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Beitrag vom 14.05.2008
Generationenkonflikt im Feminismus
Petzenhammer, Denkert
Nach der Veröffentlichung junger feministischer Literatur wetterte Alice Schwarzer bei der Verleihung des Ludwig-Börne-Preis gegen die "neuen" Feministinnen. Schade eigentlich.
Seit der Dankesrede von Alice Schwarzer zu ihrem Erhalt des Ludwig-Börne-Preises ist nichts mehr beim Alten. Schwere Vorwürfe und wütende Antwortschreiben zirkulieren in den Medien, die scheinbare Einigkeit "der" FeministInnen scheint dahin. Schwarzer hatte für die Preisverleihung am 4. Mai 2008 eine Klarstellung vorbereitet, die es in sich hatte. Von der in diesem Jahr erschienen feministischen Literatur "Alphamädchen" und "Neue deutsche Mädchen" hält sie nicht nur nichts, die EMMA-Gründerin empfindet sie als "Verluderung" für den politischen Feminismus.
Was war geschehen?
Anfang 2008 erschienen die Veröffentlichungen zweier Frauen-Teams: "Wir Alphamädchen" von Meredith Haaf, Susanne Klinger und Barbara Streidl sowie "Neue deutsche Mädchen" von Jana Hensel und Elisabeth Raether. Während in letzterem die emotionale Abhandlung von prekären Beziehungs- und Arbeitsverhältnissen im Vordergrund steht, bereiten die "Alphamädchen" bekanntes feministisches Wissen leserlich auf. Hier wird vom Bekenntnis zum Feminismus über Sex, Pornographie und der Mutterrolle bis zur Macht jedes Lebensthema im Sinne der Gleichberechtigung beleuchtet. Dabei kommen auch die Männer nicht zu kurz, sie werden als Partner in die Bewegung eingebunden.
Trotz inhaltlicher Parallelen sagen sich beide Gruppen höflich, aber bestimmt von Alice Schwarzer ab. Sie empfinden Schwarzers Positionen als nicht länger zeitgemäß und beschäftigen sich schwerpunktmäßig mit den alltäglichen Situationen, in denen sich junge Frauen heute befinden. In ihren Buchveröffentlichungen beziehen die Autorinnen aber auch klar Stellung gegen jede Art von Gewalt und Zwangsprostitution.
Fair-Trade-Puffs und Frauenhandel
Alice Schwarzer bemängelte eine grundsätzlich fehlende Politisierung der "neuen" Bewegung. Sie kritisiert die Verharmlosung von Islamismus, Prostitution und Pornographie und vor allem die primäre Konzentration auf die persönlichen Probleme: "Diese späten Mädchen und Propagandistinnen eines Wellness-Feminismus sind für ´Fair-trade-Puffs´ und finden, die so genannte ´Sexarbeit´ sei ein Job wie jeder andere, ja, sogar ein besonders vergnüglicher und gut bezahlter."
Problematisch ist an dieser Aussage zum einen die Verallgemeinerung aller "Jungfeministinnen", zudem ist der AVIVA-Redaktion keine entsprechende Positionierung der Autorinnen in ihren Veröffentlichungen bekannt.
In ihrer Dankesrede spielte Schwarzer auch auf den Nationalsozialismus an, indem sie den Buchtitel "Neue deutsche Mädchen" mit dem rechtsextrem belegten Begriff der "Deutschen Mädel" in Verbindung bringt. Gegen Ende der Rede wird es dann persönlich: Alice Schwarzer distanziert sich nachdrücklich von allen potentiellen Gemeinsamkeiten mit den Autorinnen und fordert sie auf, ""ganz einfach ihr Eigenes zu schreiben und zu sagen – so sie etwas zu sagen haben".
Unterschiedliche Problembereiche schließen sich nicht gegenseitig aus
Empört antworten die Autorinnen auf süddeutsche.de. Sie stellten klar, dass sie bei aller kritischer und bewundernder Auseinandersetzung mit Alice Schwarzer Toleranz für andere Ansichten fordern. Die Autorinnen des Buches "Alphamädchen" betonen hier vor allem die neue Notwendigkeit, sich mit strukturellen Ungerechtigkeiten zu beschäftigen. Sie wollen keine gesetzlichen Änderungen, sie diskutieren vielmehr die praktische Umsetzung der Gleichberechtigung im privaten wie beruflichen Alltag. Eigentlich unterscheiden sich die Parteien nicht in ihrem Ziel: Beide kämpfen für die Beseitigung von Ungleichbehandlung und Diskriminierung. Allerdings sind die diskutierten Bereiche durchaus voneinander abgegrenzt: während sich Schwarzer mehr im Gebiet der Kriminalität und Ideologie bewegt, beschäftigen sich die Autorinnen vor allem mit dem Alltag, in dem sie tagtäglich kämpfen. Beide Problematiken haben Relevanz, sie schließen sich nicht aus sondern ergänzen sich gegenseitig.
Feminismus 2.0? Das Private bleibt politisch!
Leider hat sich in die Diskussion ein sehr persönlicher Ton eingeschlichen. Alice Schwarzer, provoziert von dem Vorwurf, sich nicht genug mit zeitgemäßen Problemen junger Frauen zu beschäftigen, vergibt eine Chance. Die Dankesrede ist streckenweise sehr spöttisch, in ihrer Argumentationsstruktur totalitär und unterfüttert mit für Schwarzer unverrückbaren Positionen. Eine Wiederbelebung des Feminismus, eine positive Neubelegung des Wortes und der Bewegung sind aber dringend notwendig, sodass sich junge Frauen wieder mit der eigentlichen Idee der Gleichbehandlung identifizieren können. Die wenigsten Frauen sind bereit, sich selbst als Feministin zu bezeichnen, weil sie sich damit in die Nähe des negativ verstandenen Begriffs der "Emanze" begeben. Die Autorinnen haben endlich erste Grundsteine gelegt, sich mit der Bezeichnung "Feministin" wieder identifizieren zu können, ohne radikal zu sein.
Gleiche Chancen in der Berufswelt sowie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und eine vorurteilsfreie Gesellschaft gegenüber Geschlecht, Nationalität und Religion sind inzwischen gesetzlich verankert. Die Aufgabe, die allen FeministInnen, gleich welchen Geschlechts, jetzt bevor steht, ist diese juristisch und sozial einwandfreien Forderungen im Alltag durchzusetzen. Das wird mit Anfeindungen, Intoleranz und fehlender Solidarität nicht gelingen.
Weiterlesen auf AVIVA Berlin:
Meredith Haaf, Susanne Klinger und Barbara Streidl - "Alphamädchen"
Jana Hensel und Elisabeth Raether - Neue Deutsche Mädchen
Charlotte Roche – Feuchtgebiete
Sonja Eismann (Hrsg.) - Hot Topic – Popfeminismus Heute
Mirja Stöcker (Hrsg.) - Das F-Wort – Feminismus ist sexy
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Grethe Nestor - Die Badgirl-Feministin
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Interviews:
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