, welche der Bundesverband RIAS am 28. Februar 2023 veröffentlicht. Die Befragten berichten von antisemitischen Vorfällen beim Zahnarzt, bei der Abschlussfeier an der Schule oder bei der Wohnungssuche. Für Jüdinnen_Juden in Deutschland hat dies grundlegende Auswirkungen, etwa darauf, wie offen sie sich als jüdisch zu erkennen geben.
Wahrnehmung von Antisemitismus unterscheidet sich
Die Auswertung kommt zum Ergebnis, dass Jüdinnen_Juden Antisemitismus zum Teil ganz anders wahrnehmen als die nichtjüdische Mehrheitsgesellschaft. Besonders deutlich wird dies bei Fragen der Sicherheit. Viele Befragte berichteten nicht nur von antisemitischen Vorfällen, sondern auch von Entsolidarisierung angesichts solcher Vorfälle. "[D]as bringt einen in eine ganz isolierte Situation", so beschreibt ein Interviewpartner die Situation nach dem rechtsextremen Terroranschlag in Halle und Wiedersdorf 2019.
Jüdische Perspektiven müssen berücksichtigt werden
Der Bundesverband RIAS setzt sich dafür ein, dass Betroffenenperspektiven systematisch berücksichtigt werden. Mit der Publikation Jüdische Perspektiven auf Antisemitismus in Deutschland 2017 – 2020 liegt eine Analyse von sechs Aspekten vor, die für Betroffene von Antisemitismus besonders relevant sind: die Auswirkungen des Terroranschlags in Halle und Wiedersdorf auf Jüdinnen_Juden, die Folgen von Antisemitismus im Wohnumfeld der Betroffenen, die Effekte von israelbezogenem Antisemitismus sowie individuelle Umgangsweisen. Darüber hinaus wird untersucht, inwieweit politisch-weltanschauliche Hintergründe eine Rolle spielen und wie sich das Verhältnis zu den Strafverfolgungsbehörden darstellt.
Stimmen zur Veröffentlichung der Publikation Jüdische Perspektiven auf Antisemitismus in Deutschland 2017-2020:
Daniel Poensgen, wissenschaftlicher Referent beim Bundesverband RIAS und Autor der Analyse:
"Die systematische Berücksichtigung jüdischer Perspektiven auf Antisemitismus ist für dessen Bekämpfung unerlässlich. Was für die Mehrheitsgesellschaft vermeintlich politische Debatten über Israel sind, betrifft Jüdinnen_Juden in Deutschland ungewollt in ihrem Alltag: Sie werden beleidigt, bedroht, müssen sich rechtfertigen und erfahren Entsolidarisierungen. Hieß es nach dem Terroranschlag von Halle und Wiedersdorf von Politiker_innen, eine solche Tat sei unvorstellbar gewesen, zeigen die Interviews, dass Jüdinnen_Juden eine derartige Tat fürchteten. Die nichtjüdische Mehrheitsgesellschaft muss in ihrem Bemühen, Antisemitismus zu bekämpfen, derartige Stimmen nicht nur ernst, sondern zu ihrem Ausgangspunkt nehmen."
Michaela Fuhrmann, Leiterin für Politische Beziehungen, Jüdische Gemeinde Frankfurt a.M.:
"Antisemitismus gehört leider zum Alltag vieler jüdischer Menschen. Diese Publikation zeigt noch einmal sehr deutlich, wie vielschichtig und virulent er ist. Ob in Form des klassischen Antisemitismus, des sekundären Antisemitismus oder des israelbezogenen Antisemitismus, ob in offener oder latenter Form – Antisemitismus hat viele Ausdrucksformen, die aber für nichtjüdische Menschen oft nicht wahrnehmbar sind. Daher ist es umso wichtiger, jüdische Perspektiven auf den Antisemitismus zu berücksichtigen und ihnen die notwendige Aufmerksamkeit zu geben. Nur so kann die dringende Sensibilisierung für dieses gesamtgesellschaftliche Problem erfolgen und Antisemitismus erfolgreich bekämpft werden."
Aron Schuster, Direktor der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST):
"Jüdinnen und Juden sind von Antisemitismus und Mehrfachdiskriminierung betroffen. Die Erkenntnis, dass es einer Sichtbarmachung jüdischer Perspektiven bedarf, ist eine neue Entwicklung. Umso wichtiger ist es, dass dieses Wissen andere erreicht. Publikationen wie die Vorliegende tragen dazu bei, das Bewusstsein der Mehrheitsgesellschaft für die andauernde Bedrohung zu sensibilisieren. Die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST), als sozialer Dachverband der Jüdischen Gemeinden stärkt die jüdische Identität und das Selbstverständnis der jüdischen Gemeinschaft seit Jahrzehnten. Während RIAS-Meldestellen das Ausmaß des Antisemitismus erfasst, sorgen die ZWST gemeinsam mit der Beratungsstelle OFEK dafür, dass es immer mehr geschützte Räume und professionelle Beratung gibt, um mit diesen Erfahrungen umzugehen."
Sabena Donath, Direktorin der Bildungsabteilung, Zentralrat der Juden in Deutschland:
"Die Publikation des Bundesverbands liefert eine systematische Dokumentation der Lebensrealität von Jüdinnen und Juden in Deutschland. Dies ist insofern ein Meilenstein auf dem Weg zur Entkräftung mehrheitsgesellschaftlicher Zerrbilder, als dass aus den Befunden konkrete Inhalte für die antisemitismuskritische Bildungsarbeit abgeleitet werden können. Klar ist: Es bedarf auch künftig der Verankerung jüdischer Perspektiven auf institutioneller Ebene: in der (sozial-)wissenschaftlichen Forschung, in Schulcurricula und den verschiedensten Kontexten außerschulischer Bildung. Mit der entstehenden Jüdischen Akademie des Zentralrats der Juden in Deutschland schaffen wir dafür den geeigneten Ort."
Die Publikation Jüdische Perspektiven auf Antisemitismus in Deutschland 2017-2020 ist ab sofort einsehbar unter: report-antisemitism.de
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(PRESSEMITTEILUNG, 28.02.2022)