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Beitrag vom 31.12.2012
Prozess gegen mutmaßliche Mörder und Vergewaltiger hat begonnen - Proteste in Indien halten an
Claire Horst
In Neu-Delhi läuft die Gerichtsverhandlung gegen fünf Männer, die im Dezember 2012 eine 23-jährige Frau vergewaltigt und so schwer misshandelt haben sollen, dass sie am 29. Dezember 2012 an ihren...
... Verletzungen gestorben ist.
Am 29. Dezember ist sie gestorben, die junge Frau, deren Vergewaltigung in einem Bus weltweit Schlagzeilen gemacht hatte. Gemeinsam mit einem Bekannten war sie in einen Bus gestiegen. Dort war sie von einer Gruppe Männer stundenlang vergewaltigt und mit einer Eisenstange gefoltert worden. Nach der Tat hatten ihre Vergewaltiger die Studentin einfach aus dem Bus geworfen. Die Frau war zur Operation nach Singapur ausgeflogen worden – nach Meinung vieler KommentatorInnen ein Versuch, die beginnenden Demonstrationen einzudämmen. Die brutalen Verletzungen überlebte sie nicht – so mussten mehrere innere Organe entfernt werden, außerdem hatte sie Gehirnverletzungen und Infektionen der Lunge erlitten.
Das Besondere an dem Fall war nicht die Brutalität der Tat. Vergewaltigungen sind nicht nur in Indien beinahe an der Tagesordnung.
Im Jahr 2011 wurden in Indien 24.000 Vergewaltigungen angezeigt, ein Anstieg von 25 Prozent in den letzten sechs Jahren (Quelle:
New York Times). Die Dunkelziffer liegt wohl viel höher.
Außergewöhnlich an diesem Vorfall ist etwas anderes:
Zum ersten Mal gingen tausende Frauen und Männer auf die Straße, um gegen die verbreitete Gewalt gegen Frauen zu protestieren. Sie forderten besseren gesetzlichen Schutz für Frauen und eine härtere Bestrafung der Gewalttäter. Viele plädierten sogar für die Todesstrafe. Dass die sechs mutmaßlichen Täter nun angeklagt wurden, ist natürlich zu begrüßen. Ob das allein aber ausreicht, um Missstände zu beseitigen, ist fraglich. So sind die sechs allesamt Wanderarbeiter aus Bihar, einem der ärmsten Bundesstaaten Indiens. Diese Männer vor Gericht zu stellen, erfordert keinen politischen Mut, ebenso wenig wie ihre
Hinrichtung als Strategie, um die aufgebrachten Gemüter zu beruhigen.
Das eigentliche Problem liegt an anderer Stelle:
Diskriminierung und Rechtlosigkeit von Frauen sind Teil der Gesellschaft – nicht nur in Indien. Wenn Ministerin Sheila Dixit empfiehlt, Frauen sollten sich
"nicht abenteuerlustig" verhalten, dann passiere schon nichts, und ein Abgeordneter behauptet, unter den Demonstrantinnen seien vor allem
"stark geschminkte Frauen", wird die Schuld den Opfern zugeschoben. Auch die verspätete Stellungnahme des Premierministers Manhohan Singh löste Kritik aus. Sie erfolgte erst nach fast einer Woche – einer Woche, die mit brutalen Polizeieinsätzen gegen DemonstrantInnen vergangen war.
Zentraler Kritikpunkt ist nicht die zu lasche Bestrafung von Vergewaltigern. Ändern muss sich vor allem die weit verbreitete Einstellung, Frauen seien an der Gewalt selbst schuld, der sie ausgeliefert sind. Mit dieser Einstellung sind die InderInnen nicht allein:
Auch der international stattfindende Slutwalk wurde von der Bemerkung eines kanadischen Polizeibeamten ausgelöst, der Frauen zu ihrem Schutz empfahl, doch
"weniger aufreizende Kleidung" zu tragen. Dass ein großes Problem die moralische Verurteilung der Opfer statt der Täter ist, zeigt auch ein Interview mit dem Bruder der Getöteten. Er äußerte seine Trauer und seinen Schock über die größte Sorge seiner Schwester:
Noch kurz vor ihrem Tod habe sie immer wieder gefragt, ob irgendjemand von ihrer Vergewaltigung erfahren habe. Mehr als ihr Schmerz beschäftigte sie ihr Ruf, die Schande, die es bedeutet, "befleckt" zu sein.
Und trotzdem:
Es scheint sich etwas zu ändern, wenn auch nur langsam. Das sich ändernde Bewusstsein wird von vielen KommentatorInnen als Zeichen einer erstarkten bzw. neu entstandenen Mittelschicht verstanden, die sich nicht mehr mit ihrem gottgegebenen Schicksal abfindet. Auch die Getötete war Teil dieser aufstiegsorientierten Schicht. Ihre Eltern besaßen keinerlei Schulbildung, hatten ihr aber ein medizinisches Studium ermöglicht – sie war ihre Hoffnung auf ein besseres Leben. Dass auch bislang chancenlose Männer und Frauen am gesellschaftlichen Aufstieg teilhaben wollen, führt zu einem neuen Selbstbewusstsein. Sie finden sich nicht mehr mit ihrem ewigen Opferstatus ab. Auch Manmohan Singh plädierte dafür, den Tod der Studentin als Anlass für einen gesellschaftlichen Wandel zu nutzen.
"Sie mag ihren Kampf ums Überleben verloren haben, aber es liegt an uns sicherzustellen, dass ihr Tod nicht umsonst war", erklärte er. (Quelle:
Wiener Zeitung)
Erste positive Folgen haben die Demonstrationen bereits erzielt: So soll es ab dem 1. Januar 2013 eine Hotline geben, bei der Vergewaltigungsopfer sich melden können. Mehr Frauen im Polizeidienst sollen es den Opfern erleichtern, Anzeige zu erstatten. Zu hoffen ist, dass der Zorn der Vielen auf die brutale Männerherrschaft und auf eine Gesellschaft, in der die vielen von wenigen oligarchisch beherrscht werden, nicht mit der Hinrichtung der sechs Männer gestillt wird. Es geht nicht um diese sechs Männer, so brutal und abscheulich ihre Tat auch war. Es geht um eine Gesellschaft, in der sie auf Straffreiheit hoffen konnten, in der sie vielleicht nicht einmal ein Unrechtsbewusstsein für ihre Tat besitzen mussten – es ging ja nur um eine Frau.
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