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Beitrag vom 28.11.2005
Wer hat Angst vor Angela Merkel
Sarah Ross
…die Antwort darauf finden Sie im jüngst erschienenen "Angela-Watch" des Journalistinnenbundes - einer Dokumentation über die Wahrnehmung der Kanzlerin in den Medien.
Der 30. August 2005 war nicht nur der Tag, an dem Angela Merkel offiziell als Kanzlerkandidatin bekannt gegeben wurde, es ist auch der Tag, an dem die deutschen Gemüter heftig in Wallung geraten sind, die Medien zum Austragungsort persönlicher Kleinkriege wurden und sich populistisches Gerede mit einer Unmenge von Eifersüchteleien einen Schlagabtausch liefern. Gemäß dem Motto "Was der Bauer nicht kennt, das isst er nicht", will Mann, was er nicht kennt, im Kanzleramt - und das ist eine Frau! Der Journalistinnenbund hat sich, angesichts des Erscheinens einer Kanzlerin, die Frage gestellt, wie es um das Verhältnis von Männern und Frauen in diesem Land wirklich bestellt ist, und rief rund 500 Journalistinnen zu einem so genannten "Angela-Watch" auf.
In den Monaten zwischen Kandidatinnen-Kür (30.08.2005) und Vereidigung (21.11.2005) wurde anhand von mehr als 300 Presseartikeln rund um das Thema "Kanzlerin Merkel", die nach eigenen Kriterien ausgewählt wurden, eine Medienanalyse durchgeführt, die Aufschluss darüber gibt, wie die Umwelt auf eine Frau an der Spitze der Regierung reagiert. Fragen, wie sich der Stand der Dinge speziell in der Art widerspiegelt, wie über Angela Merkel berichtet wird, wie sich weibliche Macht definiert und wie auf diese reagiert wird, obwohl die Teilhabe von Frauen doch eigentlich "normal" sein sollte, standen dabei im Mittelpunkt des Interesses. Doch die ersten Auswertungen haben nicht nur gezeigt, dass die Reaktionen der Menschen auf eine Frau im Kanzleramt eher Verwirrung verraten, sondern auch, dass die Verachtung Angela Merkels nicht nur rein patriarchalischer Natur ist. Die Auswahl der Presseartikel entsprach zwar nicht den Bedingungen einer wissenschaftlich abgesicherten Erhebung, ist aber allein durch die große Zahl der vorliegenden Presseartikel repräsentativ.
Obwohl sich nach medienwissenschaftlichen Erkenntnissen JournalistInnen oft bewusst oder unbewusst solch stereotyper Konzepte bedienen, die Männlichkeit mit Dominanz, Stärke, Unabhängigkeit, Leistungsfähigkeit usw. in Verbindung bringen, und Weiblichkeit mit den entgegen gesetzten Merkmalen wie Schwäche, Abhängigkeit und Emotionalität etc., und das, obwohl sie scheinbar sachlich und neutral berichten, wurde keine andere Politikerin so widersprüchlich dargestellt wie Angela Merkel. Warum? Weil die Frau aus dem Osten, die hier zur Macht griff, mächtig irritiert! Immer noch fragen sich die Deutschen wer die Person Angela Merkel ist und welche Politik sie vertritt. Doch in den Augen vieler entspricht sie vor allem nicht den Erwartungen, die an eine Frau gestellt werden - wird aber dennoch in erster Linie unter dem Gesichtspunkt "Frau" betrachtet und bewertet. So pointierte die Kommentatorin der Frankfurter Rundschau, Vera Gaserow: "Merkel spielt die Karte ‚Frau´ nicht nur nicht aus. Sie bemüht sich, sie zu kaschieren. Das zeugt nicht von Souveränität oder Authentizität."
Dadurch, dass sie mit der Art von Rationalität und Machtwillen, die im politischen Geschäft üblich ist und Männern als positive Eigenschaft zugeschrieben wird, auftritt, wird sie besonders für Journalisten und Journalistinnen zu einem Rätsel. Und nicht erst in der "Elefantenrunde" hatte sie den Gefühlsmenschen Gerhard Schröder, der lediglich noch die"soften Sympathie- und Vertrauenspunkte" kassieren konnte, in den Schatten gestellt. Mit ihrer Sachorientiertheit und Durchsetzungshärte hat die "Polit-Technokratin" Angela Merkel die deutsche Regierungslandschaft und die Geschlechter-Debatte, die seither unter dem Decknamen "Kanzlerin Merkel" auftritt, kräftig auf den Kopf gestellt. Doch begreifen die Deutschen diese Tatsache nicht als eine Chance - vor allem die Bürgerinnen dieses Landes freuen sich nicht über diesen Frauensieg und zeigen sich solidarisch, sie greifen noch viel tiefer in die Kiste der Diskriminierung und setzen mit frappierender Lockerheit die Frage oben drauf: Kann die das? Ein Frage, die man Männern wohl kaum zugemutet hätte.
Sowohl in der Charakterisierung des Wahlkampfs unter dem Motto "Er oder Sie", als auch in der Berichterstattung über Merkel bis zu ihrer Vereidung wurde ein Geschlechterkampf vorausgesetzt. Währenddessen wurde nicht nur die Kanzlerin verbal unter Beschuss genommen, sondern auch das plötzlich in Mode gekommene Männlichkeits-Outing à la Gerhard Schröder aus der "Elefantenrunde" wurde mit durchaus diskriminierenden geschlechtsspezifischen Adjektiven beschrieben.
Jede Medaille hat zwei Seiten, und so zeigte sich dennoch quer durch alle Medien auch Bewunderung dafür, wie weit Angela Merkel es als Frau gebracht hat. Immer wiederkehrende Formulierungen waren: "Sie ist weit gekommen wie keine Politikerin vor ihr… wird Frauen Mut machen, weil bewiesen hat, dass Frauen alles erreichen können… sie kann vor allem mit einem punkten: mit ihrem eigenen Lebensweg."
Die vollständige "Angela-Watch" mit widersprüchlichen Bildern von Angela Merkel, einer Menge von Zitaten und einem Statement der 1. Vorsitzenden des Journalistinnenbundes, Eva Kohlrusch, finden Sie unter www.journalistinnen.de.