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Beitrag vom 26.01.2012
Amadeu Antonio Stiftung fordert bessere Finanzierung für Projekte gegen Rechts
AVIVA-Redaktion
Viel wichtiger als das von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder angekündigte "Kompetenzzentrum gegen Rechtsextremismus" sei die Stärkung und Unterstützung zivilgesellschaftlichen ...
... Engagements, denn "eine weitere Bundeseinrichtung kann nicht die erfolgreiche Arbeit der zahlreichen zivilgesellschaftlichen Initiativen ersetzen", so die Vorsitzende der Stiftung, Anetta Kahane.
Anlässlich des Spitzentreffens gegen Rechtsextremismus vom Bundesinnenministerium (BMI) und dem Bundesministerium für Frauen, Senioren, Familie und Jugend (BMFSFJ) vom 24. Januar 2012 in Berlin, erklärte Kahane: "Die Warnungen zivilgesellschaftlicher Initiativen stießen jahrzehntelang auf taube Ohren. Politik und Medien zeichneten sich im Umgang mit dem Rechtsextremismus vor allem durch Selbsttäuschung und Verleugnung der Entwicklungen aus."
Dem Opferschutz, der fachlichen Beratung vor Ort, der Unterstützung von Innovation in der Projektentwicklung und dem Ausbau von zivilgesellschaftlichen Netzwerken fehle es nicht an staatlicher Koordinierung, sondern an finanziellen Ressourcen zum Transfer, zur Qualitätsentwicklung sowie an gesellschaftlichen Austauschmöglichkeiten. Die Bekämpfung des Rechtsextremismus müsse als Gemeinschaftsaufgabe wahrgenommen und neben der lückenlosen Aufklärung der Mordserie auch die Rolle der Sicherheitsbehörden überdacht werden, so das Statement der Stiftung.
Antisemitismus – ein nicht tot zu kriegendes Übel?
Der Bericht des unabhängigen ExpertInnenkreises Antisemitismus "Antisemitismus in Deutschland – Erscheinungsformen, Bedingungen, Präventionsansätze", der dem Bundestag am 10. November 2011 vorgelegt wurde, spricht eine deutliche Sprache. Er zitiert unter Anderem die Universität Bielefeld, welche im Verlauf der letzten zehn Jahre die bisher ausführlichste Erhebung zur Entwicklung antisemitischer Vorurteile in Deutschland erarbeitet hat. Im Rahmen ihres Projektes "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" wurden in den Jahren von 2001 bis 2010 flächendeckende Telefonumfragen mit Tausenden von BundesbürgerInnen durchgeführt.
Ihre wichtigsten Ergebnisse besagen unter anderem, dass nach einem merklichen Rückgang antisemitischer Einstellungen zwischen 2004 und 2006 seit 2007wieder ein sichtbarer Anstieg derselben verzeichnet werden muss. Momentan stimmt jedeR sechste Deutsche der Aussage zu, dass "Juden in Deutschland zu viel Einfluss haben". Dabei fanden es noch 2008 über 60 Prozent der Befragten positiv, dass wieder mehr Jüdinnen und Juden in Deutschland leben. JedeR achte Befragte stimmt der Aussage zu, dass Jüdinnen und Juden an ihren Verfolgungen eine Mitschuld trügen.
Neben diesen "klassischen" Antisemitismen gewinnt ein Phänomen, welches die VerfasserInnen als "sekundären" Antisemitismus" bezeichnen, zunehmend an Bedeutung. Sekundärer Antisemitismus besteht weniger aus direktem Hass auf alles Jüdische, als aus "Vorwürfen, Verallgemeinerungen und unangemessenen Vergleichen", die dazu dienen, die historische Verantwortung für den Holocaust zu relativieren. Fast 40 Prozent der Befragten unterstellen heute lebenden Jüdinnen und Juden, dass diese versuchen, aus der Shoa persönliche Vorteile zu ziehen.
Mehr als ein Drittel der Befragten setzen den Staat Israel pauschal mit Jüdinnen und Juden als Personen gleich und machten die "Politik, die Israel macht", dafür verantwortlich, "dass man etwas gegen Juden hat". Im Jahr 2008 stimmten über 40 Prozent einer Gleichsetzung der israelischen Palästinapolitik mit dem Holocaust zu.
Ein internationales Problem
Die in New York ansässige Anti-Defamation League hatte zudem europaweite Telefonumfragen durchgeführt, die allerdings auf nur 500 Befragten pro Land basierten. Sie ergaben zu dem Statement "Juden haben zuviel Macht im Geschäftsleben" 2009 eine Zustimmung von 21 Prozent, zu "Juden haben zuviel Macht auf den internationalen Finanzmärkten" eine von 22 Prozent. Die Aussage "Juden reden immer noch zu viel über das, was ihnen während des Holocausts widerfahren ist" wurde von 45 Prozent der angerufenen EuropäerInnen bejaht.
Über einen noch längeren Zeitraum betrachtet zeigt sich, dass Antisemitismus in Deutschland seit den 1950er Jahren gleichmäßig abgenommen hat, aber seit den 1980er Jahren und dann noch einmal verstärkt seit etwa 2000 wieder angestiegen ist um dann Mitte der "Nuller"-Jahre wieder etwas schwächer zu werden.
Lesen Sie auch den Beitrag "Ratlos gegen Rechts" von Anetta Kahane in der Jüdischen Allgemeinen: www.juedische-allgemeine.de
Weitere Informationen finden Sie unter:
Bericht des unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus: "Antisemitismus in Deutschland – Erscheinungsformen, Bedingungen, Präventionsansätze"
Das Projekt "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" der Universität Bielefeld
Antonio Amadeu Stiftung: Zum Spitzentreffen gegen Rechtsextremismus von BMI und BMFSFJ
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(Quellen: Deutscher Bundestag, Amadeu Antonio Stiftung, Universität Bielefeld)